Zeitschrift für Palliativmedizin 2019; 20(05): 209-210
DOI: 10.1055/a-0965-2311
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Changes are Taking the Pace we’re Going Through – Palliative Care international

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Publication Date:
16 August 2019 (online)

(… in Anlehnung an David Bowie, Changes, 1971)

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Birgit Jaspers

Veränderungen sind Bewegung. Palliative Care/Palliativmedizin bewegt sich, wird bewegt, bewegt Menschen und Entwicklungen. National und international. Was fällt alles in den großen Reigen des Bewegens der letzten Jahre? Zu viel für ein kurzes Editorial, deshalb hier nur eine kleine Auswahl …

Zunächst ist das Büro der Europäischen Gesellschaft für Palliative Care (EAPC) nach Belgien, in einen Ort 40 Fahrradminuten entfernt von Brüssel, verlegt worden. (Nimmt dort jemand das Rad für die Fahrt zu Terminen in Brüssel? Das wäre doch ein schönes Element der Self Care bei der extrem hohen Arbeitsbelastung …). Jedenfalls ein Bekenntnis zu Europa und sicher auch aus pragmatischen Gründen sinnvoll. Viele Förderungen der Europäischen Union haben internationale Projekte ermöglicht und tun es noch – angefangen von der Koordinierung von Forschungsprioritäten, Methoden und Messinstrumenten über Qualitätsindikatoren, integrierte Palliativversorgung für Menschen mit Krebs-, kardialen und pulmonalen Erkrankungen, Verfügbarkeit von Opioiden, Palliativversorgung in Pflegeeinrichtungen bis hin zu Palliativer Sedierung oder Patient Reported Outcome Systems. So arbeiten im Palliativbereich Tätige nicht nur in persönlich geschaffenen Netzwerken über Ländergrenzen hinweg zusammen, sondern gemeinsam an Zielen, Definitionen, Evidenz, Forderungen an die Politik, Standards und Haltungen.

Zahlen von Diensten und Einrichtungen der Hospiz- und Palliativversorgung haben sich bewegt, in der Regel nach oben. So zeigt es der Atlas of Palliative Care in Europe, dessen Auflage 2019 auch in neuer thematischer Aufbereitung erschienen ist. Zudem wurde von der Forschergruppe mit Unterstützung vieler internationaler Experten auch der Atlas of Palliative Care in Latin America zusammengestellt. Beides ermöglicht es, sich über Entwicklungen in anderen Ländern zu informieren, über Kriterien für Benchmarking im internationalen Bereich zu reflektieren oder, neben vielem anderen, auch Partner(-Organisationen) für Kooperationen, Netzwerke oder Projekte zu identifizieren.

Was uns als Mitmenschen weltweit bewegt, sind Fragen der Aufnahme und Versorgung von denjenigen, die von Flucht oder Kriegssituationen betroffen sind. Neben den etablierten humanitären und Not-for-Profit-Organisationen, die sich für eine Basisversorgung (inklusive der medizinischen) einsetzen, sehen wir auch eine Bewegung in Palliative Care. Die neue Task Force Refugees and Migrants der EAPC will den Bedarf an Palliativversorgung bei Flüchtlingen explorieren, einen Action Plan für die EAPC entwerfen, ein Schulungsmodul für humanitäre Gesundheitsdienste, eine Kontaktliste mit Palliativexperten als Ansprechpartner für diese Gesundheitsdienste und andere Versorger vor Ort erstellen, Empfehlungen für Gesundheitspolitiken aussprechen und mit relevanten Organisationen, wie etwa der Weltgesundheitsorganisation, zusammenarbeiten. Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR), so informiert die Task Force auf ihrer Website des EAPC Portals, sind derzeit 17 % (d. h. mehr als 11 Millionen) der weltweit über 65 Millionen „forcibly displaced persons“ in Europa.

National gibt es in der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin seit 2017 die Arbeitsgruppe Palliativversorgung für Menschen mit Migrationshintergrund. Vernetzungen entstehen, an der Sensibilisierung für Herausforderungen, Lösungen, Haltungsänderungen arbeiten Forschende und Versorgende und auch an der Auseinandersetzung mit Definitionen der Zielgruppe. Gehören dazu auch britische Staatsbürger? Jetzt schon oder erst demnächst?

Es gab die Bewegung vom diagnoseorientierten Blick hin zum bedarfsorientierten in Forschung, Versorgung und politischem Engagement in Palliative Care. Und um die Versorgung von Menschen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung. Und um Genderfragen. Aber gehen wir die alten Pfade weiter und werten demnächst nur nach ein paar zusätzlichen Kriterien aus? Oder muss sich der Blick erst einmal zurückbewegen, um dann anders, frischer, zielorientierter nach vorne zu schauen? Gender, so wurde in einem beeindruckenden Vortrag auf dem EAPC-Kongress in Berlin gesagt, „ist eine soziale Determinante des Sterbens in all unserem Denken über Palliative Care“. Da reicht es nicht, Geschlecht-Querstrich-Gender zu sagen und doch nur Frauen und Männer zu meinen und dabei auf Unterschiede in Behandlung, Versorgung, Symptomlast zwischen diesen beiden Geschlechtern zu schauen wie bisher. Denn die Gründe für Ergebnisse in vielen Studien seien in Hinblick auf Gender „largely unexplained“ (weitestgehend unerklärt). Daher sollten vielzitierte Ergebnisse nicht einfach als Basis für weitere, verfeinerte Verifizierungen genommen werden. Vielmehr für mögliche Falsifizierungen, die Aufdeckung von Verzerrungen unter Berücksichtigung der sozialen Dimension von Gender.

Bewegung ins Denken, Handeln und Positionieren kommt auch durch Überschwappen nationaler Themen („Opioidkrise“, Überpolitisierung unsachgemäßer Anwendung des Liverpool Care Pathways) auf andere Länder und Gesundheitsorganisationen, die internationale Stärkung und Selbststärkung des Ehrenamts (Task Force, Charta, internationales Symposium), den Einsatz von Technik (Telemedizin, Pflegeroboter) und vieles mehr.

Wer bewegt die Entwicklungen und Haltungen in Palliative Care? Zunehmend nicht mehr nur die Generation der Pioniere, sonders bereits die zweite und dritte Generation danach mit möglicherweise anderen Prioritäten in einer sich rasch verändernden Welt. Und immer mehr Menschen. Vorbei sind die Tage, als wir aus Nordrhein-Westfalen beim Boarding noch halbherzig scherzten, „wenn dieser Flieger zum Kongress abstürzt, liegt die Palliativversorgung in unserer Region brach“.

Was Menschen thematisch im Palliativ- und Hospizbereich bewegt, bleibt aber immer auch divers in moralischen, kulturellen und gesetzlichen Fragen in Bezug auf die Gestaltung des Lebensendes. Liberalisierungen, Gesetzesverschärfungen, Einordnungen von Handlungen und Strategien zur Verkürzung oder Beendigung des Lebens werden uns weiterhin im (hoffentlich konstruktiven) Dialog halten. National und international. Auch in Gremien und Verbünden, in denen Mitglieder und Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin zum Teil an prominenter Stelle mitwirken.

Freuen wir uns darauf, uns als unserer Fachgesellschaft Verbundene zusammen bewegen zu lassen und etwas zu bewegen.

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Birgit Jaspers
Forschungskoordinatorin Universitätsklinik Bonn und Wissenschaftliche Mitarbeiterin Universitätsmedizin Göttingen (Abteilungen für Palliativmedizin), langjähriges, aktives Mitglied der DGP