Aktuelle Dermatologie 2020; 46(05): 203-204
DOI: 10.1055/a-1108-2438
Interview

„Besonders wichtig war mir immer, eine eigene Meinung zu haben und unabhängig zu sein, sowohl von der Pharmaindustrie als auch von modischen Strömungen“

Frau Prof. I. Moll im Gespräch mit Prof. F. A. Bahmer
Zur Person
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Prof. F. A. Bahmer

Geboren 1946 in Lauffen am Neckar, Schulbesuch in Heilbronn. Nach dem Abitur Wehrdienst, anschließend Medizinstudium in Heidelberg und in London. Nach Staatsexamen, Promotion und Medizinal-Assistenz Facharzt-Ausbildung an der Universitäts-Hautklinik Heidelberg (Prof. Schnyder), am Instituto Dermatológico in Guadalajara (Prof. Barba Rubio) und am Hospital General de Mexico (Prof. Andrade). Nach elektronenmikroskopischer Forschung in Heidelberg (Prof. Anton-Lamprecht) allergologische Weiterbildung in Bad Lippspringe (Dr. Debelic). Von 1981 – 1994 Leitender Oberarzt der Universitäts-Hautklinik Homburg/Saar (Prof. Zaun), dort Habilitation und Professur. Anschließend bis 2010 Chefarzt der Hautklinik am Klinikum Bremen-Mitte. Seit 1994 Ehrenmitglied der Mexikanischen Dermatologischen Gesellschaft (SMD) und gewähltes Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Photographie (DGPh).


Schon immer Hautarzt mit Leib und Seele, bin ich nicht nur „dermatólogo“, sondern auch „dermatoloco“! Darüber hinaus beschäftige ich mich mit Fotografie, mit Literatur und mit Literaten, oft mit Bezug zu Haut und Haaren. So habe ich unter anderem über Thomas Bernhard, Michael Bulgakow, Charles Bukowski, T. C. Boyle, Ernest Hemingway, Conrad Ferdinand Meyer und Sylvia Plath geschrieben, hin und wieder auch vorgetragen oder medizinisch grundierte Gedichte rezitiert.

Warum haben Sie die Dermatologie als Fachgebiet gewählt?

Schon in meiner Kindheit war ich fasziniert von Lateinamerika und von Krankheiten wie Lepra, von Parasiten des Menschen und von giftigen Tieren. Bereits im Alter von 10 Jahren wollte ich Arzt werden. Während des Studiums zogen mich außer der Dermatologie besonders Kinderheilkunde, Geburtshilfe und Psychoanalyse an. Besonders interessant fand ich die Vorstellung hautkranker Patienten am späten Freitagnachmittag in der Universitäts-Hautklinik Heidelberg. Die Dermatologie begeisterte mich so sehr, dass ich mir sofort das brandneue, 2000 Seiten umfassende amerikanische Lehrbuch von Fitzpatrick „Dermatology in General Medicine“ gekauft habe. Den stolzen Preis von 170 Mark konnte ich, trotz Nebenverdienst durch Nachtdienste, nur ratenweise bezahlen. Aus diesem Buch, das ich heute noch hüte, habe ich dann auch für das Staatsexamen gelernt. Der Prüfer war von meinem Wissen so beeindruckt, dass er mir gleich nach der Prüfung eine Assistenzarzt-Stelle angeboten hat.

Welcher Fall ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?/Was war Ihr außergewöhnlichster Fall?

Sehr gut erinnere ich mich an einen meiner ersten Patienten mit einer lebensbedrohlichen pustulösen Psoriasis, die auch unter hoch dosierter immunsuppressiver Behandlung nicht beherrscht werden konnte. Erst ein Ortswechsel brachte die Heilung, was nur mit dem Wegfall psychischer Faktoren zu erklären ist, für mich ein Hinweis darauf, welch wichtige Rolle die Psyche für viele Hautkrankheiten spielt.Einer meiner außergewöhnlichsten Fälle war eine Patientin, die wegen eines Schockzustandes, der nach einem banalen Infekt aufgetreten war, in der Intensivstation eines kleinen peripheren Krankenhauses betreut wurde. Als ich in der Nacht gerufen wurde, hatten sich bereits schnell an Größe zunehmende blaue Flecke entwickelt, die ich als Purpura fulminans diagnostizierte. Leider verzögerte sich die Behandlung dieses lebensbedrohlichen Zustandes mittels Plasmapherese durch organisatorische Mängel so sehr, dass die junge Frau kurz nach der Verlegung in ein Krankenhaus der Maximalversorgung verstorben ist.

Von wem haben Sie besonders viel gelernt?

Hier würde ich keine Person besonders hervorheben, habe ich doch gleichermaßen von meinen Chefs in Heidelberg, Bad Lippspringe, Mexiko und Homburg/Saar gelernt, von Kolleginnen und Kollegen und nicht zuletzt von Patientinnen und Patienten. Außerdem waren für mich Bücher, nicht nur Fachbücher, immer besonders wichtig, genau wie für den russischen Schriftsteller Michael Bulgakow, der gleich nach dem Examen ein kleines Krankenhaus in der Provinz Smolensk leitete. Für ihn, der in einem Jahr etwa 15 000 Patienten betreut hat, gab es nichts Schöneres, als beim Schein der Petroleumlampe die fabelhaften Atlanten der – übrigens in deutscher Sprache verfassten – Hautkrankheiten zu studieren!

Was war der beste Rat, den Sie während Ihrer Karriere erhalten haben?

Die besten Ratschläge hält das Leben bereit, ob vor, während oder nach der Karriere. Besonders wichtig war mir immer, eine eigene Meinung zu haben und unabhängig zu sein, sowohl von der Pharmaindustrie als auch von modischen Strömungen.

Was ist momentan die wichtigste Entwicklung in der Dermatologie?

Die molekulare Medizin hat auch der Dermatologie ungeahnte Fortschritte beschert, besonders deutlich sichtbar an den neuen Behandlungsmöglichkeiten der Psoriasis und der Neurodermitis. Leider werden psychosoziale Aspekte in der fast ausschließlich somatisch orientierten Dermatologie in den Hintergrund gedrängt. So wird bei der Psoriasis die häufige Ko-Morbidität in Form von metabolischem Syndrom, Suchtverhalten und Depressivität nur als Folge der Entzündung und nicht auch als psychisch determiniert angesehen.

Wo sehen Sie die Zukunft der Dermatologie?

Prognosen sind ja immer schwierig, weil diese die Zukunft betreffen! Im Hinblick auf die heute schon ausgeprägte Bürokratisierung und Merkantilisierung der Medizin sträubt sich etwas in mir, den heutigen Zustand auf die Situation in 20 oder 30 Jahren zu extrapolieren. Ich hoffe, dass es nur halb so schlimm kommen möge.

Was raten Sie jungen Kollegen?

Wichtigster Rat an den Nachwuchs aus der Sicht eines Arztes, der viele Dermatologinnen und Dermatologen ausgebildet hat: Werden Sie sich vor der Entscheidung für die Dermatologie über Ihre Motive klar. Haben Sie Berührungsängste? Reicht Ihre Empathie aus, sich mit hautkranken Menschen zu beschäftigen, mit Krankheiten, denen immer noch das Odium des Aussatzes anhaftet? Seien Sie neugierig und „adoptieren“ Sie eines der vorzüglichen Lehrbücher der Dermatologie als ständigen Begleiter.

Was ist die wichtigste Erkenntnis der vergangenen Jahre in der Dermatologie?

Die wichtigste, bislang recht folgenlose, Erkenntnis nicht nur in der Dermatologie, sondern auch in der Medizin, ist die Unterordnung ethischer Aspekte unter das Gewinnstreben, die „Gottwerdung des Geldes“, wie das Heinrich Heine vor fast 200 Jahren formuliert hat.

Was und welchen Ort zeigen Sie in Ihrer Heimat ausländischen Gästen? Welchen typischen Ort, z. B. Kirche, Rathaus etc.?

Dies war und ist abhängig von dem Ort, an dem ich lebe. Bis vor einem Jahr war das Bremen, heute das Münsterland und Münster. Ein „Must have seen“ im Münsterland sind neben der schönen und sehr lebendigen Stadt Münster die Schlösser und Burgen mit den Wirkungsstätten der großen deutschen Schriftstellerin Annette von Droste-Hülshoff gleich vor meiner Haustür.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Friedrich A. Bahmer
Altenberger Straße 17
48161 Münster
fbahmer@t-online.de



Publication History

Article published online:
11 May 2020

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York