Z Sex Forsch 2020; 33(01): 45-46
DOI: 10.1055/a-1102-6714
Buchbesprechungen

Bisexuality. Identities, Politics, and Theories

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Surya Monro. Bisexuality. Identities, Politics, and Theories. London: Palgrave Macmillan 2015 (Reihe: Genders and Sexualities in the Social Sciences). 207 Seiten. EUR 88,39

Surya Monros Buch bietet einen hervorragenden Überblick über gegenwärtige Trends und Entwicklungen in der Forschung und Theoriebildung zu Bisexualität. Bisexuelle Identitäten und Lebensweisen sind nach wie vor spärlich erforscht, obwohl es doch in der Sexualwissenschaft einen Konsens gibt, dass viele Menschen in ihrem Leben sexuelle oder intime Beziehungen mit Menschen unterschiedlichen Geschlechts haben, auch wenn sich das nicht unbedingt in einer bewusst gewählten oder nach außen vertretenen Identifizierung niederschlägt. Da es insbesondere im deutschen Sprachraum wenige aktuelle Publikationen zum Thema gibt, lohnt es sich, sich mit diesem Buch zu beschäftigen, um einen Einblick zu gewinnen, wie bisexuell lebende Menschen Beziehungen gestalten und wie sie auf die gängige Nichtbeachtung oder Geringschätzung bisexueller Lebensweisen reagieren. Surya Monros Studie schlägt einen weiten Bogen, indem sie die Erforschung intimer und sexueller Beziehungspraxen mit einer kritischen Analyse bisexueller Bewegungspolitiken und einer Untersuchung der prekären Position von Bisexualitäten in der Sozialpolitik, Arbeitswelt und Populärkultur verbindet. Sie widmet sich Fragen des persönlichen Lebens, Strategien innerhalb identitätspolitischer Bewegungen und einer daran angelehnten Analyse von Rechtskulturen und demokratischen Prozessen.

Die Studie ist ein beeindruckendes Beispiel interdisziplinärer Forschung und leistet einen kritischen Beitrag zur Bisexualitäts-, Geschlechter- und Sexualforschung, den Sozialwissenschaften und der Politischen Theorie. Ein besonderes Qualitätsmerkmal des Buches liegt in seiner internationalen Perspektive begründet.

Das Buch basiert auf 40 Interviews mit bisexuell identifizierten Personen im Vereinigten Königreich von Großbritannien (24) und Kolumbien (6). Ferner wurden die Daten einer Erhebung zu BDSM (steht für: Bondage and Discipline, Dominance and Submission, and Sadomasochism) im Vereinigten Königreich herangezogen (zehn Personen), um die Überschneidungen zwischen BDSM und bisexuellen Lebensweisen und Kulturen zu betrachten. Der Großteil des Buches beschäftigt sich mit Bisexualität im Vereinigten Königreich, aber es werden auch kürzere Fallstudien zu Kolumbien (unter Mitwirkung von Camilo Tamayo Gόmez), Indien (unter Mitwirkung von Dr. Ahonaa Roy) und den USA präsentiert. Diskussionen der Diskurse sowohl zu Bisexualität sowie zu anderen sexuellen Identitätskategorien im transnationalen Raum sind stark durch Bezugnahme auf postkoloniale Theoriebildung geprägt.

Eine intersektionale Perspektive, die sich mit dem Ineinandergreifen von Sexualität sowohl mit Geschlechterwissen als auch mit den kulturellen Dynamiken und Politiken um Race/Ethnizität und sozialer Klasse beschäftigt, zieht sich durch den gesamten Text einschließlich aller Fallstudien. Monro propagiert eine materialistische Analyse, die die sozialen Bedingungen hervorhebt, unter welchen Menschen ihre Beziehungen gestalten, die sich ferner aber auch darum bemüht, den biologischen Faktoren, die sexuelles Leben beeinflussen, gerecht zu werden.

Hinsichtlich der theoretischen Positionierung ist das Buch sehr eklektisch. Monro pflegt einen eher pragmatischen Umgang mit theoretischen Konzepten und Perspektiven. So benutzt sie die Skripttheorie des symbolischen Interaktionismus, um Fragen intrapsychischer Begehrensstrukturen und der persönlichen Identifizierung zu deuten. Sie mobilisiert Pierre Bourdieus Feldtheorie und die Idee des Habitus, um Werte und Beziehungspraxen in der organsierten bisexuellen Community zu diskutieren. Sie bezieht sich auf Transgender-Theorien, um den Geschlechterpluralismus innerhalb bisexueller Populationen zu betonen. Sie nimmt einen eher kritischen Standpunkt in Bezug auf Queer-Theorien ein, die ihrer Meinung nach eine Tendenz hätten, ohnehin schon marginalisierte Identitäten (und gerade eben bisexuelle) vollends der Dekonstruktion preiszugeben, was wiederum die Dominanz sichtbarerer Kategorien (wie z. B. schwul und lesbisch) im nicht-heterosexuellen Spektrum fördern würde. Auf der anderen Seite würdigt Monro das Potential von Queer-Theorien, eine sich aus der Nicht-Permanenz und Wandelbarkeit bisexueller Identitäten und Erfahrungen ergebende Subversion politisch zu mobilisieren. Obwohl ich prinzipiell Monros Position teile, dass sich bestimmte Theorien besser eignen als andere, um bestimmte Phänomene zu beschreiben (wobei sie oft weniger hilfreich sind, andere Sachverhalte zu erhellen), sehe ich doch einen Nachteil ihres dezidierten Pragmatismus in der Theoriefrage: Das Heranziehen unterschiedlichster Modelle und Theorien verstärkt eine gewisse Fragmentierung des Textes, die schon in ihrer Entscheidung angelegt ist, überhaupt so vielfältige Themenfelder anzusprechen.

Die Einleitung des Buches behandelt eine Vielzahl wichtiger Fragen innerhalb der bisexuellen Studien: Monro skizziert hier die Geschichte des Begriffes und bietet einen Überblick über historische, soziologische, sexualwissenschaftliche und anthropologische Forschungen. Sie betont den Wandel bisexueller Definitionen, die sich unter dem Einfluss der wachsenden Sichtbarkeit von trans* und nicht-binären Geschlechteridentitäten, zumindest in organisierten bisexuellen Bewegungszusammenhängen, meist auf einen Geschlechterpluralismus – und nicht auf ein klassisches Verständnis der Zweigeschlechlichkeit (im Sinne von Männern und Frauen) – beziehen. In ihrer Diskussion der Biphobie betont Monro die spezifischen Unterdrückungsmechanismen, die zu Ablehnung oder Marginalisierung bisexueller Menschen führen oder aber die Sichtbarkeit und Legitimität ihrer Identifizierungen und Beziehungen in Frage stellen. In späteren Kapiteln dokumentiert Monro sehr eindrücklich, wie sich diese Ausschlüsse in Institutionen, in der Arbeitswelt und in Mediendarstellungen manifestieren.

In einem Kapitel zu Sexualität, Verwandtschaft und Gemeinschaft untersucht Monro die Beziehungspraxen und -werte innerhalb der bisexuellen Community im Vereinigten Königreich. Sie beschreibt einen bi-aktivistischen Habitus, der einen Pluralismus sowohl hinsichtlich der Geschlechtsidentitäten, der Partner_innenwahl, der Beziehungs- und Familienformen und der erotischen Vorlieben zu schätzen und zu verteidigen weiß. Monro betont den DIY-Charakter bisexueller Politikansätze im Vereinigten Königreich, welcher in einem starken Gegensatz zu den oft viel etablierteren lesbischen und schwulen Politik- und Organisationsformen im selben Lande oder aber auch den organisierten NGO-getragenen bisexuellen Politiken in Kolumbien steht.

Angesichts der gängigen Abwertung und weitgehenden Unsichtbarkeit bisexueller Lebensweisen betont Monro die Notwendigkeit, bisexuelle Belange in eine explizite Sprache der Rechte zu übersetzen und einen Diskurs bisexueller Citizenship (Teilnahme und Zugehörigkeit im sozialen, kulturellen und staatsbürgerlichen Sinne) auf der Grundlage eines differenzierenden Universalismus zu kreieren, der sich sowohl an universellen Rechtskriterien orientiert (im Sinne gleicher Rechte für alle), gleichzeitig jedoch die spezifischen Belange im Auge behält, die sich aus der Stigmatisierung durch Biphobie ergeben.

Mit ihrem sowohl beindruckenden also auch notwendigen Buch liefert Monro einen optimalen Überblick zu Kernthemen bisexuellen Lebens, Liebens, Begehrens, Politik-Machens und Theoretisierens und setzt neue interessante Schwerpunkte in der soziologischen, politik-, geschlechter- und sexualwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem durchaus faszinierenden Phänomen der Bisexualität.

Christian Klesse (Manchester)



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
12. März 2020

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Stuttgart · New York