Neurologie up2date 2020; 03(02): 199-210
DOI: 10.1055/a-0942-3435
Myopathien und Neuropathien

Nicht-dystrophische Myotonien

Christiane Schneider-Gold

Nicht-dystrophische Myotonien zeichnen sich durch eine Störung der Erschlaffung der Muskulatur nach Willkürinnervation und auch in Ruhe aus und gehen mit einer variablen Steifigkeit der Muskulatur einher. Zu den nicht-dystrophischen Myotonien gehören die Chloridkanal-Myotonien (Myotonia congenita Thomsen und Myotonia congenita Becker) sowie die Natriumkanal-Myotonien (Paramyotonia congenita Eulenburg) und kaliumsensitive Myotonie).

Fazit

Take Home Message

Klinische Charakteristika einer Chloridkanalmyotonie sind

  • eine spontan auftretende fokale (z. B. Faustschlussmyotonie) oder generalisierte Myotonie mit

  • einem deutlichen Warm-up-Phänomen und

  • häufig ein athletischer Habitus.

Eine zusätzliche transiente Parese spricht für eine autosomal-rezessive Myotonia congenita (MC) Typ Becker. Bei der autosomal-dominanten MC Thomsen tritt im Laufe des Lebens nur selten eine Muskelschwäche ein, aber eine Zunahme der Myotonie ist möglich. Bei der MC Typ Becker ist die Entwicklung permanenter Paresen und eine Zunahme der Myotonie im Laufe des Lebens nicht ausgeschlossen.

Fazit

Take Home Message

Klinische Charakteristika einer Paramyotonie sind eine kälte- oder belastungsabhängig auftretende Myotonie und Muskelschwäche mit einer paradoxen, d. h. bei repetitiven Bewegungen zunehmenden Myotonie in der klinischen Untersuchung. Das Auftreten einer Myotonie in Abhängigkeit von bestimmten Tageszeiten, Nahrungsaufnahme oder Kaliumgabe sowie körperlicher Anstrengung lässt an eine kaliumsensitive Myotonie denken.

Kernaussagen
  • Nicht-dystrophe Myotonien sind genetisch und klinisch heterogene Erkrankungen, die durch eine spontan oder aufgrund von bestimmten Auslösern provozierte bzw. verstärkte Muskelsteifigkeit gekennzeichnet sind.

  • Die Chloridkanalmyotonien sind durch einen Erkrankungsbeginn in der Kindheit, einen muskulösen/athletischen Habitus mit fakultativer Wadenhypertrophie, ein Warm-up-Phänomen (Nachlassen der Myotonie bei wiederholten Bewegungen), Lid-Lag, Faustschlussmyotonie, Perkussionsmyotonie, gelegentlich Entwicklung einer leichten Muskelschwäche im Lauf des Lebens und den Nachweis myotoner Entladungsserien im EMG charakterisiert. Eine transiente Parese ist spezifisch für die autosomal-rezessive Chloridkanalmyotonie Typ Becker.

  • Die seltener als die Chloridkanalmyotonien vorkommenden Natriumkanalmyotonien zeigen meist kein Warm-up-Phänomen, sondern – insbesondere die Paramyotonie – eine Zunahme der Myotonie bei repetitivem Bewegungen, körperlicher Belastung und Kälte. Eine Abhängigkeit vom Kaliumhaushalt bzw. Faktoren, die diesen beeinflussen (einschl. Belastung) sind hinweisend auf eine kaliumsensitive Myotonie.

  • Die Myotonia permanens ist die schwerste Form der Myotonie überhaupt und kann mit einer Beteiligung des Zwerchfells und der Atemmuskulatur einhergehen. Sie ist auf Mutationen im muskulären Natriumkanal-Gen zurückzuführen und kann sich bereits unmittelbar nach der Geburt manifestieren.

  • Die myotonen Dystrophien Typ 1 und Typ 2 (DM1 und DM2) sind autosomal-dominant vererbte Repeat-Erkrankungen (CTG-Repeat-Expansion im DMPK-Gen auf Chromosom 19q bzw. CCTG-Repeat im 1. Intron des ZNF9-Gens auf Chromosom 3q) , die über die Myotonie hinausgehende multisystemische Manifestationen aufweisen und durch die Kernsymptome Myotonie, Muskelschwäche, Katarakt, kardiale Manifestationen, Diabetes und ZNS-Beteiligung charakterisiert sind. Eine schwere kongenitale Form ist nur bei der DM1 beschrieben.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
13. Mai 2020

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York

 
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