Psychother Psychosom Med Psychol 2021; 71(09/10): 427-428
DOI: 10.1055/a-1532-0265
Mitteilungen der DGMP
Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft fürMedizinische Psychologie (DGMP)

Vorstellung des Instituts für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie (IMPS) an der Universität Kiel

Frauke Nees

Das Institut für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie (IMPS) ist seit 1987 dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, zugeordnet. Seit 1972 bildet das Institut Studierende der Medizin in den Fächern Medizinische Psychologie sowie Medizinische Soziologie aus.

Die wissenschaftlichen Schwerpunkte beziehen sich auf grundlagenorientierte Untersuchungen im Bereich der Neuropsychobiologie und Verhaltensmedizin zu Lern- und Gedächtnisprozessen und Informationsverarbeitung des Gehirns in den Bereichen Schmerz, Sucht, Psychotraumatologie und über die Lebensspanne. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Integration dieser Erkenntnisse in die Entwicklung und empirischen Evaluation von verhaltensmedizinischen Präventions- und Rehabilitationsprogrammen bei verschiedenen psychischen, somatischen sowie neurologischen Erkrankungen. Dem Institut gehört auch eine Institutsambulanz an, welche mit der neuropsychologischen Diagnostik und Therapie von Kindern und Jugendlichen sowie Erwachsenen betraut ist sowie in der Erstellung von Fachgutachten.

Prof. Dr. rer. nat. Frauke Nees (41) ist seit dem 1. März 2020 Direktorin des IMPS und W3-Professorin für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Zuvor war sie am Institut für Neuropsychologie und Klinische Psychologie des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) der Medizinischen Fakultät Mannheim/Universität Heidelberg tätig. Dort war sie die Ständige Stellvertreterin der Wissenschaftlichen Direktorin des Instituts für Neuropsychologie und Klinische Psychologie (Prof. Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Herta Flor), leitete seit 2013 die Arbeitsgruppe „Psychobiologie emotionaler Lernprozesse“ und hatte seit 2018 ein Heisenberg-Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft inne. Frau Prof. Nees war außerdem an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters des ZI tätig und unter anderem ein Jahr an der Medizinischen Universität Wien.

In ihrer Forschung mit interdisziplinärer Ausrichtung untersucht das IMPS die Interaktion von Gehirn und Verhalten über emotionale Lern- und Gedächtnisprozesse, Motivation und Belohnungsverarbeitung sowie den Einfluss von Stress im Kontext von Gesundheit, Krankheit und Lebensspanne. Eine wichtige Fragestellung ist bspw., inwiefern Mechanismen des emotionalen Lernens oder der Belohnungsverarbeitung bestimmte psychische und körperliche Symptome wie Sucht und Schmerz auslösen. Ihre Studien im Bereich der Medizinischen und Biologischen Psychologie und kognitiven Neurowissenschaften umfassen eine Vielzahl experimenteller Methoden von der verhaltens- und neuropsychologischen bis hin zur genetischen Ebene. Wichtige Erkenntnisse liefern dabei Längsstudien im Rahmen des IMAGEN-Consortiums und der DFG-Sonderforschungsbereiche, die Prof. Nees bereits in Mannheim durchgeführt hat und in Kiel fortsetzen wird.

Die neurowissenschaftliche Forschung hat in den letzten Jahren einen rapiden Wandel durchzogen – nicht nur bezüglich einer sich immer rasanter entwickelnden Methodik (z. B. hinsichtlich neuronaler Korrelate von Risikofaktoren, epigenetisches Profiling, GWAS und Kommunikationstechnologien, sondern auch in Richtung der Bündelung großer Datensätze aus longitudinal angelegten Studien (Big Data, Data Mining). Diese Ansätze sind wichtiger Bestandteil des wissenschaftlichen Fortschritts, da so Risiko- und Resilienzfaktoren für die Entwicklung von psychischen Störungen verlässlicher identifiziert werden können. Hierbei kommt der Berücksichtigung neuroplastizitätsrelevanter und psychobiologischer Aspekte in verschiedenen Lebensspannen eine besondere Bedeutung zu.

Am IMPS wird somit ein multimodaler Ansatz verfolgt. Dieser beinhaltet experimental-psychologische Ansätze, neuropsychologische Testungen, peripher-physiologische Erhebungen sowie strukturelle und funktionelle Bildgebung und Stimulationsmethoden wie die transkranielle Gleichstrom- und Magnetstimulation. Außerdem setzen wir Anwendungen in virtueller Realität ein sowie Neurofeedback-Verfahren und auch alltagsnahe Verfahren wie das sog. Ecological Momentary Assessment (EMA), welche Erfassungen und Interventionen im täglichen Umfeld von Personen, bspw. über Smartphone Apps, ermöglicht.

Im Rahmen des Projektes Imaging Genetics (IMAGEN; „Reinforcement-related behaviour in normal brain function and psychopathology“) haben wir europaweit beispielsweise insgesamt ca. 2500 Jugendliche mit neuropsychologischen und klinisch-psychologischen Verfahren im Längsschnitt untersucht und es wurden darüber hinaus funktionelle und strukturelle magnetresonanztomographische Daten sowie genetische Daten erhoben. In einer Analyse zur Initiierung von schädlichem Trinkverhalten bei 14–15 Jahre alten Jugendlichen beispielsweise konnte die Varianz in der Trinkmenge bei einer Aufgabe, bei der unterschiedlich große Belohnungen antizipiert wurden, durch Gehirnaktivierungen am wenigsten erklärt werden, während Persönlichkeitsvariablen und Verhaltensdaten, die mit der Belohnungsverarbeitung in Bezug standen, deutlich stärker mit der Trinkmenge assoziiert waren (z. B. Nees et al., [1],] Neuropsychopharmacology). Für die Vorhersage des schädlichen Trinkverhaltens war jedoch das Zusammenspiel all dieser Faktoren (Gehirnaktivierungen, Persönlichkeitsvariablen und Verhaltensdaten) entscheidend. In einer Folgestudie wurde die Untersuchung dieser Faktoren anhand von longitudinalen Daten weiter ausgebaut (z. B. Whelan et al., [2], Nature). Mit zunehmendem Alter (16–17 Jahren) gewannen außerdem (epi)genetische und Gen-Umwelt Interaktionen an Bedeutung (z. B. Heinrich, et al., [3], Biological Psychology).

Diese Arbeiten tragen zur Charakterisierung und Identifikation einzelner Risikofaktoren in der Entstehung von psychischen Störungen, in diesem Fall Alkoholsucht, bei und werden aktuell von Frau Prof. Nees im Rahmen von 2 weiteren Projekten des BMBF-geförderten Verbundes IMAC-Mind („Improving Mental Health and Reducing Addiction in Childhood and Adolescence through Mindfulness: Mechanisms, Prevention and Treatment”; https://www.imac-mind.de) mittels fortgeschrittener Data Mining Strategien an acht Kohortenstudien im Kinder- und Jugendbereich sowie der Entwicklung von „Ecological Momentary Assessment“ (EMA)/„Ecological Momentary Intervention“(EMI) Tools erweitert.

Es ist das Ziel, wichtige Erkenntnisse über Entwicklungsverläufe von Gesundheits- und Krankheitsverhalten entscheidend voranzutreiben und zu verbessern und eine Identifikation und Charakterisierung von Hochrisikopopulationen und Patienten mit schweren Verläufen zu erzielen. Im Rahmen der Professur wird auch ein Transfer der Erkenntnisse von psychischen zu körperlichen und organischen Störungen angestrebt.

Das IMPS möchte den unmittelbaren Bezug zur Krankenversorgung durch die Entwicklung von Virtual-Reality-/Tablet-Tools stärken, die unter anderem in der psychotherapeutischen Praxis das Screening und Training von Patientinnen und Patienten unterstützen können. Dabei ist ihr sehr an einer engen Zusammenarbeit mit den Kliniken und Instituten am Campus Kiel im Rahmen eines fächerübergreifenden neurowissenschaftlichen und psychobiologischen Netzwerks gelegen.

Das Institut verfügt auch über eine verhaltensmedizinische Ambulanz. Hier bieten wir Erwachsenen Diagnostik und Beratung bei vielen psychischen Störungen an u. a. bei Angst, Depression, Trauma/PTSD, ADHS). Unser aktuelles Leistungsangebot umfasst: Feststellen des aktuellen kognitiven und affektiven Zustandes sowie der Auswirkungen auf das Verhalten hinsichtlich von Bereichen wie Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Sprache, Wissen, Affektivität und Persönlichkeit; Objektivierung von Funktionsbeeinträchtigungen (d. h. welchen einschränkenden Wert haben diese Störungen im Alltag der Patienten); Verlaufsuntersuchungen (d. h. wie verändern sich Störung und deren Auswirkungen in der Zeit); Begutachtung (d. h. Abgabe von gutachterlichen Stellungnahmen).



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
08. Oktober 2021

© 2020. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

 
  • Literatur

  • 1 Nees F, Tzschoppe J, Patrick CJ. et al Determinants of early alcohol use in healthy adolescents: the differential contribution of neuroimaging and psychological factors. Neuropsychopharmacology 2012; 37: 986-995
  • 2 Whelan R, Watts R, Orr CA. et al Neuropsychological profiles of current and future adolescent alcohol misusers. Nature 512: 185-189
  • 3 Heinrich A, Müller KU, Banaschewski T. et al Prediction of alcohol drinking in adolescents: personality-traits, behavior, brain responses, and genetic variations in the context of reward sensitivity. Biological Psychology 118: 79-87