Nervenheilkunde 2020; 39(04): 254-257
DOI: 10.1055/a-1033-9736
Gesellschaftsnachrichten
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Kopfschmerz News der DMKG

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Publication Date:
02 April 2020 (online)

Erfahrungen von Patienten mit neu aufgetretenem täglichem Kopfschmerz

*** Palacios-Ceña D, Talavera B, Gómez-Mayordomo V, et al. The Day My Life Changed: A Qualitative Study of the Experiences of Patients With New Daily Persistent Headache. Headache 2020; doi: 10.1111/head.13712

Zusammenfassung

Palacios-Cena et al. erfassten in ihrer Studie mit qualitativen Methoden die Erfahrungen von 18 Patienten mit neu aufgetretenem täglichem Kopfschmerz (engl. New Daily Persistent Headache; NDPH). NDPH gehört zu den primären Kopfschmerzerkrankungen, ist durch einen plötzlichen, erinnerbaren Beginn mit von Anfang an täglichen Kopfschmerzen gekennzeichnet, und kann über Jahre oder Jahrzehnte bestehen. Von den Symptomen kann NDPH der Migräne oder dem Spannungskopfschmerz ähneln, sodass jeweils entsprechende, jedoch oft wenig wirksame Therapieoptionen gewählt werden. Eine hohe Komorbidität mit psychischen Störungen ist ersichtlich, sodass psychologische Faktoren berücksichtigt werden sollten. Die Patienten der Studie hatten ein mittleres Alter von 45 Jahren und litten seit 2 bis fast 21 Jahren an NDPH (Mittel 6 Jahre); sekundäre Kopfschmerzen waren ausgeschlossen. Daten wurden mittels Interviewverfahren sowie Zeichnungen der Patienten erhoben. Datenreduktion führte zu 3 Themen, die bei den Patienten eine bedeutsame Rolle spielen:

Ursprung der Erkrankung und Antwortsuche: Alle Patienten konnten Zeitpunkt und Ort des ersten Auftretens benennen, bei allen gab es vorausgehende Ereignisse bzw. bestimmte Auslösefaktoren (z. B. Wurzelbehandlung, Infektion, Stress). Dies wurde beschrieben, „als wurde ein Schalter umgelegt“; allerdings gab es keinen donnerschlagartigen Charakter. Zwei Drittel sahen den Grund bei sich selbst, z. B. dass sie sich zu viel abverlangen, zu leistungsorientiert sind, zu viel Stress oder Konflikte haben. Alle konnten verstärkende Faktoren berichten.

Schmerzcharakteristika: Diese waren sehr variabel, der Schmerz an sich wurde als konstant vorhanden, wenn auch mit fluktuierender Intensität beschrieben, als fortwährender Begleiter, der aber nicht vorhersagbar scheint. Begleitsymptome (z. B. Übelkeit, Stand- und Gangunsicherheit) seien teilweise schlimmer als der Schmerz. Zu Beginn wurde der Schmerz als Gefahr wahrgenommen, nach und nach als unsichtbarer Begleiter, den andere Menschen allerdings nicht wahrnehmen könnten.

Einfluss aufs tägliche Leben: Knapp die Hälfte der Patienten fühlte sich stark beeinträchtigt, sie würden Hobbys, Arbeit, etc. einschränken. Die Normalität sei nicht mehr gegeben, die meisten gingen aber einer Arbeit nach, um dadurch Normalität zu realisieren. Einige Patienten fühlten weniger Lebensfreude, viele suchten Einsamkeit. 4 Patienten berichteten von Suizidgedanken; diese hatten auch in einer Depressionsskala hohe Werte.


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Kommentar

Die Studien weist einige Limitationen auf, so sind Aussagen nur an einer kleinen spanischen Stichprobe erhoben worden, eine Kontrollgruppe fehlt gänzlich. Teilweise gibt es Unterschiede zu anderen Arbeiten. Es stellt sich dem Leser die Frage, was er trotz dieser Probleme – welche die Autoren auch eingestehen – für Schlussfolgerungen ziehen sollte. Zunächst findet er Daten zu einer relativ heterogenen Gruppe an Patienten, die unter NDPH leiden und deutliche Beeinträchtigungen im Alltag haben. Dies kann im diagnostischen Vorgehen berücksichtigt werden, nach suizidalen Gedanken sollte gefragt werden. Interessant sind die tabellarisch dargestellten Beschreibungen der Patienten. Einige Aspekte sind aus psychotherapeutischer Sicht wichtig; beispielsweise, dass jeder der Patienten auslösende und aufrechterhaltende Faktoren berichtet, sie oft bei sich selbst eine Mitschuld sehen, sich zurückziehen und depressive Tendenzen zeigen. Da die Behandlung des NDPH nach wie vor schwierig ist und immer eine Herausforderung darstellt, könnten bei diesen Patienten psychologische Methoden hilfreich sein. Durch Verhaltens- bzw. Problemanalyse könnte dem Patienten ein Modell seiner individuellen Erkrankung aufgezeigt werden und an bestimmten Punkten therapeutisch angesetzt werden. Da ein Teil über Stress oder Konflikte als Auslöser bzw. Verstärker berichtete, wären Stressmanagements angeraten, dies könnte auch die oftmals überhöhten Leistungserwartungen in den Blick nehmen. Auch Lebensstilmodifikationen könnten versucht werden (mehr Auszeiten, Ausdauersport). Da viele Patienten ein Problem darin sahen, dass andere ihre Schmerzen nicht wahrnehmen können, wären hier Kommunikationsstrategien im Umgang mit Angehörigen und Arbeitskollegen sinnvoll. Aufzupassen ist immer, dass Patienten mit NDPH über die Gefahr von Selbstmedikation und dadurch möglicherweise resultierenden Medikamentenübergebrauchskopfschmerz aufgeklärt werden.

Thomas Dresler, Tübingen


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  • Literatur

  • 1 Labastida-Ramirez A, Rubio-Beltran E, Haanes KA. et al Pain 2020.
  • 2 Krege JH, Rizzoli PB, Liffick E. et al Cephalalgia 2019; 39 (08) 957-66
  • 3 Depre C. et al Headache 2018; 58 (05) 715-723
  • 4 Maassen van den Brink A. et al Is Headache 2018; 58 (08) 1257-1258
  • 5 Messlinger K, Maassen Van Den Brink A. Cephalalgia 2019; 39: 1731
  • 6 Peng K-P, May A. Pain 2019; 160: 1494-1501