CC BY-NC-ND 4.0 · Geburtshilfe Frauenheilkd 2021; 81(08): 955-965
DOI: 10.1055/a-1538-2200
GebFra Science
Original Article/Originalarbeit

Anwendung von Misoprostol zur Geburtseinleitung an deutschen Geburtskliniken: Was wird wirklich gemacht?

Artikel in mehreren Sprachen: English | deutsch
Sven Kehl
1   Frauenklinik, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Germany
,
Christel Weiss
2   Abteilung für Medizinische Statistik, Biomathematik und Informationsverarbeitung, Medizinische Fakultät Mannheim, Universität Heidelberg, Mannheim, Germany
,
Werner Rath
3   Medizinische Fakultät, Gynäkologie und Geburtshilfe, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Kiel, Germany
,
Michael Schneider
1   Frauenklinik, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Germany
,
Florian Stumpfe
1   Frauenklinik, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Germany
,
Florian Faschingbauer
1   Frauenklinik, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Germany
,
Matthias W. Beckmann
1   Frauenklinik, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Germany
,
Patrick Stelzl
1   Frauenklinik, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Germany
4   Abteilung für Gynäkologie, Geburtshilfe und Gynäkologische Endokrinologie, Kepler Universitätsklinikum Linz, Linz, Austria
› Institutsangaben

Zusammenfassung

Fragestellung Das synthetische Prostaglandin-E1-Analogon Misoprostol ist das effektivste Medikament zur Geburtseinleitung, wobei es meist im Off-Label-Use angewendet wird. Aus diesem Grund sowie wegen seiner potenziellen Nebenwirkungen und der unterschiedlichen Anwendung stand es zuletzt wieder in der Diskussion. Ziel dieser Umfrage war daher die Erhebung der Anwendung von Misoprostol zur Geburtseinleitung an deutschen Kliniken sowie des Einflusses, den die negative Berichterstattung auf den geburtshilflichen Alltag hatte.

Material und Methodik Im Rahmen dieser Querschnittstudie wurden 635 Abteilungen für Geburtshilfe und Gynäkologie in Deutschland angeschrieben und gebeten, im Februar/März 2020 an dieser Umfrage teilzunehmen. Es sollten insgesamt 19 Fragen zur Klinik, Verwendung von Misoprostol vor und nach der kritischen Berichterstattung, Anwendung von Misoprostol (Bezug, Applikationsart, Dosierung, Überwachung) und anderen Einleitungsmethoden online beantworten werden.

Ergebnisse Insgesamt komplettierten 262 (41,3%) der angeschriebenen Kliniken den Fragebogen. Es gab keinen Unterschied bezüglich der Versorgungsstufe (Perinatalzentrum Level I, Perinatalzentrum Level II, Perinataler Schwerpunkt oder Geburtsklinik/Belegklinik; p = 0,2104) und der Anzahl der Geburten (p = 0,1845). Meist wurde Misoprostol in der eigenen Apotheke hergestellt (54%) oder aus dem Ausland importiert (46%) und oral als Tablette (95%) verabreicht. Es kamen verschiedene Misoprostol-Dosierungen zum Einsatz (25 µg [48%], 50 µg [83%], 75 µg [6%], 100 µg [47%] und > 100 µg [5%]). Die meisten Kliniken verwendeten vorgefertigte Tabletten/Kapseln (59%), jedoch wurden auch Cytotec-Tabletten geteilt (35%) oder in Wasser aufgelöst (5%). Die Misoprostol-Gaben erfolgten vor allem in 4-stündigen (64%) oder 6-stündigen Intervallen (30%). Eine CTG-Kontrolle vor und nach einer Misoprostol-Gabe (78% und 76%) bzw. einer Prostaglandin-E2-Gabe (jeweils 88%) wurde meist durchgeführt. Im Falle von Kontraktionen wurde überwiegend kein Misoprostol (59%) oder kein Prostaglandin E2 (64%) verabreicht. Die kritische Berichterstattung führte dazu, dass in 17% der Kliniken, vor allem kleinere Geburtskliniken/Belegkliniken mit weniger als 1000 Geburten, kein Misoprostol mehr verwendet wurde. Wehencocktails kamen vor allem in Geburts- und Belegkliniken zum Einsatz (61%).

Schlussfolgerung Misoprostol zur Geburtseinleitung ist in deutschen Kliniken etabliert. Es kommen verschiedene Dosierungsschemata zum Einsatz. Insbesondere das derzeit übliche Management im Rahmen der Geburtseinleitung (CTG-Kontrolle vor und nach einer medikamentösen Geburtseinleitung, keine Prostaglandin-Gabe bei Wehentätigkeit) sollte jedoch verbessert werden. Die mediale Diskussion um die Verwendung von Misoprostol hat dazu geführt, dass vor allem kleinere Kliniken auf Misoprostol verzichten haben.



Publikationsverlauf

Eingereicht: 07. April 2021

Angenommen nach Revision: 25. Juni 2021

Artikel online veröffentlicht:
09. August 2021

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