physiopraxis 2021; 19(10): 1
DOI: 10.1055/a-1542-2974
Editorial

Detektivarbeit

Stephanie Moers

Mia, die ich mir ausgedacht habe, erzählt in der Anamnese von unteren Rückenschmerzen, die seit vier Monaten bestehen und in das rechte Bein ausstrahlen. Seit neuestem hat sie auch Schmerzen in der linken Gesäßhälfte und in der Gegend des rechten Schulterblatts. Die Detektivarbeit beginnt. Welcher Schmerzmechanismus ist dominant? Nozizeptiv, neuropathisch oder noziplastisch?

2020 änderte die International Association for the Study of Pain (IASP) die Definition von Schmerz [1]. Im Zuge der Diskussion über die neue Definition führte sie schon 2016 neben den bestehenden Kategorien „nozizeptiv“ und „neuropathisch“ eine dritte, den „noziplastischen Schmerz“, ein [2]. Zuerst dachte ich, dass diese Kategorie ein Synonym für chronischen Schmerz oder zentrale Sensibilisierung ist. Aber nein, ich lag falsch. Chronischer Schmerz ist meist eine Mischform aus zwei bis drei der Kategorien, und der Begriff „zentrale Sensibilisierung“ schließt schon im Wort peripher sensibilisierende Mechanismen aus, die durchaus eine Rolle beim noziplastischen Schmerz spielen. Ist also alles nicht so einfach.

Einfach bzw. gut verständlich beschreiben die Autoren Nils Runge und Sebastian Löscher im Artikel ab S. 22, wie man als Physio abschätzen kann, ob es bei Mia eine noziplastische Komponente gibt. Erste Schritte sind: zeitlicher Kontext: Check, Lokalisierung: Check. Beides spricht dafür, dass ein noziplastischer Mechanismus eine Rolle spielt.

„Schmerzursachen herauszufinden kann wahre Detektivarbeit sein.“

Hiermit endet die Detektivarbeit nicht, und natürlich sind viele andere Faktoren in der Therapie zu beachten. Mir macht dieser detektivische Teil viel Spaß, und ich finde Modelle wie die Hypothesenkategorien von Jones [3], das Treibermodell [4] oder das Musculoskeletal Clinical Translation Framework [5] dafür hilfreich. Sie alle nutzen die Einteilung der Schmerzen in die drei genannten Kategorien. Vielleicht finden auch Sie den Artikel hilfreich für Ihre Detektivarbeit. Viel Spaß dabei!

Ihre

Stephanie Moers



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Article published online:
18 October 2021

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