NOTARZT 2021; 37(03): 152-153
DOI: 10.1055/a-1480-0259
Leserbrief

Stellungnahme zum Kommentar zu „Erfahrungen zur Gewalt gegen Rettungskräfte – aus der Sicht des DRK“ von Staller MS und Körner S.

Peter Sefrin
1   Generalsekretariat, Deutsches Rotes Kreuz, Berlin, Deutschland
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Vielen Dank für das Interesse und den Leserbrief zu unserer Publikation zum Thema Gewalt im Rettungsdienst. Wie aus der Beschreibung der Datenerhebung ersichtlich, handelt es sich bei der Darstellung der Befunde nur um einen Ausschnitt des rettungsdienstlichen Geschehens, der nicht den Anspruch auf Repräsentativität erhebt. Die tägliche Berichterstattung in den Medien zeigt jedoch, dass es sich bei der Gewalt im Rettungsdienst nicht um ein isoliertes Problem handelt. Im Gegenteil – das Problem wurde im Laufe der Jahre immer größer. So haben sich in einer Studie von Dressler [1] die Zahl der körperlichen Übergriffe von 2011 bis 2016 um 80 %, bei Rau und Leuschner [2] bei vorsätzlichen Körperverletzungen von 2012 bis 2017 um 75,7% erhöht. In der Analyse von Schmidt [3] wird festgestellt, dass 98% des Rettungspersonals im Einsatz bereits Gewalt widerfahren ist. Auch eine flächendeckende Studie in Rheinland-Pfalz kommt erst jüngst zu dem Ergebnis, dass Gewalt gegen Mitarbeiter im Rettungsdienst im ländlichen Raum „zum Alltag“ gehört [4].

Es war nicht Sinn der Abfrage unter den Rettungsdienstmitarbeitern, eine bundesweite repräsentative Darstellung zu erstellen, sondern vielmehr die Absicht, eine Übersicht der Auswirkungen und Folgen der Übergriffe vorzustellen. Die daraus abzuleitenden Erkenntnisse, die ihrerseits als „Deutung“ bezeichnet werden, sollten keine Angst bewirken, sondern sensibilisieren für ein heute jederzeit und überall zu erwartendes Problem. Es muss derzeit unterstellt werden, dass jede Einsatzkraft im Rettungsdienst mit Übergriffen rechnen muss. Die Konsequenz sollte sein – wie im Fazit des Artikels dargestellt –, über entsprechende Schutzmechanismen nachzudenken. Die Ergebnisse zeigen den dringlichen Handlungsbedarf zum Schutz der Rettungskräfte. Dies wird auch bei den abgefragten Wünschen der Teilnehmer der Studie deutlich. Unsere Ergebnisse haben inzwischen auch dazu geführt, dass das Thema Gewaltprävention sowohl in der Ausbildung der Notfallsanitäter aber auch in der jährlichen verpflichtenden Fortbildung integriert wurde.

Die Ergebnisse der Studie beruhen auf der Auswertung eines Fragebogens. Zum Thema „überzogener Anspruch der Patienten“ war keine spezielle Frage gestellt worden. Diese Aussage wurde demnach auch nicht als Ergebnis der Studie dargestellt, sondern als mögliche Ursache für die Zunahme der Gewalt diskutiert. Unverkennbar führt die gestiegene Erwartungshaltung der Bevölkerung bei herabgesetzter Hemmschwelle zu Gewalt und gezielten Übergriffen. Diese Annahme basierte auf konkreten Äußerungen der Studienteilnehmer, aber auch auf eigenen Erfahrungen der Autoren. Es handelt sich somit nicht um „populäre Spekulationen“.

In Übereinstimmung mit anderen Untersuchungen [5] gehen Aggressionen vordergründig von den Patienten selbst aus. Häufig erwarten die Patienten, aber auch Umstehende eine unmittelbare Beseitigung ihrer Schädigung, besonders wenn diese unter Alkohol und Drogen stehen. Die eigenen Vorstellungen einer Versorgung der Betroffenen stimmen nicht immer mit vorgegebenen notfallmedizinischen und rettungsdienstlichen Vorgaben und Erfordernissen überein. Daraus resultieren Konflikte, die in Gewalt umschlagen können. Gerade bei Bagatellschädigungen, bei denen der Rettungsdienst gerufen wird, obwohl eigentlich der Hausarzt zuständig wäre, kommt es in der Folge zu nicht erfüllten Erwartungen. Feltes [6] spricht allgemein aufgrund seiner Forschungen von einer Tendenz zur Verrohung und „Verlust von Empathie“, was zu aggressiven Debatten in der Öffentlichkeit führt. In zunehmendem Maße wird heute versucht, vermeintliche Rechte einzufordern. Wenn z.B. ein Rettungsmittel im Einsatz in der 2. Reihe auf der Straße steht und dadurch den Verkehr behindert, wird trotz Kennzeichnung des Notfalls die dadurch resultierende Behinderung nicht mehr akzeptiert, sondern ohne Rücksicht auf einen Patienten das Recht der freien Fahrt eingefordert. Diese Forderung führt allzu häufig zu aggressivem Verhalten gegen das Rettungspersonal oder auch zu Beschädigung des Rettungsfahrzeugs.

Keine Frage ist, dass es durch – vielleicht noch unerfahrene – Mitarbeiter zu Problemen mit den Patienten kommen kann. Aus diesem Grund sollte in Zukunft dem adäquaten Verhalten des Rettungspersonals eine besondere Aufmerksamkeit zukommen.



Publication History

Article published online:
15 June 2021

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  • Literatur

  • 1 Dressler JL. Gewalt gegen Rettungskräfte. Eine kriminologische Großstadtanalyse. Berlin: LIT-Verlag; 2017. (Kriminalwissenschaftliche Schriften; ). Bd. 54.
  • 2 Rau M, Leuschner F. Gewalterfahrung von Rettungskräften im Einsatz. Neue Kriminalpolitik 2018; 30: 316-335
  • 3 Schmidt J. Gewalt gegen Rettungskräfte – Bestandsaufnahme zur Gewalt gegen Rettungskräfte in Nordrhein-Westfalen. Abschlussbericht. Bochum: Ruhr-Universität Bochum (Lehrstuhl für Kriminologie); 2012
  • 4 Jüchser C, Richter D. Retter in Not: Wie sieht es mit der Gewaltzunahme im ländlichen Raum aus?. Rettungsdienst 2020; 43: 1042-1044
  • 5 Leuchter F, Hergarten T, Heister U. Gewalt gegen Rettungsdienstmitarbeiter – eine einsatzbegleitende Analyse in ländlichen und städtischen Rettungsdienstbezirken. Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 460-461 DOI: 10.3238/arztebl.2020.0460. (PMID: 32897185)
  • 6 Feltes T, Weigert M. Gewalt gegen Einsatzkräfte der Feuerwehren und Rettungsdienste in Nordrhein-Westfalen. Abschlussbericht. Bochum: Ruhr-Universität Bochum; 2018