retten! 2020; 9(02): 88-94
DOI: 10.1055/a-1017-7201
Fit für den Notfallsanitäter
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Hyperventilationssyndrom – Das sollten Sie wissen für die Ergänzungsprüfung

Rico Kuhnke
,
Thomas Ahne
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Publication History

Publication Date:
22 April 2020 (online)

retten! macht Sie fit für den Notfallsanitäter: In jeder Ausgabe arbeiten wir anhand eines Fallbeispiels einen interessanten Einsatz algorithmenkonform auf. Anhand von exemplarischen Fragen zu erweiterten Notfallmaßnahmen, Kommunikation und Rahmenbedingungen können Sie sich auf die Ergänzungsprüfung vorbereiten – egal, in welchem Bundesland Sie arbeiten.

Kommentar

von Dr. med. Thomas Ahne, Facharzt für Anästhesiologie mit Zusatzbezeichnung Notfallmedizin

Ein Patient mit einem Hyperventilationssyndrom ist eine rettungsdienstliche Routinesituation. Meiner Ansicht nach kann man hier gar nicht von einer richtigen Notfallsituation sprechen, da keine Lebensbedrohung oder anhaltender gesundheitlicher Schaden befürchtet werden muss. Dennoch ist das Ereignis sehr unangenehm für den Betroffenen bzw. die Betroffene und erscheint für Laien bedrohlich, sodass ich einen Rettungsdiensteinsatz für vertretbar halte.

Jedoch kann die Abarbeitung einer gemeldeten Hyperventilation auch eine große Herausforderung darstellen, nämlich wenn die Verdachtsdiagnose nicht stimmt. Aufgrund der Prägung durch das Einsatzstichwort fällt es nicht leicht, auch die Differenzialdiagnosen suffizient auszuschließen bzw. das Syndrom lediglich als Symptom einer anderen, vielleicht schwerwiegenden Erkrankung zu erkennen.

Im geschilderten Fall kam es im Umfeld der Patientin auch zum Konsum von Cannabis. Dieser ist mittlerweile bei uns gesellschaftlich geduldet und daher weit verbreitet. Auf dem Vormarsch sind jedoch ebenfalls verschiedenste synthetische Rauschmittel, die oftmals auch verharmlost werden („legal highs“). Die potenziell bedrohlichen Auswirkungen des Konsums dieser Substanzen können leicht unterschätzt werden. So kann schnell ein Hyperventilationssyndrom als Erkrankungsbild missgedeutet werden, obwohl ein behandlungs- oder zumindest überwachungspflichtiges Toxidrom besteht.

So oder so muss sich das Behandlungsteam darauf konzentrieren, den Einsatz sauber abzuarbeiten, ohne sich den eigenen Bewertungs- und Wertvorstellungen zur Situation hinzugeben. Die Notwendigkeit eines erneuten Rettungsdiensteinsatzes wäre noch das kleinere Problem, aber eine durch die Missinterpretation entstehende Behandlungsverzögerung mit Patientenschaden wäre eine wahre Katastrophe.

Häufig wird in solchen Situationen schnell der Wunsch nach einer Sedierung laut, was in meinen Augen kritisch zu betrachten ist – denn dann ist auf jeden Fall eine Vorstellung im Krankenhaus zur Überwachung nach Sedation notwendig, mit den daraus resultierenden wirtschaftlichen Folgen (oftmals über 1000 €). Viel zielführender erscheinen mir da doch die sichere Beherrschung der Basismaßnahmen und ein empathischer Umgang mit dem Patienten bzw. der Patientin sowie den Umstehenden.