PiD - Psychotherapie im Dialog 2021; 22(02): 117
DOI: 10.1055/a-1215-2636
Lesenswert

Frédéric Brun: Perla

Trauern, wachsen, verzeihen
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Faber & Faber, Leipzig 2020, ISBN: 978–3–86730–170–1, 20,00 €, 120 Seiten

Der Roman „Perla“ ist der Versuch des Schriftstellers, im Rahmen seiner Trauerarbeit seine Mutter kennenzulernen, sein Versuch, die Beziehung zwischen ihnen von dem schweren Trauma zu befreien, das seine Mutter begleitet hat – und einen Teil von ihr nicht erreichbar gemacht hat. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurde sie mit einem der letzten Transporte nach Auschwitz deportiert. Sie hat überlebt – aber seelisch nicht vollständig. Frédéric Brun beschreibt die Wirkung dieses Traumas auf die Mutter-Kind-Beziehung.

Perla ist sehr schnell gelesen, ich habe das Buch wie ein kleines Gedicht erlebt. Brun schreibt direkt, respektvoll und unkompliziert – sehr französisch. Er teilt mit dem Leser die Entwicklung seiner Gedanken ebenso wie seine Lebenserlebnisse, seinen Weg vom Sohn sein zum Vater sein. Während der Lektüre hatte ich immer wieder das Bedürfnis, ein paar Sätze niederzuschreiben, weil sie mich berührt und Resonanz in mir erzeugt haben. „Wir haben nicht genug von einander profitiert. Es war zu viel Stacheldraht zwischen uns.“

Brun sucht Antworten, indem er sich mit der deutschen Literatur befasst. So versucht er, die deutsche Gesellschaft zu verstehen und zu ergründen, wie Auschwitz möglich werden konnte. Er beleuchtet in seinem Roman, wie sich dieser traumatische Weltkrieg auf jeden Einzelnen ausgewirkt hat. Mir hat das Buch einen Anstoß gegeben, meine französische Kultur zu überdenken: Waren wir wirklich „besser“ in diesem Zweiten Weltkrieg? Gab es nicht auch bei uns genügend „Kollabos“ – deutlich mehr als Widerstandskämpfer in der Résistance? Wir Franzosen sind stolz, denn wir haben vor Jahrhunderten die Revolution gemacht! So ein starker Resilienzfaktor! Führt das vielleicht dazu, dass wir bis heute Dinge bagatellisieren, die uns in weniger glorreichem Licht dastehen lassen?

In den Wörtern von Frédéric Brun habe ich mich zuhause gefühlt – hätte ich das als Deutsche anders empfunden? Möglicherweise. Ich empfehle, Perla zu lesen. Das Buch ist, meiner Meinung nach, vielleicht kein Meisterstück der Literatur, aber ein interessanter Spaziergang im Kopf des Schriftstellers, und es geht um Themen, die uns im Rahmen unserer täglichen Arbeit als PsychologInnen regelmäßig begegnen.

„Jede Person sollte lernen, die Vergangenheit zu überwinden. „Vergangenheitsbewältigung“. Die Länge dieses deutschen Wortes veranschaulicht die Schwierigkeit der Aufgabe.“

Caroline Grimm-Astruc, Querfurt



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Article published online:
26 May 2021

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