Z Sex Forsch 2020; 33(01): 55-56
DOI: 10.1055/a-1123-0912
Buchbesprechungen

The State of Affairs. Rethinking Infidelity

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Esther Perel. The State of Affairs. Rethinking Infidelity. New York, NY: Harper Collins 2017. 319 Seiten, USD 16,99

Rund zehn Jahre ist es her, dass die Psychologin und Therapeutin Esther Perel mit ihrem 2006 erschienenen Buch „Mating in Captivity“ weltberühmt wurde – Sex in der Ehe, so die These im Titel, gleiche der „Paarung in Gefangenschaft“. Übersetzungen in 24 Sprachen zeigten, dass ihr Thema, die Fragilität sexuellen Begehrens in langjährigen Paarbeziehungen, kulturunabhängig viele Menschen bewegt. Nachdem sie sich in ihrer New Yorker Praxis lange Zeit mit der Therapie sexloser Paare beschäftigt hatte, richtete Esther Perel ihren Fokus auf das Thema Fremdgehen. Mehr als sechs Jahre lang hörte sie Paaren zu, die durch Seitensprünge in Krisen geraten sind. Ihr Buch „The State of Affairs. Rethinking Infidelity“ richtet sich an Betroffene, aber auch an Fachleute. Es lädt dazu ein, das emotional und moralisch polarisierende Phänomen der Untreue und des Ehebruchs verständnis- und lösungsorientiert zu betrachten.

Das Buch enthält 15 Kapitel und ist in vier Teile gegliedert. Zunächst widmet sich Perel der Frage, was Untreue heute eigentlich ist. Gehört etwa der Chat-Kontakt zu Ex-Partner_innen dazu? Anstatt autoritative Antworten zu geben, lässt sie ihre Klient_innen sprechen und zeigt auf, wie individuell Einzelpersonen und Paare hier die Grenzen ziehen. Im zweiten Teil des Buches geht es um die Folgen des Fremdgehens. Esther Perel nimmt die Kränkungen, die Eifersucht und den Schmerz der Betrogenen sehr ernst, widmet sich aber auch den Schuldgefühlen der Fremdgehenden sowie den inneren Konflikten der Geliebten in der Triade. Sie erläutert, warum Treuebruch so wehtut und inwiefern es schlimmere und weniger schlimme Formen des Betrugs gibt. In ihrer Darstellung kombiniert sie stets anonymisierte Fälle aus ihrer Praxis mit soziokulturellen Betrachtungen und Befunden aus der Fachliteratur. Dadurch ist der Text sehr gut lesbar.

Im dritten Teil des Buches geht es um die Motive und Bedeutungen des Fremdgehens. Perel widerspricht der Annahme, dass Fremdgehen stets ein Symptom von Beziehungsdefiziten sei. Auch in guten Ehen seien Seitensprünge zu finden. Zur Verarbeitung von Seitensprüngen sei es wichtig herauszufinden, wofür sie stehen. Der vierte und letzte Teil konzentriert sich auf die Folgen von Seitensprüngen. Führen sie zur Trennung, zu einer anhaltend vergifteten Beziehung oder – im besten Fall – zu einer durch die Krise transformierten, lebendigeren Zweisamkeit? Und wie reagiert das Umfeld? Früher war Scheidung für die betrogene Ehefrau ein Tabu, heute scheint Scheidung die Pflicht zu sein. Betrogene, die an der Ehe festhalten, gelten laut Perels Beobachtung heutzutage eher als schwach und abhängig – nicht etwa als liebes-und bindungsfähig.

Grundlegende Neuigkeiten hat Perels Buch kaum zu bieten. Sein Wert liegt vielmehr darin, das bunte Kaleidoskop der Konstellationen aufzuzeigen, die Komplexität zu würdigen und der Simplifizierung aus dem Weg zu gehen. 2019 erschien die deutsche Übersetzung des Werkes. Esther Perel ist in Sozialen Medien sehr professionell präsent (www.estherperel.com).

Nicola Döring (Ilmenau)



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
12. März 2020

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