Nervenheilkunde 2019; 38(09): 686
DOI: 10.1055/a-0928-3019
Buchbesprechungen
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Die Neurologie in Berlin 1840–1945

Johann Spittler
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Publication Date:
02 September 2019 (online)

Bernd Holdorff: Die Neurologie in Berlin 1840–1945. Aufstieg und Niedergang. Leipzig: Hentrich & Hentrich Verlag 2019. 264 Seiten, Hardcover, 83 Abbildungen, 35,00 Euro, ISBN 978–3–95565–291–3

Der Titel des Buches lässt erahnen, welcher Dynamik und Dramatik die Neurowissenschaften in Berlin während des umrissenen Zeitraumes ausgesetzt waren. Die im Buch niedergelegten Kapitel entstanden während bald 3 Jahrzehnten und wurden in gleicher oder ähnlicher Fassung verschiedentlich publiziert. Bei der Lektüre der so detailreich und spannend geschriebenen 17 Kapitel kann man dem Autor problemlos in der Auffassung folgen, dass seinerzeit Berlin neben Paris und London ein Weltzentrum der Neurologie dargestellt habe. Die inhaltlichen Entwicklungsphasen der Neurowissenschaften werden in 4 Schwerpunkte unterteilt: die Neurophysiologie (mit dem prägenden Einfluss von Johannes Müller), der histologischen Forschung, der Lokalisationsforschung und der Gründungsphase der klinischen Neurologie. Einzelne Neurowissenschaftler, die in dieser Zeit prägend waren, werden mit ihren Lebensdaten und wissenschaftlichen Leistungen dargestellt.

Ausführliche biografische Abrisse bedeutender Neurologen lassen die Zeit lebendig erscheinen. Stellvertretend seien nur Moritz Heinrich Romberg genannt, dem Autor des ersten Lehrbuches der Neurologie (1841) oder Hermann Oppenheim genannt. Es würde den Rahmen einer Buchbesprechung sprengen, auf die vielen exzellenten Darstellungen der vielen mehr oder weniger bekannten Neurowissenschaftler oder Internisten mit neurologischem Interesse einzugehen, die nicht nur von ihrer fachlichen Seite, sondern auch mit ihren menschlichen Schwächen und Problemen als Zeugen der Zeitgeschichte dargestellt werden.

Interessant ist der Kampf um die Eigenständigkeit der Neurologie. Die besondere Rolle der jüdischen Ärzte in diesem Zusammenhang, die oft aufgrund erschwerter Karrieremöglichkeiten außeruniversitär Hervorragendes leisteten, wird deutlich, nicht zuletzt in Auswertung der Protokolle der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie. Und dann der Niedergang der Neurologie, beginnend mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten, Vertreibung von hochkarätigen Fachleuten mit den bekannten Folgen.

Das Buch bietet eine ungeheure Fülle von fachlichen, biografischen und historischen Daten. Man liest es mit Spannung und Gewinn. Unvermeidbare kleinere Redundanzen aufgrund des Aufbaus der Kapitel erhöhen eher den Lesegenuss. Nicht nur Lesern aus Kreisen der Neurologen und Psychiater sowie anderen Fachbereichen, sondern auch Historikern und geschichtlich interessierten Laien wird dieses Werk eine wahre Fundgrube sein.

Lutz Harms, Berlin