Pädiatrie up2date 2022; 17(02): 109-123
DOI: 10.1055/a-1194-1936
Endokrinologie/Stoffwechsel

Fütterstörungen und kindliche Essstörungen

Uwe Büsching

Ess- und Fütterstörungen im frühen Kindesalter sind ein häufiges Problem in pädiatrischen Praxen. Anamnese und eine am Problem orientierte Diagnostik schaffen die Grundlage für eine Stabilisierung der Mutter-Kind-Beziehung. Zuhören und professionell Beraten ist in vielen Fällen eine enorme Belastung. Der Beitrag gibt Empfehlungen für die pädiatrische Praxis anhand aktueller Leitlinien.

Kernaussagen
  • Die ICD-10 F98.2, die Fütterstörung im frühen Kindesalter, ist die wichtigste Kodierungsziffer der kindlichen Essstörung/Fütterstörung.

  • Theoretisch wird zwischen organischer und nicht organischer Gedeih- oder Fütterstörung/kindlicher Essstörung unterschieden. In der pädiatrischen Praxis ist dies wenig hilfreich, da sich somatische, psychosoziale und interaktionelle Faktoren gegenseitig beeinflussen.

  • Organische Ursachen sind grundsätzlich vor einer verbalen Intervention auszuschließen.

  • Die Essstörungen sind kein Unfall, sie entwickeln sich allmählich zu einem immer ernsteren Problem.

  • Lernen am Vorbild ist ein wichtiger Antrieb, da das Kind erlebt, dass auffälliges Essverhalten bei einem Elternteil oder den Geschwistern mit Zuwendung beantwortet wird.

  • Die Angst der Mutter zu versagen oder das Kind könne womöglich verhungern, ist ein wichtiger Antrieb. Spätestens in diesem Moment werden dem Kind fälschlicherweise „Leckereien“ angeboten.

  • Eltern kennen oft nicht die rasche altersabhängige und nicht altersnormierte Entwicklung im Vorschulalter: Erstreben der eigenen Autonomie – im Volksmund auch „Trotzalter“ genannt.

  • Essstörungen können im gesamten Vorschulalter auftreten und eine deutliche Tendenz zur Persistenz haben. Im Rahmen der U8 und U9 muss danach gefragt werden.

  • Bei offensichtlichem Verdacht auf eine Essstörung/kindliche Fütterstörung müssen Familienanamnese und kindliches Essverhalten genau abgeklärt werden.

  • Die Beziehung zur versorgenden Bezugsperson ist von besonderer Bedeutung. Eine Beziehungsstörung muss – auch ausgehend von einer psychiatrischen Erkrankung der Bezugsperson – ausgeschlossen werden. Beziehungsstörungen sind mit einer ungünstigeren Prognose verbunden.



Publication History

Article published online:
13 June 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

 
  • Literatur

  • 1 Kassenärztliche Vereinigung. Hrsg. ICD-10-GM 2021. Zur Kodierung der Behandlungsdiagnosen in der vertragsärztlichen Versorgung. Im Internet (Stand: 20.03.2022): https://www.kbv.de/html/1150_50125.php
  • 2 Zero To Three, National Center for Infants, Toddlers, and Families (USA). Hrsg. DC:0 – 5, Diagnostische Klassifikation seelischer Gesundheit in der Frühen Kindheit. Stuttgart: Kohlhammer; 2019
  • 3 von Gontard A, Möhler E, Bindt C. Leitlinien zu psychischen Störungen im Säuglings-, Kleinkind- und Vorschulalter (S2k) AWMF Registriernummer 028 – 041; 2015.
  • 4 Bode H, Büsching U, Kohns U. Psychosomatische Grundversorgung in der Pädiatrie. Stuttgart: Thieme; 2016
  • 5 von Gontard A. Säuglings- und Kleinkindpsychiatrie. Stuttgart: Kohlhammer; 2010
  • 6 Bernard-Bonnin AC. Feeding problems of infants and toddlers. Can Family Phys 2006; 52: 1247-1251
  • 7 Chatoor I. Fütterstörungen bei Säuglingen und Kleinkindern. Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten. Stuttgart: Cottaʼsche Buchhandlung; 2012
  • 8 Servin C, Hellerfelt S, Botvid C. et al. Special diets are common among preschool children aged one to five years in south-east Sweden according to a population-based cross-sectional survey. Acta Paediatrica 2017; 106: 634-638
  • 9 von Hofacker N. Frühkindliche Fütterstörungen – neuere Entwicklungen und ihre Relevanz für die Praxis. Monatsschr Kinderheilk 2009; 157: 567-573
  • 10 Esser G, Ballaschk K. Handanweisung für Kinder- und Jugendärzte zum Mannheimer Elternfragebogen MEF (für die U7 und U7a). In: BVKJ. ed. Manual zum Umgang mit dem Gesundheitscheckheft des BVKJ. Köln: BVKJ; 2006
  • 11 Arbeitsstelle Frühförderung Bayern. Accessed March 20, 2022 at: http://www.fruehfoerderung-bayern.de
  • 12 Cierpka M. Hrsg. Frühe Kindheit 0 – 3. Beratung und Psychotherapie für Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern. Berlin: Springer; 2012
  • 13 Kast-Zahn A, Morgenroth H. Jedes Kind kann richtig essen. Schorndorf: Oberstebrink; 1999
  • 14 Wright CM, Parkison KN, Shipton D. et al. How do toddlers eating problems relate to their eating behavior, food preferences, and growth?. Pediatrics 2007; 120: e1069-e1075