Krankenhaushygiene up2date 2020; 15(03): 207-208
DOI: 10.1055/a-1166-8862
Editorial

Von Bürokratie über Psychohygiene zur Infektionsprävention

Sebastian Schulz-Stübner

Thomas Peterson vom Institut für Demoskopie in Allensbach berichtet in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 19.02.2020 über die Last mit der Bürokratie: „Unterdessen sammeln sich in den Umfragen des Instituts für Demoskopie Allensbach die Indizien für einen wachsenden Unmut der Bürger. So zeigte eine Umfrage unter Alten- und Krankenpflegern, dass diese den hohen Verwaltungsaufwand als die größte Belastung in ihrem Arbeitsalltag empfinden, gleichauf mit dem auf den verbreiteten Personalmangel zurückzuführenden Zeitdruck. (…) Bereits 2012 sagten zwei Drittel der in einer Umfrage befragten niedergelassenen Ärzte, die starke Regulierung, die Fülle an Anweisungen und Vorgaben, an die man sich als Arzt halten müsse, sei ein sehr wichtiger Grund für den Ärztemangel in Deutschland.“ In der aktuellen Umfrage stellt er gleichzeitig fest: „Auch eine Grundhaltung, von der man annehmen kann, dass sie im Alltag die Bürokratie vermehrt, ist vielen Deutschen nicht fremd. In der Umfrage wurde den Befragten die Aussage vorgelegt: ‚Wenn möglich lasse ich mir alles schriftlich geben. Dann bin ich abgesichert, wenn etwas schief läuft‘. 60 % sagen: ‚Das ist auch meine Haltung‘.“

Dieses Dilemma dürfte den meisten von Ihnen aus dem Hygienealltag bekannt sein, denn die vermeintliche Lösung eines praktischen Problems bei der Umsetzung von Infektionspräventionsmaßnahmen ist nicht selten eine schriftliche Arbeitsanweisung, eine zusätzliche Dokumentation oder Statistik oder die Drohung mit der „juristischen Absicherung“, die dem erfahrenen Anwalt genauso ein Graus sein dürfte wie dem Infektiologen die „antibiotische Abdeckung“. Der beste Schutz vor Schadenshaftung ist nämlich der verhinderte Schaden durch gelebte Infektionsprävention und die Kommunikation mit Patienten und Angehörigen.

Stattdessen gibt es nicht selten – im Klinikjargon als „psychohygienisch“ bezeichnete – Maßnahmen, die primär der Gewissensberuhigung der Beteiligten und dem Gefühl „etwas getan zu haben“ dienen, denen aber die wissenschaftliche Grundlage oder ein nachvollziehbarer praktischer Nutzen fehlt.

Dabei könnte uns gerade echte „Psychohygiene“ helfen, unsere Verhaltensmuster so zu entwickeln, dass infektionspräventives Verhalten verinnerlicht wird und automatisch abläuft.

Der Begriff der Psychohygiene (auch psychische Hygiene genannt) als Lehre vom Schutz und dem Erlangen der psychischen Gesundheit wird im neueren Schrifttum dabei häufig durch den Terminus „Resilienz“ ersetzt. In Wikipedia findet man folgende Begriffserklärung: „Früher bezeichnete Resilienz eine spezielle Eigenschaft von Personen (besonders Kindern), die ihre psychische Gesundheit unter Bedingungen erhielten, unter denen die meisten Menschen zerbrochen wären. (…) Der Begriff wird inzwischen aber auch für Menschen verwendet, die mit Belastungen der Arbeitswelt in angemessener Weise umgehen und so ihre psychische Gesundheit erhalten. (…) Zur Resilienz gehören vor allem die wahrgenommenen Perspektiven, die Akzeptanz des Unveränderbaren und die Konzentration aller Energien auf das als nächstes zu Bewältigende und die dabei entwickelten Strategien.“

Lassen Sie uns also die echte Psychohygiene, getragen von einem wahrhaftigen Bestreben zur institutionellen und persönlichen Weiterentwicklung und praktischem Nutzen ohne weitere bürokratische Auswüchse eines Pseudosicherheitsdenkens, wieder in den hygienischen Alltag zurückholen – zum Wohle von Patienten, Angehörigen, Mitarbeitern im Gesundheitswesen und nichts zuletzt dem Hygienefachpersonal selbst!

Sebastian Schulz-Stübner



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
18. August 2020

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