Z Sex Forsch 2020; 33(01): 46-48
DOI: 10.1055/a-1102-6747
Buchbesprechungen

Robot Sex. Social and Ethical Implications

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John Danaher, Neil McArthur, Hrsg. Robot Sex. Social and Ethical Implications. Cambridge, MA: MIT Press 2018. 328 Seiten, USD 19,99

In seiner Monografie „Love and Sex with Robots“ verspricht David Levy (2007) eine glückliche Zukunft, in der personalisierte Roboter unsere emotionalen und sexuellen Bedürfnisse bei Bedarf perfekt erfüllen. Nicht alle teilen seinen Optimismus. Vor zwei Jahren startete die Anthropologin Kathleen Richardson ihre „Kampagne gegen Sexroboter“. Sie prophezeit eine düstere Zukunft, in der Männer sich an die Verfügungsmacht über weibliche Sexroboter gewöhnen und somit gegenüber Frauen und Kindern sexuell noch gewalttätiger werden, wenn wir die Entwicklung nicht sofort stoppen.

Der gerade erschienene Sammelband „Robot Sex“ widmet sich den sozialen und ethischen Folgen von Sexrobotern und zeichnet dabei weder ein utopisches noch ein dystopisches Bild. Vielmehr werden Chancen und Risiken gleichermaßen angesprochen. Die beiden Herausgeber des Bandes sowie die meisten der 16 weiteren Autor_innen kommen aus der Philosophie, z. B. der Technik- und Moralphilosophie.

Im Einleitungskapitel schlägt der Herausgeber John Danaher vor, Sexroboter als technische Artefakte zu definieren, die der sexuellen Stimulation dienen und dabei eine menschenähnliche Gestalt haben, menschenähnliches Verhalten zeigen und über einen gewissen Grad an künstlicher Intelligenz verfügen. Damit differenziert er Sexroboter sowohl von Sexpuppen (keine künstliche Intelligenz) als auch von Sexspielzeugen wie Vibratoren oder Masturbatoren (stellen Körperteile dar, aber nicht den gesamten menschlichen Körper). Da die ersten Sexroboter bereits auf dem Markt sind, plädiert Danaher für eine Auseinandersetzung mit den Folgen dieser neuen Sextechnologie.

Mark Migotti und Nicole Wyatt gehen in Kapitel 2 der Frage nach, ob man als Mensch überhaupt „mit“ einem Roboter Sex haben kann. Sie verneinen dies. Sex könne man nur mit einem anderen autonomen Akteur haben. Und die heutigen Sexroboter würden Autonomie nur durch bestimmte rudimentäre Bewegungen oder Sprachausgaben simulieren. Dementsprechend sei die Masturbation mit einem Roboter nicht grundsätzlich anders als mit jedem anderen Sexspielzeug.

Dem widerspricht der Herausgeber Neil McArthur im dritten Kapitel. Für ihn sind Sexroboter mehr als lebensgroße Masturbationshilfen. Er argumentiert, dass die Menschenähnlichkeit der Sexroboter neue Potenziale für sexuelle und soziale Befriedigung eröffne. Er beurteilt Sexroboter aus ethischer Sicht ausdrücklich positiv, weil mögliche Nachteile durch die großen Vorteile aufgewogen würden: Sexroboter könnten schließlich verbreitete Probleme mit sexueller und sozialer Deprivation abmildern und sich auch stabilisierend auf bestehende Paarbeziehungen auswirken. Damit unterstützt er viele Argumente, die vor mehr als zehn Jahren schon David Levy (2007) angeführt hatte.

In Kapitel 4 folgt eine kritische Auseinandersetzung von John Danaher, Brian Earp und Anders Sandberg mit der „Kampagne gegen Sexroboter“. Die Argumentationslinie der Kampagne, dass Männer weibliche Sexroboter angeblich wie „Prostituierte“ und somit wie „Sexsklavinnen“ behandeln – und vor allem „misshandeln“ – würden und deswegen dann gewalttätiges Verhalten gegenüber Frauen und Kindern zunehme, wird als unplausibel zurückgewiesen.

Ezio Di Nuzzi befasst sich in Kapitel 5 mit der Bedeutung von Sexrobotern für Menschen mit so schweren körperlichen und/oder geistigen Behinderungen, dass sie nicht am Partnersex teilhaben. Für manche von ihnen sei Robotersex eine Möglichkeit, ihre sexuellen Menschenrechte wahrzunehmen. Zwar sei das mit diversen Problemen und offenen Fragen verbunden, aber letztlich müsse man sich aus Gründen der ethischen Verantwortung und Fairness dieser Debatte stellen.

Im Gegensatz dazu erläutert Noreen Hertzfeld in Kapitel 6, dass aus christlich-theologischer Perspektive der Robotersex abzulehnen sei, da die Beziehung zum Mitmenschen immer im Vordergrund stehen müsse.

In Kapitel 7 setzt sich John Danaher mit der Frage auseinander, ob aus dem Robotersex tatsächlich negative Effekte auf den zwischenmenschlichen Sex resultieren. Etwa weil weibliche Sexroboter restriktiven Schönheitsnormen folgen würden und ständig verfügbar seien. Er argumentiert, dass in Abhängigkeit von Roboterentwicklung und -einsatz ebenso positive Effekte möglich wären und letztlich (im ethischen Rahmen) experimentelle Wirkungsstudien notwendig seien.

In Kapitel 8 geht es um das hochkontroverse Phänomen kindlicher Sexroboter. Während kindliche Sexpuppen bereits vermarktet werden, sind kindliche Sexroboter bislang nicht bekannt. Die Autorin Litska Strikwerda argumentiert, dass es sich bei der Nutzung eines kindlichen Sexroboters zunächst um ein „Verbrechen ohne Opfer“ handle, da kein reales Kind geschädigt werde. Dennoch könnten kindliche Sexroboter verboten werden, wenn belegt wäre, dass die Nutzung die Wahrscheinlichkeit für Missbrauchstaten erhöhe. Empirisch sei jedoch bislang ungeklärt, ob kindliche Sexroboter die Wahrscheinlichkeit von Missbrauchstaten steigern oder senken. Es bleibe letztlich noch die Möglichkeit, kindliche Sexroboter aus moralischen Gründen zu verbieten, weil sie den moralischen Normen der Gesellschaft widersprechen. Ein so begründetes Verbot von kindlichen Sexrobotern – analog dem in vielen Ländern existierenden Verbot von rein computergenerierter Kinderpornografie – hält die Autorin für gut begründet.

In Kapitel 9 und 10 wird Robotersex aus der Perspektive des Roboters ethisch kommentiert. Zunächst erläutert Steve Petersen, dass ein Sexroboter durchaus ein „gutes Roboterleben“ führen könne, da er konstruiert sei, um Sex mit Menschen zu genießen. Dem widerspricht Joshua Goldstein, der argumentiert, dass ein hoch entwickelter empfindsamer Roboter nicht als reiner Sexroboter behandelt, sondern zumindest in eine Freundschaftsbeziehung eingebunden werden sollte. Über Robotersex nachzudenken unter dem Aspekt, ob der Sex denn nun auch für den Roboter „gut gewesen“ ist und welche romantischen Hoffnungen der Roboter hinterher hegen mag, erscheint zum heutigen Zeitpunkt der technischen Entwicklung abgehoben, komplettiert aber die verschiedenen Perspektiven auf das Phänomen.

Kapitel 11 und 12 sind der Liebe zum Roboter gewidmet. Michael Hauskeller führt aus, dass der Reiz von Robotern als Liebespartnern weniger darin liege, dass sie so perfekt aussähen, sondern dass sie eben gerade keine Menschen seien, die Forderungen stellen und uns einengen würden. Sven Nyholm und Lily Eva Frank reflektieren, welche Merkmale Roboter haben müssten, um eine Liebesbeziehung einzugehen, und ob man dezidierte „Liebesroboter“ entwickeln sollte.

In Kapitel 13 präsentieren Matthias Scheutz und Thomas Arnold einige Umfrageergebnisse zur Akzeptanz von Sexrobotern. Diese zeigen, dass die Befragten sehr nuancierte Einschätzungen über mögliche Chancen und Risiken von Robotersex abgeben.

Julie Carpenter geht in Kapitel 14 der Frage nach, welche Faktoren es im Einzelnen sind, die zu einer starken Mensch-Roboter-Bindung führen: Das auf die persönlichen Wünsche zugeschnittene Erscheinungsbild des Roboters? Die Materialqualität? Oder der Körperkontakt zum Roboter? Sie plädiert für intensivere Theoriearbeit, um die intime Mensch-Roboter-Beziehung besser zu verstehen.

Im 15. und letzten Kapitel des Bandes kommentiert Marina Adshade den sozialen Wandel im Kontext der Verbreitung von Sexrobotern. Sie prognostiziert, dass sich der Trend zur konsensuellen Nicht-Monogamie (z. B. Polyamorie, offene Beziehungen, Swinger-Szene) mit der Normalisierung von robotischen Sexpartner_innen weiter verstärken werde.

Der Sammelband greift eine Reihe von relevanten Fragen aus der aktuellen Sexroboter-Debatte auf. Positiv hervorzuheben ist die Vielfalt – einschließlich offener Widersprüchlichkeit – der Antworten, die in den 15 Kapiteln zu finden sind. Unbefriedigend bleibt aus Sicht einer empirisch orientierten Sexualwissenschaft indessen das Verhältnis von Spekulation und Daten. Lediglich ein Beitrag aus 15 präsentiert empirische Befunde (Kapitel 13). Und nur ein weiterer Beitrag plädiert zumindest für die experimentelle Prüfung von konträren Wirkungshypothesen (Kapitel 7).

Generell ist zu monieren, dass weitreichende Spekulationen über Technikwirkungen buchstäblich im luftleeren Raum stattfinden, da der Band es versäumt, die vorgelagerte praktische Technikaneignung zu beschreiben. An keiner einzigen Stelle im Buch wird auch nur angedeutet, von welchen Formen der sexuellen Aktivität mit einem Roboter nun eigentlich ganz praktisch auszugehen ist. An keiner Stelle im Buch wird auf die zu erwartende Vielfalt sexueller Roboterpraktiken in Abhängigkeit von Geschlecht, sexueller Orientierung, Beziehungsstatus, Persönlichkeitseigenschaften, sexuellen Funktionsstörungen, sexuellen Traumatisierungen und sexuellen Wünschen der Nutzenden eingegangen.

Ein weiteres gewichtiges Monitum ist die gänzlich fehlende Meta-Reflexion der Debatte. Da die akademische Robotersex-Debatte inzwischen seit mehr als zehn Jahren geführt wird, bietet sich eine kritische Analyse der Argumentationsmuster an – etwa im Vergleich zur mittlerweile rund 50-jährigen akademischen Pornografie-Debatte. Eine Parallele beider Debatten zeigt sich darin, dass das große und komplexe gesellschaftliche Problem der sexuellen Gewalt zu eindimensional wahlweise auf Pornos oder Sexroboter projiziert wird. Das ist gefährlich, da wir vordringlich ganz andere Anstrengungen zur Gewaltprävention in Paarbeziehungen, Familien, Institutionen und der Gesellschaft insgesamt benötigen. Der Ruf nach Technologie-Verboten lenkt hier eher ab und suggeriert einfache Patentlösungen.

Eine zweite problematische Parallele der Debatten ist die klischeehafte Behandlung von Geschlechterfragen. Es hat Dekaden gebraucht, um in der Pornografie-Debatte anzuerkennen, dass Frauen Sexualsubjekte mit eigenen Wünschen sind und dass sie tatsächlich auch in wachsendem Maße Pornografie rezipieren und für sich selbst produzieren. Dass wir im 21. Jahrhundert eine Sexroboter-Debatte führen, die meist nur den männlichen Nutzer kennt, ist anachronistisch.

Im Eingangskapitel postuliert der Philosoph John Danaher, dass ja wohl klar sei, dass Vergewaltigungsfantasien „unethische Formen der Sexualität“ seien und Roboter darauf nicht eingehen dürfen (S. 12). Die 31 % bis 57 % der weiblichen Bevölkerung mit erotischen Vergewaltigungsfantasien (Critell und Bivona 2008: Women’s Erotic Rape Fantasies) und Handschellen in der Nachttischschublade (Holvoet et al. 2017: Fifty Shades of Belgian Gray) haben hierzu vermutlich differenziertere Auffassungen. Ist es wirklich so abwegig zu vermuten, dass ein Ausleben von BDSM-Fantasien mit einem Roboter manchen Frauen sicherer erscheinen mag als mit einem menschlichen Sexualpartner? Wenn wir den Sexroboter entweder als bedrohlichen Menschenersatz hochstilisieren oder ihn als simple Masturbationshilfe abtun, verpassen wir wohlmöglich den eigentlich interessantesten Aspekt des Mensch-Roboter-Verhältnisses: nämlich die spielerische, kreative, fantasievolle Dimension, die durchaus Bestandteil gesunder Sexualität ist.

Nicola Döring (Ilmenau)



Publication History

Article published online:
12 March 2020

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