Krankenhaushygiene up2date 2021; 16(02): 127-128
DOI: 10.1055/a-1341-0294
Editorial

Corona, Corona, Corona – eine Gemütsbeschreibung

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Prof. Dr. med. Sebastian Lemmen

Seit über 20 Jahren arbeite ich als Krankenhaushygieniker und Infektiologe am Uniklinikum Aachen – klinisch und praxisorientiert, abwägend und rational – nicht immer unumstritten; und ich mache meine Arbeit gerne.

Mit Beginn der Pandemie vor einem Jahr hat sich alles geändert: mein bis dahin bunter und abwechslungsreicher Alltag besteht seitdem nur noch aus einem Thema: Corona, Corona, Corona.

Präsenztreffen in kleiner Runde mit dem erweiterten Vorstand wechseln sich mit virtuellen Meetings der Corona Task Forces unseres Hauses und den Krisenstäben der StädteRegion Aachen ab. Dazwischen die Beantwortung endlos vieler E-Mails mit besorgten Anfragen, Vorwürfen und destruktiver Kritik. Dasselbe Thema in immer neuen Facetten. Abends, müde und ausgelaugt zu Hause, dann der Anruf von Freunden „Was hältst du eigentlich von Corona, du bist doch ganz nah dran?“.

Wir konnten bisher Empfehlungen von RKI, KRINKO und Arbeitssicherheit an unser Haus praxisorientiert adaptieren, die Antworten hatten Bestand, man konnte sich darauf verlassen und danach arbeiten. Mit Beginn der Pandemie erscheinen jetzt diese Empfehlungen erstmals wie Gesetze. Ein Interpretationsspielraum existiert kaum noch, lokale Verhältnisse bleiben ungeachtet, die Angst vor Sanktionen ist groß. Hinzu kommen neue Coronaschutzverordnungen, Erlasse und Allgemeinverfügungen – diese sind adaptiert an ein sich ständig verändertes epidemiologisches Geschehen, neuen Erkenntnissen oder einfach nur der Politik folgend. Für uns bedeutet das, unsere Vorgaben vom Wochenanfang am Wochenende zu revidieren.

Mit dem Virus ist eine scheinbar unendliche Menge neuer Fragen und Themen assoziiert und einige wandeln sich über die Zeit:

So waren z. B. die Kriterien für Kontaktpersonen 1. Kategorie (KP) initial „Mitarbeiter ohne Mund-Nasen-Schutz mit Patientenkontakt über 15 Minuten in kurzer Distanz“; inzwischen hat sich dies bei uns dahingehend verschärft, dass wenn nicht Mitarbeiter und Patient bei Kontakt mindestens einen medizinischen Mund-Nasen-Schutz tragen bzw. alternativ, das medizinische Personal eine FFP2 Maske trägt, man zur KP wird. Mit dieser Definition drohten bei uns ganze Stationen wegen Personalmangels geschlossen werden zu müssen.

Gewandelt hat sich auch die Vorstellung von sinnvollen Masken:

Wenn initial die Alltagsmaske noch einen ausreichenden Fremdschutz darstellte, so ist dies heute nur noch durch einen medizinischen Mund-Nasen-Schutz gewährleistet. Am besten aber man trägt eine FFP2-Maske. Auch der Eigenschutz des medizinischen Mund-Nasen-Schutzes wird in Frage gestellt. Jahrelang habe ich diesen unseren Operateuren als ausreichend protektiv vermittelt – aber Chirurgen sind da zum Glück nicht so zimperlich.

Früher gingen wir davon aus, dass respiratorische Virusinfektionen überwiegend über Tröpfchen und selten auch durch Kontakt übertragen werden, heute beschäftigen sich Physiker und Ingenieure mit der Möglichkeit der Virustransmission über Aerosole. Ich bekam Anfragen aus der Verwaltung, ob man nicht Besprechungsräume mit entsprechenden Luftfiltergeräte ausstatten sollte. Der Mail hing ein Firmenprospekt mit dem Slogan „Viruskiller für Killerviren“ an. Ich habe abgelehnt.

Auch die Händedesinfektion hat einen neuen Stellenwert bekommen. Wenn ich mir früher in meinen kühnsten Träumen eine Warteschlange von Mitarbeitern vor Desinfektionsmittelspendern vorstellte, ist dies heute Realität: aber es sind Besucher beim Verlassen unseres Hauses ….

Ich musste in meinen alten Biochemiebüchern nachlesen, welche Rolle mRNA bei der Proteinbiosynthese an den Ribosomen spielt. So konnte ich selbst die Wirkweise der neuen mRNA-Impfstoffe verstehen und dann anderen erklären.

Aktuell beschäftigen uns die Mutationen von SARS-CoV-2 und wenn deswegen die Grenzen nach Österreich und in die Tschechei geschlossen werden, der Lockdown verlängert und die Quarantäne der Mutationsträger länger als sonst ist, überlegen wir, wie wir damit im eigenen Haus umgehen müssen. Vorgaben hierzu wird es bestimmt bald geben. Ich befürchte Isolierung einer jeden Mutation in einem Einzelzimmer.

In infektiologischen und krankenhaushygienischen Journals dominiert SARS-CoV-2 bzw. Covid-19, deren Epidemiologie, Transmission, Diagnostik und Therapie mit bisher meist frustranen Ergebnissen. Themen, wie multiresistente Erreger, Clostridioides difficile oder andere nosokomiale Infektionsentitäten scheinen aktuell nicht mehr relevant zu sein. Und ganz ehrlich, selbst wenn ein Artikel hierüber erscheint, scrolle ich weiter bis zum nächsten Coronartikel. Eine echte Hass-Liebe.

Meine Vorlesungen, bisher lebendig und engagiert im Hörsaal vor 250 Studenten gehalten, drohen als Zoom Meeting vor dem platten Bildschirm zu einem müden Abklatsch zu werden. Ich höre keine Reaktion auf meine Späße und kein Raunen auf meine Provokationen. Ich befürchte, je länger das anhält, desto flacher und langweiliger wird es für alle.

Vor Pandemiebeginn bin ich als Ausgleich einer gelben Filzkugel auf dem Tennisplatz hinterhergehechtet – meistens verlor ich –, heute versuche ich verzweifelt, Kraft- und Dehnungsübungen jungen YouTubern mit durchtrainierten Körper nachzumachen; da ist es auch kein Trost, dass es meinen Tennispartnern genauso ergeht.

Wenn ich mich jetzt so jammern höre, möchte ich aber auch erwähnen, dass ich das Privileg habe, täglich zur Arbeit gehen zu können und keine Existenzängste habe. Trotz Presseschelte bzgl. eines vermasselten Impfstarts in Deutschland, ist es in meinen Augen eine wissenschaftliche Glanzleistung, dass noch in demselben Jahr, in dem die Virussequenz bekannt wurde, mehrere hochwirksame Impfstoffe entwickelt und hergestellt wurden und weitere folgen werden. Ich hoffe daher, dass durch eine hohe Impf-Compliance in Kombination mit dem kommenden Frühjahr ein Abebben der Pandemie erreicht und wir zunehmend wieder unser „vorpandemisches Leben“ – im Berufsalltag wie im Privatbereich – zurückbekommen werden. Zumindest das, was wir davon wollen.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen der Artikel dieser ansonsten „coronafreien Ausgabe“.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Sebastian Lemmen



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
18. Mai 2021

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