Fortschr Neurol Psychiatr 2021; 89(01/02): 10-11
DOI: 10.1055/a-1253-9343
Editorial

Elektrokonvulsionstherapie – eine Blackbox?

Electroconvulsive therapy – a blackbox?
Peter Falkai
,
Andrea Schmitt

Nach aktuellen Behandlungsleitlinien wird die Anwendung von Elektrokonvulsionstherapie (EKT) bei therapieresistenter Depression empfohlen. Deutschlandweit wird die EKT jedoch nur bei ca. 1,7 % aller Patienten mit affektiven Störungen und ca. 1,5 % der Patienten mit Major Depression angewendet [1]. Dies ist eine niedrige Anwendungsrate wenn man die Häufigkeit von therapieresistenter Depression betrachtet, die nach unwirksamen Therapieversuchen mit zwei Antidepressiva bei etwa 50 % liegt [2]. Ein höheres Alter, weibliches Geschlecht, und das Vorliegen psychotischer Symptome sind mit einer höheren EKT-Rate assoziiert [1]. Dies ist einerseits einem hohen logistischen Aufwand mit dem Einsatz von Anästhetika und Muskelrelaxantien und andererseits den Nebenwirkungen wie reversiblen Störungen des Kurzzeitgedächtnisses geschuldet. Dennoch ist die EKT ein sicheres Therapieverfahren, wenn Begleiterkrankungen der Patienten sorgfältig abgeklärt werden. Kurzfristige Blutdruckspitzen werden gut toleriert, wodurch das Risiko von Schlaganfällen eher gering ist. In dieser Ausgabe von Fortschritte der Neurologie Psychiatrie wird eine Kasuistik vorgestellt die zeigt, daß bei Vorliegen von zerebralen vaskulären Malformationen wie einem Kavernom der Medulla oblongata neben einem kontinuierlichen Blutdruckmonitoring vorbereitend eine neurochirurgische und anästhesiologische Konsultation nebst umfassender Aufklärung erfolgen sollte [3]. Um kognitive Nebenwirkungen zu minimieren, wird die rechtshemisphärische unilaterale ultrakurze Impuls-EKT bei einer Mehrheit der Patienten angewendet [4].

Dabei ist die frühe Identifikation von Patienten mit schlechtem Therapieansprechen nach EKT ein neues Forschungsfeld. Hierzu wurde der „Seizure Quality Index“ (SQI) entwickelt, der ein mangelndes Ansprechen auf EKT mit einer Sensitivität von 84,6 % und einer Spezifität von 61,5 % prädizieren konnte [5]. Da die Anfallsqualität mitentscheidend für die Therapieresponse ist, wurde in diesem Zusammenhang insbesondere die Anwendung von Anästhetika untersucht. So konnte gezeigt werden, dass bei Anwendung der modernen Kombination von S-Ketamin und Propofol eine höhere Propofol-Dosis mit schwächerer Anfalls-Qualität assoziiert war. Bei diesen Patienten könnte eine verminderte Propofol-Dosis und zusätzliche Gabe von Ketamin zu einer Qualitätsverbesserung führen [6].

Bislang ist der neurobiologische Hintergrund des Therapieansprechens auf EKT weitgehend unbekannt. Die Blutkonzentration von Natrium zeigte sich bei Patienten mit Depression assoziiert mit dem EKT-Parameter interhemisphärische Kohärenz, so erhöhte eine niedrige Konzentration von Natrium die Qualität EKT-induzierter Anfälle [7]. In einer prospektiven Studie wurden vor EKT-Behandlung im Liquor cerebrospinalis Marker des Kynurenin-Pathways und Marker für Neurodegeneration (Tau-Proteine, ß-Amyloid, Neurogranin), des Immunsystems, der neurotrophe Faktor VEGF und Phosphatidylcholin, ein Phospholipid der Zellmembran, sowie Endocannabinoide untersucht. Eine negative Assoziation mit dem SQI für das Therapieansprechen zeigten insbesondere T-tau, Phosphatidylcholin und Interleukin-8. Eine Remission der depressiven Symptome war negativ assoziiert mit dem Endocannabinoid Arachidonylethanolamid und dem Makrophagen-spezifischen Protein CD163. Höhere Konzentrationen dieser Liquormarker standen in Zusammenhang mit einer schlechteren Anfallsqualität [8]. Eine Untersuchung kortikaler Marker mittels MRT-basierter Morphometrie vor EKT ergab bei Patienten mit therapieresistenter Depression als Prädiktor für das Therapieansprechen die Dicke des rostralen anterioren zingulären Kortex und die Schwere der Symptomatik gemessen mit der Hamilton Depression Rating Skala [9]. Diese ersten Einblicke in neurobiologische Mechanismen basieren jedoch nur auf kleinen Stichproben, und sollten zu weiteren Untersuchungen des Therapieansprechens auf EKT ermutigen. So wurde kürzlich das „Genetics of ECT International Consortium“ (Gen-ECT-ic) gegründet, das die derzeit größte klinische Stichprobe zusammenstellt um bei 30.000 Patienten weltweit mittels Genom-weiter Assoziations-Studien (GWAS) genetische Befunde zum Therapieansprechen auf EKT bei schwerer depressiver Erkrankung zu untersuchen [10]. Da der Schweregrad von Depression mit dem genetischen Risiko assoziiert ist, könnte solch eine Studie wertvolle Ergebnisse zur Prädiktion des Verlaufs nach EKT Behandlung liefern und dazu beitragen, die Blackbox des neurobiologischen Hintergrunds dieser Therapiemethode zu erhellen.



Publication History

Article published online:
19 January 2021

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  • Literatur

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  • 2 Souery D, Oswald P, Massat I. et al. Clinical factors associated with treatment resistance in major depressive disorder: results from a European multicenter study. J Clin Psychiatry 2007; 68 (07) : 1062-70.
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  • 4 Luccarelli J, McCoy Jr TH, Shannon AP. et al. Rate of continuing acute course treatment using right unilateral ultrabrief pulse electroconvulsive therapy at a large academic medical center. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 2020; Nov 16 online ahead of print. DOI: 10.1007/s00406-020-01202-2
  • 5 Kranaster L, Jennen-Steinmetz C, Sartorius A. A novel seizure quality index based on ictal parameters for optimizing clinical decision-making in electroconvulsive therapy. Part 2: Validation. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 2019; 269 (07) : 859-865.
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