NOTARZT 2021; 37(03): 151-152
DOI: 10.1055/a-1479-8929
Leserbrief

Kommentar zu: Erfahrungen zur Gewalt gegen Rettungskräfte – aus der Sicht des DRK, Der Notarzt, 37(S 01), S1–S19

Mario Staller
1   Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW, Aachen, Deutschland
,
Swen Körner
2   Abteilung für Trainingspädagogik und Martial Research, Deutsche Sporthochschule Köln, Köln
› Institutsangaben

Die kürzlich veröffentlichte Studie von Sefrin und Kolleg*innen [1] führte zu einem breiten Medienecho mit Schlagzeilen wie „Gewalt gegen Rettungskräfte ist Alltag“ [2] und „Mehr Angriffe auf Rettungskräfte“ [3]. Auch das Deutsche Rote Kreuz titelte in einer Pressemitteilung, dass Übergriffe zum Alltag im Rettungsdienst gehören [4] und zitiert eine (angebliche) Erkenntnis der Studie: „Wenn es um die Ursachen der Gewalt im Rettungsdienst geht, ist seitens der Patienten in zunehmendem Maße ein teilweise überzogener Anspruch gegenüber dem Rettungspersonal festzustellen. Ein Anspruchsdenken hat es schon immer gegeben, aber es wurde nicht versucht, es mit Gewalt durchzusetzen.“

Damit erfährt die Studie eine Deutung („mehr Angriffe“, „Alltag“, „überzogener Anspruch“), die die Daten selbst nicht hergeben und die uns in der Ergebniskommunikation problematisch erscheint. Problematisch sehen wir an dieser Stelle, dass (a) die Studie die Deutung der Ergebnisse – zumindest implizit – befeuert und (b) diese Deutung in der Folge dazu führen kann, dass sich für Rettungskräfte der Umgang mit Konfliktsituationen erschwert.

Schlussfolgerungen, die Rettungskräften ein zunehmend gefährlicher werdendes Arbeitsumfeld suggerieren, sind aus Sicht der Aggressionspsychologie problematisch. Aus Forschungen ist bekannt, dass die individuelle Annahme einer gefährlichen Welt zu individuell aggressiveren Handlungstendenzen führt [5] [6]. Ambigue Reize in der Interaktion werden feindseliger Interpretiert, was die Wahrscheinlichkeit des Nutzens eigener aggressiverer Handlungsskripte erhöht. Dadurch erschwert sich die Interaktionsgestaltung mit der anderen Partei. Die subjektive Wahrnehmung, wie gefährlich Interaktionen in der eigenen Arbeitsumgebung sind, legt einen wesentlichen Grundstein für das eigene Handeln in Konflikten. Es macht einen Unterschied, ob davon die Rede ist, dass „es Übergriffe gibt“ oder ob von einem alltäglichen und immer größer werdenden Problem gesprochen wird.

Während Forscher*innen nicht in der Hand haben, wie Studien medial rezipiert werden, trägt die Ergebniskommunikation dazu bei, wie entsprechende Ergebnisse aufgefasst werden. In Bezug auf das Ziel ihrer Studie schreiben Sefrin und Kolleg*innen: „Es sollte nicht die absolute Zahl der Gewalttaten im Rettungsdienst eruiert werden, sondern es handelt sich vielmehr um eine Art der Gewaltübergriffe und deren Auswirkungen“ (S. 12). So sehr die hier vorgenommene Eingrenzung von Untersuchungsziel und Reichweite zu würdigen ist, so reflexionswürdig sind die in der Studie vorgenommenen Ursachenzuschreibungen sowie die gewählten Schlüsselwörter.

Die behauptete „Zunahme der Gewalt im Rettungsdienst“ (S. 1) findet in den Daten keinen Beleg und entbehrt angesichts der gewählten Methodik der Grundlage. Bei den in der Ergebniskommunikation vorgestellten Ursachenzuschreibungen bedient sich die Studie populärer Spekulationen. Die spekulierende Passage wiederum ist genau die Passage, die im Anschluss seitens des Deutschen Roten Kreuzes als zentrale Erkenntnis der Studie zitiert und damit perpetuiert wurde – ohne durch entsprechende sozialwissenschaftliche Forschungsarbeiten belegt zu sein. Dies gilt ebenfalls für den in diesem Zusammenhang behaupteten gesellschaftlichen Werteverfall. Gerade hier fehlt die Auseinandersetzung mit empirischen Befunden, nach denen Rettungsdienstmitarbeiter*innen in Bezug auf Vertrauen und Respekt seitens der Gesellschaft auf den Spitzenplätzen rangieren [7] [8].



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
15. Juni 2021

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