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DOI: 10.1055/a-0898-0275
Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie e. V.
Publication History
Publication Date:
12 June 2019 (online)
Im Interview
Prof. Dr. Hanfried Helmchen
Prof. Dr. Hanfried Helmchen war von 1977 bis 1985 der Vorsitzende der BGPN (Regionalgesellschaft West) und ist seit 1999 Ehrenmitglied der Gesellschaft. Von 1971 bis 1999 war er der Direktor der Psychiatrischen Klinik der Freien Universität Berlin. Wir trafen ihn zum Interview.
Sie waren lange Jahre BGPN-Vorsitzender. Was ist Ihnen aus dieser Zeit besonders im Gedächtnis geblieben?
Helmchen: Im Gedächtnis bleiben einem am ehesten die dramatischen Ereignisse und die, wo Gefühle im Spiel sind. Ich kann mich besonders an die Frühjahrstagung 1982 erinnern. Ich kam verspätet zu Sitzung, weil ich in den Alpen Skifahren war und eine Lawine runtergekommen war. Als ich am Hotel ‚Schweizer Hof’ ankam, wunderte ich mich schon, weil dort überall Polizei war. Plötzlich kamen 3 Frauen auf mich zu, die mir weiß gekalkte Äste überreichen wollten – für die ‚Toten der Psychiatrie’. Ich war konsterniert und fragte eine der 3, die ich als ehemalige Patientin der Klinik erkannte, ob sie denn jemals in der Klinik einen Toten gesehen hätte? Sie verneinte und äußerte unter Tränen, dass man ihr das so gesagt habe.
Zuvor hatte der leitende Oberarzt der Klinik in meiner Vertretung gerade die Sitzung eröffnet, als eine maskierte Person das Rednerpult stürmte und eine parlamentarische Anfrage der ‚Alternativen Liste‘ vorlas, die beinhaltete, dass durch den Professor H. an der Freien Universität Patienten umgebracht würden. Es wurde die Polizei gerufen und das ganze löste sich in Tumult auf und in diesen Tumult kam ich dann. Alles diente eindeutig der Diskriminierung der Psychiatrie.
Was gibt es für Unterschiede zwischen der BGPN von heute und der aus früheren Zeiten?
Helmchen: Die BGPN hatte aktivere Zeiten und weniger aktive Zeiten. Ich glaube, die jetzige Zeit ist relativ aktiv. Soweit ich es zurückverfolgen kann, begann die Gesellschaft unter der Leitung der letzten Vorsitzenden und natürlich nach der Wiedervereinigung in den 90er Jahren, erneut aktiv zu werden. So ist etwa eine ganze Reihe von Ernennungen zu Ehrenmitgliedern erfolgt.
Was würden Sie sagen, wie gut die Integration zwischen Neurologen und Psychiatern in der BGPN geklappt hat?
Helmchen: In der BGPN meine ich, gab’s da kein Problem. Wir haben abwechselnd mal einen neurologischen, mal einen psychiatrischen Vorsitzenden gehabt, das ist – soweit ich das sehe – eine Gewohnheitsregel, die auch meist eingehalten wurde. In den Sitzungen gab es neurologische und psychiatrische Vorträge, wenn auch vor allem zu Beginn des vorigen Jahrhunderts eine Zeit lang sehr viel mehr neurologische. Aber ich sehe nicht, dass es da irgendwelche besonderen Probleme gab.
Inwieweit hatten Sie nach Ihrer Zeit als Vorsitzender der BGPN Kontakt zur Gesellschaft?
Helmchen: In den letzten Jahren habe ich unter anderem dem Vorstand einige Empfehlungen geschrieben, zusammen mit der Diskussion über die Aberkennung von Ehrenmitgliedschaften. Hier ging es vor allem um die Frage, ob einige Ehrenmitgliedschaften wegen der Verwicklung der Ehrenmitglieder in nationalsozialistische Verbrechen gestrichen werden sollen. Bei der Mitgliederversammlung der BGPN im letzten Jahr, wo es um Aberkennung der Ehrenmitgliedschaft von Hugo Spatz ging, vertrat ich den Standpunkt, dass diese ehemaligen Verbrechen heute erinnert werden müssen, weil sie durchaus für unser heutiges Tun nicht ohne Bedeutung sind.
Eine Frage noch zur Zukunft des Faches Psychiatrie – was sehen Sie für Chancen und Gefahren?
Helmchen: Ich denke, der entscheidende Punkt für jedes ärztliche Handeln, aber besonders für den Psychiater ist, sich tatsächlich dem einzelnen Menschen zuzuwenden. Das ist heute zunehmend schwerer unter der zunehmenden Arbeitsverdichtung, der Qualitätssicherung, der Dokumentationspflicht und all den weiteren Pflichten, die dem Arzt einen Gutteil der Zeit rauben, sodass er das, was eigentlich das primäre Handwerkszeug und auch das eigentliche primäre Agens gegenüber dem Patienten ist – nämlich das empathische Gespräch – zu kurz kommt. Die Erkenntnis, dem Einzelnen verpflichtet zu sein, das ist für mich die Lehre aus der Beschäftigung mit der Vergangenheit.
Das Interview führte Dr. Anja M. Bauer, Berlin
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