Nervenheilkunde 2021; 40(03): 203
DOI: 10.1055/a-1298-0319
Buchbesprechungen

Psychiatrie in der DDR II. Weitere Beiträge zur Geschichte

Ekkehardt Kumbier (Hrsg.). Psychiatrie in der DDR II. Weitere Beiträge zur Geschichte. Schriftenreihe zur Medizin-Geschichte. Berlin: Be.bra wissenschaft, 2020, 432 Seiten, 32,00 Euro, ISBN 9783954102631

Als in der DDR ausgebildeter Nervenarzt und seit 1987 in der „Kinderneuropsychiatrie“ tätiger, wissenschaftlich und historisch orientierter Arzt und damit Teil des beschriebenen Systems hat mich die Fortsetzung der sehr fundierten und differenzierten Auseinandersetzung mit der Geschichte der Psychiatrie nach 1945 und dann speziell in der DDR in ihren Bann gezogen. Das ist zunächst dem Eingangskapitel, welches sich mit dem immer noch lesenswerten psychiatriekritischen Buch „Flucht in die Wolken“, das zu den illustrierenden Standardwerken in meinen studentischen Vorlesungen gehörte, und den fachlichen und politischen Reaktionen darauf beschäftigt, zu verdanken. Dass die insgesamt 21 Kapitel in dem 432 Seiten umfassenden Buch durch kinder- und jugendpsychiatrische Themen eingerahmt werden, zeugt davon, in welche Breite und Tiefe der Diskurs geht. Psychiatrie als ein mehr als andere medizinische Fächer gesellschaftlichen Erwartungen und Vorgaben ausgesetztes Fach bedarf der kritischen Rückschau, um reflektiert so unabhängig wie möglich seiner medizinischen und sozialen Verantwortung für psychisch kranke Menschen gerecht werden zu können. Diese Rückschau, zumindest was Entwicklungen in der DDR über 4 Jahrzehnte betrifft, ist mit diesem zweiten Band möglich.

Der Herausgeber hat den zweiten Band in 4 Abschnitte zum gesellschaftlich-politischen Kontext, zur Fächerdifferenzierung und Spezialisierung, zu diagnostischen und therapeutischen Ansätzen und zu Entwicklungen in einzelnen psychiatrischen Kliniken gegliedert. Bei den wissenschaftlichen Beiträgen handelt es sich um ein Konvolut, welches sowohl auf einzelne Persönlichkeiten wie Hans Szewczyk und Dietfried Müller-Hegemann, als auch auf Kliniken und Anstalten wie die Gerichtspsychiatrie der Charité, die Universitätsnervenklinik Jena, die Bezirksnervenklinik Ueckermünde, die Heil- und Pflegeanstalt Schwerin Sachsenberg, auf die Entwicklung der Klinischen Psychologie, der Gerichtspsychiatrie und der Kinder- und Jugendpsychiatrie und deren Organisation in Fachgesellschaften, auf präventive und therapeutische Verfahren wie Telefonseelsorge, Aversionstherapie, Dialyse, Psychopharmakatherapie im Kontext industrieller Auftragsforschung, auf Ideologismen, auf die Wiederspiegelung der Psychiatrie im Filmmedium und auf den Missbrauch der Psychiatrie in der Sowjetunion fokussiert.

Der Band setzt mit einem sehr hohen Anspruch, dem er größtenteils gerecht wird, die im ersten Band begonnene, fundierte und differenzierte Auseinandersetzung mit der Psychiatriegeschichte nach 1945, speziell in der DDR fort. Neuere historische Forschungsarbeiten werden die oder den Herausgeber nötigen, in absehbarer Zeit diese jetzt schon verdienstvolle Reihe, um einen dritten Band zu erweitern.

Frank Häßler, Rostock



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Article published online:
09 March 2021

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