Der Klinikarzt 2020; 49(04): 113
DOI: 10.1055/a-1110-5887
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Man ist, was man isst.

Achim Weizel
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Publication Date:
09 April 2020 (online)

Die Ernährung ist ein Thema, das uns alle betrifft. Täglich entscheiden wir was wir essen, und wie viel wir von einzelnen Nahrungsbausteinen zu uns nehmen. Es steht außer Frage, dass wir mit der Wahl der Nahrung unseren Gesundheitszustand beeinflussen können. Bei Erkrankungen wie der Gluten-Enteropathie macht sich der Einfluss der Ernährung direkt bemerkbar. Bei anderen Erkrankungen, zum Beispiel beim Diabetes mellitus, sind die Beziehungen eher indirekt. Es gibt seit Jahrzehnten intensive Forschung auf dem Ernährungsgebiet. Ein Schwachpunkt ist dabei, dass die Untersuchungen nicht analog der Medikamentenprüfung im Doppelblindversuch durchgeführt werden können, da bei Ernährung keine Placebo-Variante eingeschlossen werden kann. Aus diesem Grund stammen die Ergebnisse der Ernährungsforschung großenteils aus kleinen Kollektiven oder aus epidemiologischen Untersuchungen, ein Nachweis durch evidenzbasierte Ergebnisse ist schwierig. Daher sind auch Nahrungsempfehlungen mit großen Unsicherheiten verbunden, und der Ausgang ist nicht immer vorhersehbar. So haben die Empfehlungen in den 1970er und 1980er Jahren, den Fettkonsum einzuschränken, tatsächlich zu einer Reduktion der Fettzufuhr geführt, unerwarteterweise stieg aber kompensatorisch der Kohlenhydratkonsum, was generell als Mitursache der Adipositas-Epidemie angesehen wird.

Seit einiger Zeit wird jetzt von politischer Seite her versucht, auf die Ernährungsgewohnheiten Einfluss zu nehmen, wobei vor allem der Zucker- und Salzkonsum im Vordergrund stehen. Da man dem Verbraucher aber den Konsum nicht verbieten kann, führt hier der Weg über die Aufklärung, der Konsument soll wissen, was die Nahrungsmittel enthalten und dann seine bewusste Entscheidung treffen. Über Jahre wurde in vielen Ländern die Vorgehensweise diskutiert, die Politik in Deutschland war hier sehr zurückhaltend, um es vorsichtig zu sagen. Im Herbst vergangenen Jahres folgte hier eine Sinnesänderung und die Landwirtschaftsministerin hat sich für die Einführung des Nutri-Score entschieden. Die Idee einer optischen Kennzeichnung der Lebensmittel ist schon sehr alt, sie war in Deutschland, im Unterschied zu Frankreich, bisher aber nicht durchsetzbar. Andere Länder wie Spanien, Belgien, Portugal, Schweiz und Luxemburg haben die Kennzeichnung eingeführt, alle auf freiwilliger Basis.

Beim Nutri-Score werden ungünstige Lebensmittel (Kalorien, Zucker, gesättigte Fettsäuren und Natrium) sowie günstige Lebensmittel (Protein, Ballaststoffe, Obst, Gemüse, Nüsse) mit einer Punktzahl versehen, was schlussendlich in einer Graduierung von grün (gesund) bis rot (ungesund) mündet. Die optischen Zeichen sind auch für den Laien leicht zu deuten und erlauben jedenfalls eine einfachere Beurteilung der Qualität der Lebensmittel als das mühsame Lesen der kleingedruckten Lebensmittelbestandteile auf dem Etikett. Die Kennzeichnung erfolgt nach wie vor auf freiwilliger Basis und ist nicht europaweit eingeführt, im kommenden Jahr ist in Deutschland mit der praktischen Umsetzung zu rechnen. Manche Länder gehen in dieser Hinsicht noch weiter, sie haben eine Zuckersteuer eingeführt, die vor allem den Kaloriengehalt der bei Jugendlichen beliebten Softdrinks vermindert.

Die Lebensmittelindustrie hat von sich aus schon Maßnahmen ergriffen, so haben die Firmen Danone, Iglo, Bofrost und Nestlé die Kennzeichnung bei einigen ihrer Artikel eingeführt. Die Hoffnung, die hinter der Einführung steckt, ist, dass durch die „Warnung“ vor ungünstigen Lebensmitteln ihr Konsum reduziert wird und damit insbesondere die Entwicklung von Adipositas und Diabetes bei weiten Bevölkerungskreisen verhindert wird. Wie bei vielen Fragen der Ernährung gibt es dazu bis heute keine sicheren Daten, sodass erst die Zukunft zeigen wird, ob diese Art der Aufklärung sich positiv auf die Gesundheit der Bevölkerung auswirkt Es ist allerdings keine Frage, dass sich bei vielen Gruppen der Bevölkerung die Einstellung zur Nahrung geändert hat. Der Erfolg der Bioprodukte und die Zunahme des Vegetarismus und Veganismus sprechen hier eine deutliche Sprache. Es ist fast zu erwarten, dass die Kennzeichnung das Essverhalten vor allem der Menschen beeinflusst, die an sich schon bewusst mit der Nahrung umgehen, während die Menschen, die ihre Nahrung nach dem Gefühl und nicht nach dem Verstand zusammenstellen, weiter nach der Devise leben: Der Geist ist willig aber das Fleisch ist schwach.