Osteologie 2020; 29(03): 175
DOI: 10.1055/a-1142-1116
Editorial

Körperliches Training und Osteoporose – Evidenzen, Umsetzung, Perspektiven

Exercise and osteoporosis – evidence, implementation and perspectives
Wolfgang Kemmler
1   Institute Institut für Medizinische Physik/Institute of Medical Physics, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
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Körperliches Training wird aus biomedizinischer Sicht meist als bestenfalls mäßiggradig wirksames Agens zur Beeinflussung der Osteoporose-Erkrankung angesehen. Ergebnisse aktueller Meta-Analysen, wie die von Shojaa et al. und Kemmler et al. in dieser Ausgabe vorgelegten, bestätigen diese Einschätzung limitierter Effektivität körperlichen Trainings. Ein kritischer Blick auf die Daten zeigt dabei eine sehr hohe Varianz der Ergebnisse. Zum einen negative Effekte, also Ergebnisse, die ungünstiger als in einer nicht trainierenden Kontrollgruppe liegen (!), zum anderen herausragende Effekte im oberen Bereich dezidierter pharmakologischer Therapie. Sichtet man die zugrunde liegenden Einzelstudien mit negativem Ergebnis, hat man vielfach den Eindruck, dass aufs Geratewohl, weitgehend ohne Berücksichtigung vorliegender mechanischer, osteologischer und/oder trainingswissenschaftlicher Erkenntnisse, Studien initiiert wurden – ein in der pharmakologischen Forschung völlig undenkbares Vorgehen. Tatsächlich zeigt der Beitrag von Stengels et al. in dieser Ausgabe klar auf, dass insbesondere die Generierung knochenrelevanter Trainingsprotokolle im Spannungsfeld der Frakturprophylaxe nicht eben trivial ist. Die Evaluierung dieser häufig aus tierexperimentellen oder leistungssportlichen Studien abgeleiteten Trainingsempfehlungen in einem relevanten Kollektiv mittels randomisierter klinischer Untersuchung (von Stengel et al.) bestätigt dabei nicht nur den knochenanabol/sturzreduktiven Effekt körperlichen Trainings, sondern dessen übergreifende Wirksamkeit auf eine Vielzahl von Risikofaktoren und Erkrankungen höheren Lebensalters. Die praktische Umsetzung der im „Elfenbeinturm“ Wissenschaft validierten Trainingsprotokolle im stationären und ambulanten Trainingsbetrieb stellt eine nicht zu unterschätzende Hürde im Prozess der Implementierung von Sportprogrammen dar. Peters und Bode schildern im Spannungsfeld der Therapie bzw. Tertiärprävention ihr übergreifendes, stationäres und auch ambulantes Konzept zur Patientenschulung mit dem Schwerpunkt Bewegungstherapie. Die just abgeschlossene Evaluierung ihres Konzeptes zeigt dabei eine hohe Nachhaltigkeit der Trainingsdurchführung im Nachgang der stationären Maßnahme. Rehabilitationssport bzw. Funktionstraining, als im SGB IX festgeschriebene, ärztlich verordnete und von den Rehabilitationsträgern zu erbringende Leistung, erscheint nicht zuletzt durch die hohe Dichte, die konsistente und zwingend lizenzierte Supervision sowie die Kostenfreiheit der Angebote als ideales Vehikel zur Sekundär- und Tertiärprävention der Osteoporose durch körperliches Training (siehe Beitrag BVS-Bayern e.V.). Eine deutliche Optimierung beider Formate im Spannungsfeld der Prozess- und Ergebnisqualität scheint indes möglich und nötig, um eine übergreifende, flächendeckende Effektivität dieser Angebote zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang legen Faul et al. schließlich ein Qualitätsmanagementkonzept für den Rehabilitationssport bei Osteoporose vor, das in enger Kooperation mit dem verantwortlichen Fachverband und den unterschiedlichen Leistungserbringern vor Ort in Bayern erfolgreich evaluiert wurde, derzeit aber leider keine Anwendung findet.

Perspektivisch ist – was Studienlage, Standardisierung, Implementierung und Generierung neuer Angebote im Spannungsfeld körperliches Training und Osteoporose betrifft – noch deutlich „Luft nach oben“. Ein dringend anzugehendes Projekt mit Implikationen auf alle genannten Bereiche sollte dabei die Überarbeitung der exzellenten, aber in die Jahre gekommenen „Leitlinie Physiotherapie und Bewegungstherapie bei Osteoporose“ sein.



Publication History

Article published online:
17 September 2020

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