Balint Journal 2020; 21(01): 27-28
DOI: 10.1055/a-1110-4147
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Interaktionsbezogene Fallarbeit

Contributor(s):
Schaaf H. Arolsen
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Publication Date:
26 March 2020 (online)

Als inzwischen langjährig von Balintgruppenarbeit verwöhnter, eher psychodynamisch Arbeitender habe ich wahrgenommen, dass die verhaltenstherapeutischen Kollegen „so etwas Ähnliches“ machen und mich gefragt, wie das denn wohl aussehen mag und was daran anders sein könnte. Aus diesem Grunde habe ich mir gerne das von Mechthild Kerkloh herausgegebene Buch besorgt, um wenigsten nachzulesen, wie denn eine Interaktionsbezogene Fallarbeit – lehrbuchmäßig – aussieht.

In der Einleitung kann man – aus Sicht der verhaltenstherapeutischen Herausgeberin verständlich – lesen, dass als die „effektivste Methode zur Wiedererlangung unserer professionellen Haltung, unserer Zufriedenheit und unserer therapeutischen Arbeitsfähigkeit“ die interaktionsbezogene Fallarbeit gesehen wird. Definiert wird sie als „spezifische Form der Fallbearbeitung implizierter kognitiver wie emotionaler Muster in der Begegnung von Patient und Therapeut“. Diese Arbeit erfolgt im Rahmen eines festen Ablaufs mittels Gruppeninteraktionen „unter vorrangigem Einsatz aller in der modernen Verhaltenstherapie integrierten Techniken“. Sie helfe dem Therapeuten, seine eigenen emotionalen Druckzustände zu verändern, Irritationen zu verstehen und vor allen Dingen eben wieder handlungsfähiger zu werden und somit die Beziehung zum Patienten bewusster und aktiver zu gestalten.

Dann beginnt das Buch – schön bebildert – mit einem typischen Beispiel aus einer IFA-Gruppe. Diese geht nach einer Reflexion des letzten Falles über in die Eröffnungsrunde, die Kurzvorstellung potenzieller Fälle, die Auswahlrunde, die Fallvorstellung selbst sowie die Gruppenresonanz auf die Fallvorstellung.

Bis hier hin war mir dies alles aus Balintgruppen sehr vertraut. Anders scheint mir die dann fest installierte Resonanz der Fallvorstellerin auf die Gruppe und die – dann erst – explizite Formulierung eines Auftrages an die Gruppe. Dem schließt sich wieder die nun erneute Interaktion innerhalb der Gruppe an.

Im nächsten Schritt wird planmäßig ein Ebenen Wechsel von der emotionalen Verarbeitung auf den Praxisteil eingebaut. Das kenne ich auch aus Balintgruppen (siehe auch Neumeier [1]), allerdings (leider) eher als Ausnahmen. In dem IFA Beispiel wird explizit zu praktischen Schritten übergeleitet, um zum Schluss noch einmal eine Reflexion über den Prozess zu ermöglichen, diesen zu beenden und auch Rückmeldung an den Leiter zu geben.

Sodann wird die Geschichte der Entwicklung der IFA geschildert, die auch von den Besonderheiten in der ehemaligen DDR und der weiteren Ost-Westentwicklung bestimmt ist. Diese könne – wird konstatiert – „nicht ohne ihre Beziehung zur Balintarbeit“ gesehen werden. Das Nachdenken über Beziehungsmerkmale und das Einüben einer guten therapeutischen Haltung sollte aber bei der IFA – anders als in der klassischen Balintarbeit – nicht mehr so sehr nach psychoanalytischen und tiefenpsychologischen Konzepten vonstatten gehen, nicht steht dessen soll erreicht werden, „mit einer eigenen Begrifflichkeit und verhaltenstherapeutischen Techniken den als den als wichtig erfassten Beziehungsgedanken zu fokussieren“.

Wenn von „implizierten Mustern“ die Rede ist, die „durch die Interaktion mit den Patienten bei uns aktiviert werden“, kann das wohl als Gegenübertragung verstanden werden. Die „blinden Flecken“ können möglicherweise als Verdrängungsreaktionen oder im Jungian’schen Sinne vielleicht auch als „Schattenphänome“ verstanden werden.

Dies wird als Emanzipationsakt von der Balintarbeit gesehen. Gleichzeitig wird durchaus gewürdigt, dass „die verbindenden Anteile wahrscheinlich größer sind, als das was sie trennt“.

Zwei zentrale Unterschiede werden allerdings von Johannes Grünbaum beschrieben. So liefere die IFA wesentliche Ergänzungen und Erweiterungen auf der Handlungsebene. Das könne auf der eher symbolisch-abstrakten Ebene geschehen, evtl. indem eine problembeschreibende Skulptur in eine Lösungsskulptur verwandelt wird, dies könnten aber auch Sammlungen von konkreten Selbstverbalisationen bis zum Training des therapeutischen Gesprächs im alltagsnahen Rollenspiel sein. Die Teilnehmer sollen sich auf der Verhaltensebene mit den vorgestellten Beziehungsproblemen auseinandersetzen. Die Wahrnehmung von Übertragung und Gegenübertragung werde also indirekt über die Verhaltensebene in den Fokus gerückt.

Als Unterschied wird auch gesehen, dass der IFA- Leiter eine noch größere Zurückhaltung bei der Deutung des Geschehens habe. Um „den Raum der Selbsterkenntnis und des Fallvorstellers nicht zu limitieren“, wird auf „die Fähigkeit des Leiters, unbewusste Bedeutungen der geschilderten Beziehungen greifbar und besprechbar zu machen, … bewusst verzichtet“. So obliege das szenische Verstehen der Therapiesituation primär beim Fallvorsteller und nicht der Gruppe oder dem Leiter. Auch die „Deutungshoheit“ des Geschehens solle beim Fallvorsteller liegen.

Gewünscht ist, dass der Leiter den Fallvorsteller gut vertritt. Der Leiter hilft dem Fallvorsteller, sein Bearbeitungsanliegen zu entwickeln. Er soll ebenfalls immer wieder eine Synchronisation zwischen dem Klärungs- und Problemlöseprozess der Gruppe mit dem fortschreitenden Erkenntnisprozess des Fallvorstellers herstellen.

Beschrieben werden danach die klassischen Rollen und der Ablaufplan in der IFA.

In einem Extrakapitel sind die Techniken des Ebenenwechsels dargestellt von den Rollenspielen über die Gruppenskulptur zu Impacts/Symbolen, interaktionellen Spielen, der Arbeit mit Stühlen, Modi Aufstellungen und kognitive Techniken sowie kreativtherapeutischen und erlebnistherapeutischen Techniken.

Eingegangen wird am Ende auf spezifische Herausforderungen, die das Gruppenklima entweder günstig oder ungünstig beeinflussen können. Dazu gehören u. a. die Konkurrenz und die Rolle des Fallvorstellers, aber eben auch bei Wertekonflikten und Zielambivalenzen und eher schwierigen „Übertragungssituationen“ sowie dem Umgang mit den „besonderen Teilnehmern“. Das Buch wird abgeschlossen durch die Anforderungen bei der Ausbildung als IFA-Leiter.

Der Ausblick endet mit Bezug auf Michael Balint, „der mit seinen Ideen eine beeindruckende Vorgabe“ gemacht habe. In dessen Tradition wollen die Autoren weiterdenken und arbeiten, wenn es um die Reflexion der Therapeut-Patient-Beziehung geht.

Mich hat das Buch nun noch mehr dazu angeregt, neben der weiteren Balintgruppenarbeit auf einer der nächsten Tagungen eine IFA-Gruppe kennenzulernen, um nach der jetzt so verstandenen Theorie nun auch die Praxis erleben zu dürfen.

H. Schaaf, Arolsen