Zusammenfassung
Eine 41-jährige Patientin konsultierte eine Hautärztin wiederholt wegen einer nach
einer Schwangerschaft aufgetretenen Melanom-verdächtigen Pigmentläsion im Bereich
der Schulter; die Hautärztin vermerkte die Differenzialdiagnose eines malignen Melanoms,
führte aber erst nach 2 Jahren eine Biopsie durch, die ein Melanom ergab (3,3 × 2,3 cm
großes superfiziell spreitendes malignes Melanom mit Regression und Ulzeration sowie
Satellitenmetastasen).
Sowohl die von der Patientin angerufene Gutachterkommission bei der zuständigen Ärztekammer
als auch das Landgericht, an dem die Patientin eine Arzthaftungsklage gegen die Hautärztin
erhob, als auch schließlich das Oberlandesgericht als Berufungsinstanz bestätigten
einen vorwerfbaren Behandlungsfehler der Hautärztin, da die Unterlassung einer Biopsie
nicht dem Facharztstandard entsprochen habe. Aufgrund des Befunderhebungsfehlers trat
eine Beweislastumkehr für die bei der Patientin aufgetretenen Gesundheitsschäden ein.
Auch unter Einsatz zusätzlicher diagnostischer Verfahren wie der Dermatoskopie verbleibt
eine diagnostische Ungewissheit bei einem Teil von Pigmentläsionen und das Vorliegen
eines malignen Melanoms kann in diesen Fällen nicht mit Sicherheit ausgeschlossen
werden. Diese Ungewissheit sollte mit dem Patienten besprochen und darauf hingewiesen
werden, dass eine definitive diagnostische Klärung unklarer Pigmentveränderungen eine
Exzision oder Biopsie der Läsion erforderlich macht mit der potenziellen Konsequenz,
einen negativen dermatopathologischen Befund zu erhalten und damit retrospektiv eine
„Übertherapie“ durchgeführt zu haben. Im Sinne der Einhaltung des Facharztstandards
ist diese „Übertherapie“ anzuraten, da die mit einer im Nachhinein als unnötig beurteilten
Exzision einhergehenden Folgen wie eine Narbenbildung geringer wiegen als die Diagnoseverspätung
beim malignen Melanom. Die Entscheidung des Patienten für oder gegen eine Exzision
oder Biopsie sollte zur Vermeidung haftungsrechtlicher Konsequenzen schriftlich dokumentiert
werden.
Abstract
A 41-year-old female patient consulted a dermatologist repeatedly because of a melanoma-suspicious
pigment lesion at the shoulder that had developed after pregnancy; the dermatologist
noted the differential diagnosis of a malignant melanoma, but did not perform a biopsy
until two years later which revealed a melanoma (3.3 × 2.3 cm superficial spreading
malignant melanoma with regression and ulceration as well as satellite metastases).
The Independent Medical Expert Council (IMEC), the regional court and the appellate
court affirmed a medical treatment error, since the omission of a biopsy did not correspond
to the specialist medical standard. Due to the error of not-performing a necessary
diagnostic procedure, the burden of proof was reversed for the damage to the patientʼs
health.
Even with the use of additional diagnostic procedures such as dermoscopy, a diagnostic
uncertainty remains for some pigmented lesions, and a malignant melanoma cannot be
excluded with certainty in these cases. This uncertainty should be discussed with
the patient and it should be pointed out that a definitive diagnostic clarification
of unclear pigmentary lesions requires an excision or a biopsy of the lesion with
the potential consequence of obtaining a negative dermatopathological finding. In
terms of adherence to the standard of medical specialists, this „overtherapy“ is still
advisable, since the consequences of a retrospectively unnecessary excision, such
as scarring, weigh less than the delay in diagnosis of malignant melanoma. The patient's
informed decision for or against an excision or a biopsy should be documented in writing
to avoid medical liability consequences.