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DOI: 10.1055/a-0990-0211
Was sollte der Neonatologe über „Perzentile“ wissen?

Ein adäquates Körperwachstum im gesamten Kindesalter ist Vorbedingung für eine ungestörte körperliche und neurokognitive Entwicklung bis in das Erwachsenenalter. Entsprechend gehören regelmäßige Kontrollen der anthropometrischen Maße – das sind Gewicht, Körperlänge und Kopfumfang – zu den wichtigen Aufgaben des Kinderarztes bis zum Zeitpunkt der Beendigung des kindlichen Wachstums.
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„Perzentile“ sind nur eine spezielle Form der Darstellung von „Körpermessdaten“, die Begriffe sollten präziser verwendet werden. Regelrecht falsch ist der Begriff „Wachstumsgeschwindigkeit“ für Körpermessdaten in der Neonatologie, die in Wahrheit das erreichte Wachstum wiedergeben.
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Daten zur echten Wachstumsgeschwindigkeit können dagegen wichtige zusätzliche Informationen bei schwer kranken Neugeborenen, SGA-Neugeborenen oder sehr unreifen Frühgeborenen liefern.
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Falls vorhanden, sollten spezifische Körpermessdaten für unterschiedliche, vor allem sehr seltene Krankheitsbilder in der Langzeitbetreuung dieser Patienten verwendet werden.
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Der Kopfumfang sollte bis zum 15. Lebensjahr, die Körperlänge bei Mädchen bis zum 18. Lebensjahr, bei Jungen bis zum 20. Lebensjahr, und das Körpergewicht unabhängig vom Geschlecht lebenslang gemessen werden.
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Referenzdaten aus Längsschnittuntersuchungen sind denen aus Querschnittsuntersuchungen vorzuziehen. Entscheidender für die Eignung als Referenz sind aber Faktoren wie die exakte Definition der Normalpopulation und die Anzahl der Probanden. Referenzdaten gelten streng genommen nur für die (meist nationale) Kohorte, aus der sie stammen, für exakt die erfasste Alterszeitspanne und für den Zeitraum der ursprünglichen Datenerhebung.
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Muttermilch-ernährte Säuglinge haben bis in das 2. Lebensjahr hinein ein niedrigeres Körpergewicht, aber auch noch einen höheren Körperfettanteil im Vergleich zu Formula-ernährten Gleichaltrigen.
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Die Körpermaße zum Zeitpunkt der Geburt und die Endgröße eines Menschen werden von den Eltern ererbt. Es gibt seit mehreren Dekaden einen diskreten „säkularen Trend“ für ein zunehmendes Geburtsgewicht, jedoch nicht überall auf der Welt.
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Einen Einfluss auf das mittlere Geburtsgewicht in Referenzkohorten können auch eine variierende Zusammensetzung der Wohnbevölkerung, der sich ändernde Tabakkonsum, Verschiebungen des mittleren mütterlichen Alters bei der Geburt des Kindes und eine Änderung geburtshilflicher Standards haben.
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Angesichts von zunehmend multiethnisch geprägten Gesellschaften sind ethnisch definierte Perzentile in der Neonatologie nicht mehr sinnvoll, stattdessen sollten auf die Körperlänge der Mutter individualisierte somatische Perzentile verwendet werden.
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Die Unterschiede im mittleren Geburtsgewicht von Neugeborenen aus unterschiedlichen Ethnien resultieren aus den Unterschieden in der mittleren Körperlänge und dem damit korrelierten Körpergewicht ihrer Mütter. In Ethnien mit geringer mittlerer Körperlänge werden fälschlicherweise häufiger Neugeborene als SGA klassifiziert. Analog gilt dies auch für „groß gewachsene“ Ethnien und den LGA-Status.
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Durch eine korrekte Interpretation der ante- und postnatalen Körpermessdaten im Sinne „individualisierter Perzentile“ werden Fehldiagnosen von Pränatalmedizinern, Gynäkologen und Neonatologen bezüglich eines SGA- oder LGA-Status vermieden.
Publication History
Article published online:
01 September 2025
© 2025. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany
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