Pneumologie 2021; 75(06): 418-420
DOI: 10.1055/a-1488-5373
Stellungnahme

Therapie mit inhalativen Glukokortikoiden bei COVID-19

Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie (ÖGP) und der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie (DGAKI)Treatment of COVID-19 with Inhaled GlucocorticoidsStatement of the German Respiratory Society (DGP), the Austrian Society of Pneumology (ÖGP) and the German Society of Allergology and Clinical Immunology (DGAKI)
Marco Idzko
 1   Universitätsklinikum AKH Wien, Medizinische Universität Wien
,
Marek Lommatzsch
 2   Universitätsmedizin Rostock
,
Christian Taube
 3   Universitätsmedizin Essen
,
Ernst Eber
 4   Medizinische Universität Graz
,
Bernd Lamprecht
 5   Kepler Universitätsklinikum Linz
,
Fritz Horak
 6   Allergiezentrum Wien-West
,
Wolfgang Pohl
 7   Karl-Landsteiner-Institut für klinische und experimentelle Pneumologie, Wien
,
Klaus F. Rabe
 8   LungenClinic Grosshansdorf und Medizinische Klinik Universität Kiel, Deutsches Zentrum für Lungenforschung (DZL)
,
Johann Christian Virchow
 9   Universitätsmedizin Rostock
,
Eckard Hamelmann
10   Evangelisches Klinikum Bethel, Universität Bielefeld
,
Michael Pfeifer
11   Universitätsklinikum Regensburg
,
Torsten Bauer
12   Lungenklinik Heckeshorn, Helios-Klinikum Emil von Behring, Berlin
,
Roland Buhl
13   Universitätsmedizin Mainz
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Preview

Inhalative Glukokortikoide (ICS) sind die Basistherapie von Asthma [1] (zudem sind sie als Zusatz-Therapie auch bei der COPD zugelassen [2]). Die Erkrankung Asthma ist (für sich gesehen) kein Risikofaktor für schwere COVID-19-Verläufe [3] [4] [5]. Dies könnte u. a. durch eine verminderte Expression des für die Aufnahme von SARS-CoV-2 verantwortlichen Rezeptors ACE-2 in den Atemwegen von Patient*innen mit Asthma bedingt sein [3]. Mehrere Studien weisen darauf hin, dass eine ICS-Therapie die ACE-2-Expression bei Patient*innen mit Asthma [6] [7] [8] und möglicherweise auch mit COPD [9] vermindert. Zudem scheinen ICS die Replikation von Coronaviren in experimentellen Studien zu hemmen [10] [11] [12]. Schließlich senkt das systemische Glukokortikoid Dexamethason die Mortalität bei schweren COVID-19-Verläufen [13]. Es wurde daher die Hypothese aufgestellt, dass ICS möglicherweise einen generellen protektiven Effekt bei COVID-19 haben könnten. Die aktuell in der Zeitschrift Lancet Respiratory Medicine publizierte STOIC-Studie von Ramakrishnan et al. aus Großbritannien, die einen positiven Effekt des ICS Budesonid bei Patient*innen mit COVID-19 in einem frühen Krankheitsstadium (Therapiebeginn in den ersten 7 Tagen nach Symptombeginn, unabhängig vom Vorliegen eines Asthma) postuliert [14], hat daher große mediale Aufmerksamkeit erfahren.

Mit diesem Statement möchten wir darauf hinweisen, dass die STOIC-Studie lediglich Hypothesen generierend ist und dass sich aus dieser Studie noch keine generelle Empfehlung für eine ICS-Therapie in der geprüften Dosis für Patient*innen mit COVID-19 ableiten lässt. Hierfür gibt es mehrere Gründe:

  • Nicht verblindete Studie: Es handelte sich zwar um eine randomisierte, aber nicht um eine verblindete Studie, d. h. die Patient*innen und die behandelnden Ärzt*innen wussten, ob das ICS inhaliert wurde oder nicht. Ein möglicher Placebo-Effekt blieb hier also unberücksichtigt.

  • Geringe Patient*innenzahl: Es handelte sich um eine Studie mit vergleichsweise wenigen Patient*innen (je 73 Patient*innen in beiden Gruppen), die über einen auffällig langen Zeitraum (Juli bis Dezember 2020) trotz hoher Infektionszahlen in Großbritannien rekrutiert wurden. Ein Selektions-Bias ist somit nicht ausgeschlossen. Zudem hatten 16 % der Patient*innen in der Budesonid-Gruppe ein Asthma und haben somit möglicherweise auch aufgrund ihrer Grunderkrankung vom ICS profitiert. Daher ist die Aussagekraft für die Gesamtheit der Patient*innen mit COVID-19 eingeschränkt.

  • Subjektive Endpunkte: Sowohl der primäre Endpunkt (COVID-19-bedingte ärztliche Vorstellung) als auch die sekundären Endpunkte der Studie (z. B. die Zeit bis zur von den Patient*innen empfundenen klinischen Besserung oder der Bedarf an Antipyretika) sind subjektiv geprägt, und damit anfällig für den o. g. Placebo-Effekt (es ist z. B. möglich, dass Budesonid-behandelte Patient*innen im Vertrauen auf eine ICS-Wirkung ärztliche Hilfe seltener oder später aufsuchten). Dafür spricht, dass sich objektive Studienendpunkte (z. B. Sauerstoffsättigung oder SARS-CoV-2-Viruslast) nicht signifikant von der Kontrollgruppe unterschieden.

  • Hohe ICS-Dosis: Die in der Studie gewählte ICS-Dosis (1600 µg Budesonid pro Tag) entspricht einer ICS-Höchstdosis für Patient*innen mit Asthma [1]. Sowohl in der Asthma-Therapie [1] als auch in der COPD-Therapie [2] sind bei der übergroßen Mehrheit der Patient*innen viel niedrigere ICS-Dosen klinisch sehr effektiv. Es lässt sich daher aus der Studie nicht ableiten, ob wirklich so hohe ICS-Dosen (die zu erheblichen Nebenwirkungen führen können [15]) im Rahmen einer COVID-19-Behandlung eingesetzt werden sollten.

  • Unklare Relevanz für schwere COVID-19-Verläufe: Im besten Falle gibt diese Studie Hinweise, dass die Zeit bis zur klinischen Besserung durch eine ICS-Therapie bei milden bis mittelschweren Verläufen möglicherweise verkürzt werden kann: Ein ähnliches Ergebnis erbrachte eine Interims-Analyse der größeren PRINCIPLE-Studie (MedRxiv-Preprint abrufbar unter https://doi.org/10.1101/2021.04.10.21254672). Weder die STOIC-Studie noch die PRINCIPLE-Studie haben aber gezeigt, dass durch diese Therapie schwere COVID-19-Verläufe oder Todesfälle verhindert werden können. Die Kommentatoren der STOIC-Studie in der Zeitschrift Lancet Respiratory Medicine fordern daher explizit diesbezügliche Studien [16].

Wir weisen darauf hin, dass weitere, größere, verblindete, Placebo-kontrollierte Studien mit unterschiedlichen ICS-Dosen benötigt werden, um mögliche ICS-Effekte bei COVID-19 zu bestätigen. Es ist auf Basis der STOIC-Studie nicht möglich, eine allgemeine ICS-Behandlung von Patient*innen mit COVID-19 zu empfehlen. ICS-haltige Präparate sind für die COVID-19-Therapie nicht zugelassen. Es wird jedoch ausdrücklich empfohlen, eine bestehende ICS-Dauertherapie bei Patient*innen mit Asthma oder COPD während der aktuellen SARS-CoV-2-Pandemie und im Rahmen von COVID-19 fortzuführen [3]. Auch aus Sicht der Versorgungssicherheit von Patient*innen mit Asthma und COPD ist von einer breiten Off-Label-Behandlung mit ICS von Patient*innen mit COVID-19 oder gar einer ICS-Selbstmedikation abzuraten.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
17. Mai 2021

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