Nervenheilkunde 2020; 39(01/02): 6-9
DOI: 10.1055/a-0976-0420
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zur Psychologie der Erderwärmung

Manfred Spitzer
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
12. Februar 2020 (online)

Meine beiden Beiträge in diesem Heft wurden zwischen Weihnachten und den Heiligen Dreikönigen verfasst – in gefühlten 100 Stunden und oft bei einem Kaminfeuer. Dies war nicht nur den Fenstern und der Zentralheizung (beides nicht mehr auf dem neuesten Stand) geschuldet, sondern auch dem Effekt der lodernden und knisternden Flammen auf mein Gefühl von Wohlbefinden in warmer Behaglichkeit – die Dänen nennen es Hygge [13]. „Alles bloß romantische Einbildung – und noch dazu der ganze Feinstaub und die Erderwärmung!“, werden jetzt manche entsetzt denken. Dass Feuer mehr ist und vor allem war als romantischer Firlefanz, habe ich im Beitrag „Geist und Gehirn“ beleuchtet [10].

Zur Problematik der Erderwärmung haben vor allem Klimaforscher, Meteorologen, Physiker, Biologen und andere Naturwissenschaftler Stellung bezogen. Bereits vor einigen Jahren meldeten sich auch Psychologen zu Wort, um aus ihrer Sicht die Probleme, die Menschen mit dem Klimawandel haben, zu beleuchten [11]. Sie identifizierten 5 klimarelevante psychologische Sachverhalte:

  • Menschen stützen ihre Entscheidungen und ihr Verhalten allgemein eher auf persönliche Erfahrungen als auf komplexe abstrakte Sachverhalte. Dies stellt ein Problem dar, weil der Klimawandel sich aus statistischen Analysen ergibt und damit in Begriffen und Zahlen beschrieben wird, nicht in konkreten Erfahrungen. Mit der Zunahme extremer Wetterereignisse (Wirbelstürme, Überschwemmungen, Trockenheit) dringe der Klimawandel allerdings immer stärker in unsere Lebenswelt ein – wenn nicht als direkte Erfahrung, dann zumindest in den Medien. Man denke nur an die bildgewaltigen Buschbrände in Australien mit den apokalyptisch wirkenden Fotos und Videos.

  • Aufgrund der enormen globalen Ausmaße des Problems des Klimawandels fühlen sich die Menschen machtlos. Statt zu verzweifeln (was nichts bringt) könne man aus psychologischer Sicht nur mit neuen sozialen Normen Abhilfe schaffen, die individuelles Handeln belohnen, auch wenn es sich anfühlt wie ein Tropfen auf dem heißen Stein.

  • Menschen neigen dazu, in ihrem unmittelbaren persönlichen Umfeld anders zu handeln als gegenüber räumlich und zeitlich weiter entfernt liegenden und zudem unsicheren, d. h. nur mit gewissen Wahrscheinlichkeiten auftretenden Ereignissen. Das abstrakte Entfernte können Menschen leichter ignorieren als das unmittelbare Persönliche. Die Kommunikation über den Klimawandel könne wirksamer geschehen, wenn man sich stärker auf die regionalen Auswirkungen der Erwärmung konzentrierte.

  • Die Einstellung von Menschen zu Risiken hängt von deren Framing ab, d. h. davon, ob sie als mögliche Gewinne oder Verluste dargestellt werden. Es hat sich in Untersuchungen gezeigt, dass Menschen beim Umgang mit Verlusten vergleichsweise risikobereiter sind. Daraus leiten die Autoren ab, dass man weniger über langfristige Verluste (infolge von Nichthandeln), sondern mehr über kurzfristigen Nutzen (Gewinn infolge von Handeln) sprechen sollte. Für solche „Sofortmaßnahmen“ erhielte man mehr öffentliche Unterstützung.

  • Damit zusammenhängend sei zu beachten, dass Menschen eine prinzipielle Abneigung gegenüber Verboten haben und stattdessen eher auf beispielsweise finanzielle Anreize zur Energieeinsparung reagieren, insbesondere dann, wenn diese mit intrinsischen Motiven, anderen zu helfen und die Umwelt zu schützen, verknüpft werden. Da intrinsische Motivation (das Gute wollen) durch extrinsische Motivation (Geld) langfristig jedoch untergraben wird, sollten finanzielle Anreize vorsichtig dosiert und nur kurzfristig gegeben werden.

Die Autoren fassen ihre Sicht wie folgt zusammen. „Politiker sollten den Klimawandel nicht als fernes, künftiges, abstraktes Risiko eines großen Verlusts darstellen, sondern

  • den Schwerpunkt ihrer Argumentation auf das persönliche Risiko im Hier und Jetzt legen,

  • das persönliche, positiv erfahrungsgestützte Engagement emotional betonen,

  • klimarelevante gesellschaftliche Gruppennormen unterstützen,

  • auf die Vorteile von sofortigem Handeln setzen und

  • an von jedem Menschen letztlich selbst akzeptierte, langfristige Ziele einer gesunden und menschengerechten Umwelt appellieren“ [11].

Im Sommer 2019 erschien ein Sammelband mit dem Titel „die kognitive Psychologie des Klimawandels“ [8], der 10 Beiträge enthält – von theoretischen Gesichtspunkten bis zur emotionalen Auswertung von Bildern des Klimawandels, die frei zur Verfügung gestellt werden. Es blieb nicht bei bloßen Veröffentlichungen. Im Herbst 2019 trafen 42 psychologische Fachgesellschaften auf internationaler Ebene zusammen (Kasten), um mit einer Stimme zur Lösung des Problems Klimawandel beizutragen. Am 15. November 2019 um 14.30 Uhr fanden unter der Schirmherrschaft der amerikanischen und portugiesischen psychologischen Gesellschaft (APA und OPP) in Lissabon das erste Treffen statt, der inaugural International Summit on Psychology and Global Health ([ Abb. 1 ]). Dort wurde eine Erklärung verabschiedet (www.psychologyandglobalhealth.org/), der folgende Präambel vorausgeht:

Zoom Image
Abb. 1 Screenshot der Webseite des International Summit on Psychology and Global Health in Lissabon [1].