Der Klinikarzt 2019; 48(12): 513-514
DOI: 10.1055/a-1020-1177
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Der Pfleger kommt aus Jordanien, ist das die Lösung?

Achim Weizel
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Publication Date:
07 January 2020 (online)

Jeder Patient, der einmal oder mehrmals im Krankenhaus war, hat positiv oder negativ den Einfluss der Pflegekräfte auf den Aufenthalt erfahren. In einer Umgebung, die den meisten Menschen (erfreulicherweise) ungewohnt ist, besteht der engste Kontakt zu den Pflegekräften. Ein freundliches Wort, eine Beantwortung von Fragen durch kompetentes Pflegepersonal, kann den Aufenthalt menschlicher gestalten und Unsicherheit und Ängste vermindern.

Persönliche Erfahrungen und statistische Erhebungen lassen keinen Zweifel daran, dass derartige Begegnungen immer seltener werden. Die Ursachen sind sattsam bekannt. Die körperliche und seelische Belastung der Pflegekräfte hat deutlich zugenommen. Die inzwischen extrem kurzen Liegezeiten und ein dadurch deutlich höherer Anteil an pflege-intensiven Patienten sind ebenso ein Grund wie die demografische Entwicklung mit Zunahme der älteren und oft unterstützungsbedürftigen Patienten. Deshalb überrascht es nicht, dass Angehörige der Pflegeberufe zu den Berufsgruppen gehören, die das höchste Risiko an Berufsunfähigkeit aufweisen.

Im Übrigen werden in den nächsten Jahren viele der älteren Mitarbeiter aus dem Berufs leben ausscheiden. Diese können, nach augenblicklichem Sachstand, nicht adäquat ersetzt werden. Die Versäumnisse von vielen Jahren, in denen es den Pflegeberufen an Anerkennung und an adäquater Bezahlung gefehlt hat, rächen sich jetzt. Hier werden inzwischen deutliche Anstrengungen unternommen, durch Aufwertung, teilweise Akademisierung und bessere Bezahlung dem Notstand entgegenzutreten. Trotzdem liest man immer wieder Zahlen, dass bis zum Jahr 2030 etwa 500 000 Pflegekräfte fehlen werden, mit den vorhersehbaren Folgen für die Patientenversorgung.

Es verwundert daher nicht, dass nach alternativen Lösungen gesucht wird. Ein Mittel dazu ist die Anwerbung von ausländischen Pflegekräften, die teilweise offensiv angegangen wird. Eine neue Entwicklung ist das nicht, ältere Kollegen werden sich erinnern, dass in den 1960er Jahren Pflegedirektoren zum Beispiel in Korea unterwegs waren, Pflegekräfte angeworben haben und „Schwester Li“ und ihre Kolleginnen viele Jahre vertraute Gestalten in den Kliniken waren. Heute lesen wir in der Presse: „Der Pfleger kommt aus Jordanien“ oder „Uni Düsseldorf wirbt in Großbritannien um Pflegekräfte“ oder „Mecklenburg-Vorpommern will Ausbildung vietnamesischer Pflegekräfte unterstützen“.

Der entscheidende Faktor für den Einsatz in den Kliniken ist natürlich die Beherrschung der deutschen Sprache. Auf dem Markt haben sich deshalb teilweise spezialisierte Agenturen entwickelt, die schon in den Herkunftsländern versuchen, sprachliche Grundlagen zu schaffen. In der Praxis zeigt es sich, dass dies offensichtlich doch nicht reicht. Die Sprache spielt natürlich eine große Rolle, es hat sich aber gezeigt, dass in vielen Fällen die Dokumentation die eigentliche Hürde darstellt. Mit diesen Problemen kämpfen ja schon die eigenen Mitarbeiter. Fehler in der Dokumentation beziehungsweise unvollständige Dokumentation können sich Krankenhäuser heute nicht mehr leisten, denn sie führen bei dem heutigen Abrechnungssystem unweigerlich zu direkt spürbaren finanziellen Einbußen für das Krankenhaus. Dagegen ist die berufliche Qualität der Bewerber häufig kein Problem, es ist sogar so, dass in vielen Ländern die Angehörigen der Pflegeberufe eine akademische Ausbildung haben und auch mit größerer Verantwortlichkeit ausgestattet sind als bei uns.

In Betracht ziehen muss man allerdings auch kulturelle Unterschiede, zum Beispiel in Bezug auf die Rolle der Frau. Daneben gibt es eine große Zahl von bürokratischen Hindernissen. So brauchen die Arbeitswilligen eine Aufenthaltsgenehmigung, eine Arbeitserlaubnis, außerdem muss nachgewiesen werden, dass kein EU-Bürger für diese Aufgabe zur Verfügung steht. All dies ist unter anderem auch mit einem großen zeitlichen Aufwand verbunden. Dies führt dazu, dass manche Kliniken eigene Dienste eingerichtet haben, die die Bewerber bei Behördengängen und bei der Wohnungssuche unterstützen. Vor Ort in der Klinik ist der Einsatz dieser Kräfte natürlich auch mit einem größeren Bedarf an Betreuung durch die Pflegedienstleitung und die Mitarbeiter auf Station verbunden, ehe sie eigenverantwortlich eingesetzt werden können.

Lohnt sich dieser Aufwand? Es ist sicher eine der Möglichkeiten, temporär und punktuell Engpässe zu überbrücken, eine langfristige Lösung kann es nicht sein. Die Lösung kann nur in der Unterstützung der Ausbildung des eigenen Nachwuchses bestehen, der dann ein berufliches und finanzielles Umfeld findet, das eine befriedigende Berufstätigkeit erlaubt. Oft übersehen wird ein moralisches Dilemma, das noch hinzukommt. Wenn wir im Ausland Fachkräfte abwerben, die oft auf Kosten des Heimatlandes ausgebildet worden sind, schwächen wir damit das Gesundheitssystem in den Ursprungsländern. Dies sollte nicht unser Interesse sein und ist eine Konsequenz, an die wir bei diesen Aktionen denken müssen.