Zeitschrift für Palliativmedizin 2019; 20(03): 111-114
DOI: 10.1055/a-0886-9022
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Doppelkopf: Sven Gottschling und Katja Welsch

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Publication Date:
03 May 2019 (online)

Prof. Dr. Sven Gottschling

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Zur Person

Geboren 1971 in Stuttgart, Medizinstudium in Tübingen mit Promotion im Jahr 2000. Ausbildung zum Kinderarzt mit Schwerpunkt Kinderonkologie am Universitätsklinikum Homburg/Saar. Weiterbildung in den Bereichen Schmerztherapie, Palliativmedizin und Akupunktur. Im Jahr 2010 Gründung des Zentrums für altersübergreifende Palliativmedizin und Kinderschmerztherapie am Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg. Seit 2010 ständiger weiterer Ausbau der Abteilung. Im Jahr 2016 Gründung der europaweit ersten altersübergreifenden Palliativstation (vom Baby bis zum Greis). Mitarbeit in zahlreichen Fachgesellschaften und Gremien. Neben der wissenschaftlichen Forschungspublikationstätigkeit auch Veröffentlichung mehrerer Sachbücher für medizinische Laien. Die Bücher „Leben bis zuletzt“ (2016), „Schmerz los werden“ (2017) und „Wer heilt, hat Recht“ (2019) schafften es alle auf die Spiegel-Bestsellerliste. Im Herbst 2019 erscheint gemeinsam mit Katja Welsch das Buch „Übers Sterben reden“, ebenfalls wie die anderen Bücher im Fischer-Verlag.

Wie kamen Sie in Ihr jetziges berufliches Tätigkeitsfeld?

Für mich gab es hier zwei wesentliche Impulse:Zum einen während des Studiums ein Seminar Betreuung schwerstkranker und sterbender Kinder vom damaligen Ordinarius für Kinderonkologie in Tübingen. Dort habe ich studiert. Diese Begegnung mit sterbenskranken Kindern, verwaisten Eltern, aber auch Ärzten und Pflegepersonal, die sich ganz bewusst für dieses Arbeitsfeld entschieden haben, waren für mich extrem prägend und so bin ich letztlich über den Umweg der Kinderonkologie im Bereich der altersübergreifenden Palliativversorgung angekommen.Der zweite Impuls war das Sterben meiner eigenen Oma, die nach einem schweren Schlaganfall noch einige Tage im Krankenhaus gelebt hat, wo sowohl die medizinische Versorgung als auch insbesondere die Kommunikation zwischen Behandler und uns als Familie mehr als verbesserungsbedürftig war.Diese beiden Erlebnisse waren für mich der Motor, mich diesem Themenfeld zu stellen und zu widmen und das mache ich jetzt mittlerweile im 20. Jahr und das immer noch mit ganz viel Spaß, Freude und Herzblut.

Was wäre für mich die berufliche Alternative?

Die beiden Berufe, die ich mir auch hätte gut vorstellen können, waren Fotograf oder Koch: dies sind im weitesten Sinne ebenfalls künstlerische Betätigungen wie auch der ärztliche Beruf. Genauso wie ein gut geführtes Gespräch gelernt, geübt und gekonnt werden will, wohnt natürlich einem gelungenen Foto oder einem liebevoll zubereiteten Gericht ein gewisser Zauber inne. So bin ich bis heute zum Beispiel leidenschaftlicher Hobbykoch und kann mich eigentlich am besten in der Küche entspannen. Ich würde hierbei nicht unbedingt behaupten, dass ich gut koche, aber ich koche zumindest gerne.

Wie beginnen Sie Ihren Tag?

Unter der Woche immer viel zu hektisch, denn als totaler Nachtmensch und Morgenmuffel, stehe ich so spät wie irgend möglich auf, versuche verzweifelt meine zugekniffenen Augenlider mithilfe von mehreren Tassen Kaffee auseinander zu zwingen, stelle mich natürlich definitiv unter die Dusche, denn ungeduscht gehe ich nicht vor die Tür, blättere einmal kurz und hektisch die Zeitung durch und hetze in die Klinik. Bis ich dort angekommen bin, bin ich dann meistens auch wach und habe mindestens 85 % meiner guten Laune aktiviert. Am Wochenende liebe ich es, lange, sehr lange, auf zu sein und dafür auch mal morgens länger und ohne jedwedes schlechte Gewissen liegen zu bleiben.

Leben bedeutet für mich …

… jeden einzelnen Tag zu genießen, dafür dankbar zu sein, wie es den für mich wichtigsten Menschen und auch mir geht und auch ganz bewusst auf der Suche nach besonderen Momenten, Herausforderungen und Aufgaben zu sein. Ich würde mich als klassischen Chancendenker bezeichnen. Ich gucke im Wesentlichen nach vorne und versuche so ein bisschen nach dem Moto zu leben: „Man lebt nur einmal und wenn man’s richtig macht, dann reicht das auch.“

Sterben bedeutet für mich …

… immer noch den größten und unabänderlichen Beziehungsverlust. Ich habe immer noch mehr Fragen als Antworten. Das Sterben ist unser Abschluss hier. Trotz völlig fehlender religiöser Bindung hoffe natürlich auch ich, dass von uns allen und damit auch von mir, nach dem Sterben etwas überdauert. Verbunden ist das Ganze für mich auch mit dem vielleicht irrationalen, aber zumindest für mich tröstlichen Wunsch, dass ich irgendwann in einer anderen Welt oder in einer anderen Form des Daseins noch mal mit den Menschen zusammen sein darf, die einem im Leben wirklich etwas bedeutet haben.

Welches Ziel möchten Sie unbedingt noch erreichen?

Beruflich möchte ich wahnsinnig gerne meine hypnotherapeutische Ausbildung beenden, die leider aktuell zu zeitaufwendig für mich ist, aber ein Feld darstellt, das mich wahnsinnig fasziniert und auch im Arbeitsalltag total bereichert. Ansonsten habe ich gar keine riesengroßen Ziele. Ich möchte noch ganz viel reisen; ich möchte noch so viel Zeit wie möglich mit Menschen verbringen, die mir guttun und denen auch ich etwas bedeute. So sind es eher die kleinen Momente, von denen ich mir noch viel, viel mehr wünsche. Irgendwann, aber vielleicht nicht so furchtbar bald, möchte ich auch Opa werden. Ich liebe Kinder und ich glaube, dass es wunderbar ist, sich um Kinder kümmern zu dürfen, anstatt es zu müssen. Bitte nicht falsch verstehen, auch das Müssen ist wunderbar, aber ich glaube, als Großvater ist es trotzdem etwas anderes und ich sage jetzt auch mal ganz selbstbewusst, ich glaube, ich werde ein guter Opa sein.

Meine bisher wichtigste Lernerfahrung im Leben ist …

Da gibt es eigentlich ganz viele. Wichtig ist die Erkenntnis, dass es oft Kleinigkeiten sind, die ganz besondere Momente bewirken. Ich habe für mich persönlich festgestellt, dass man eigentlich gar nicht freundlich oder herzlich genug sein kann, weil es einfach ansteckend ist. Die andere wichtige Lernerfahrung für mich ist, dass ich mir trotz mehrerer, zum Teil herber Rückschläge im Leben meine gute Laune nicht versauen lasse, weil ich immer noch selbst entscheiden möchte, wer oder was mich runterzieht.

Was würden Sie gerne noch lernen?

Ich würde wahnsinnig gerne singen oder richtig gut ein Instrument spielen können. Für einen Musiker muss es ein unfassbares Gefühl sein, vor einer tobenden, ausrastenden Menge von Hunderten oder Tausenden von Menschen die eigene Musik zu spielen. Aber ich glaube, dafür bin ich zum einen zu untalentiert, zum anderen zu ungeduldig. Von dem her wird’s wohl ein Traum bleiben.

Woraus schöpfen Sie Kraft für Ihre Arbeit?

Aus den täglichen wunderbaren Begegnungen mit Patienten, Angehörigen, aber auch wundervollen Kollegen genauso wie aus privaten Begegnungen mit der Familie und Freunden. Ich empfinde es als riesengroßes Geschenk, im Bereich der Palliativversorgung tätig zu sein, denn egal wie viel ich in meine Patienten investiere, ich bekomme immer ein Vielfaches davon zurück, sodass ich nicht nur jeden Tag gerne auf die Arbeit gehe, sondern eigentlich jeden Abend (zwar manchmal etwas erschöpft), aber meistens doch eher gestärkt und zufrieden nach Hause gehen kann.

Mit wem aus der Welt- oder Medizingeschichte würden Sie einen Tag verbringen?

Ja, das ist total schwierig, weil mir da spontan mehrere Menschen einfallen. Mich würde es zum einen irrsinnig interessieren, wie sich ein Mensch fühlt, der massivste körperliche Einschränkungen hat, aber einen unfassbaren wachen Geist und herausragenden Intellekt, wie zum Beispiel Stephen Hawking. Ich hätte auch total gerne einen Tag mit Che Guevara verbracht. Da geht es jetzt mehr in Richtung Abenteuer, aber hier geht’s natürlich auch um die gemeinsame Verbindung zwischen zwei Kinderärzten. Am meisten Spaß hätte ich wahrscheinlich mit Loriot gehabt; einem Menschen mit so wunderbarem feinsinnigem Humor und seiner unglaublichen Beobachtungsgabe und unfassbarem Gespür für Situationskomik. Ich glaube, das würde ein großartiger Tag werden.

Wenn ich einen Tag unsichtbar wäre, würde ich ….

… diesen Tag total gerne in unmittelbarer Nähe von Donald Trump verbringen. Wahrscheinlich wäre ich hinterher noch dramatisch fassungsloser als ich es ohnehin jetzt schon bin, aber es wäre sicherlich eine neue Dimension des Fremdschämens.

Wie können Sie Katja Welsch beschreiben?

Ich habe sie damals zum Start unserer Palliativstation motivieren können, in unser Team zu wechseln, obwohl sie sich total unsicher war, ob sie mit so viel Not, Elend und Nöten von Menschen dauerhaft umgehen kann. Für mich hat sich ganz klar bewahrheitet: Eine bessere Wahl für die Versorgung unserer Patienten, aber auch die Leitung unseres therapeutischen Teams und den Gesamtüberblick psychosozialer Themen und unseres Forschungsbereichs hätte ich nicht finden können. Sie ist für mich in bemerkenswerter, herausragender Weise eine ungemein ausgleichende Person und von daher gleichermaßen Anlaufstation für Patienten und Mitarbeiter. Zu ihrem ohnehin sehr ausgeprägten Engagement kommen dann immer wieder neue ehrenamtliche Projekte und Ideen dazu; so hat sie mit einer Kollegin gemeinsam ein Wünsche-Erfüllungsteam bei uns am Palliativzentrum gegründet und dafür ein riesengroßes Benefizkonzert auf die Beine gestellt, ein Nachsorgeprojekt für verwaiste Kinder aus dem Boden gestampft und vieles mehr. Außerdem gehört sie zu den wenigen Personen, die sich stets um Veränderungen und Optimierung bemühen, und auch nicht müde werden, mich, meine Einstellung und meine Arbeit, aber auch durchaus meinen Führungsstil in unserer Abteilung, kritisch zu hinterfragen und auch immer wieder, durchaus nicht immer angenehm, den Finger in die Wunde zu legen.Zu guter Letzt freue ich mich natürlich total mit ihr gemeinsam ein Buch veröffentlichen zu dürfen, was auf ihre Initiative zurückgeht. Im Herbst diesen Jahres wird das Buch „Übers Sterben reden, wie Kommunikation in schwierigen Situationen gelingt“ erscheinen und wir hoffen beide, dass wir damit den Betroffenen und ihren Angehörigen Hilfe, Unterstützung und Orientierung geben können.

Wie beenden Sie Ihren Tag?

Am liebsten indem ich versuche, meine zum Teil doch auch über den Tag etwas glühenden Hirnwendungen nochmal runterzukühlen, zum Beispiel indem ich mich mit einem guten Buch und einem Glas Rotwein in die Badewanne lege. Das halte ich total lange aus, da ich eine sehr spezielle Technik anwende: Ich lege mich in die leere Badewanne, lasse ganz, ganz langsam heißes Wasser einlaufen, so dass es im Mittel eine gute Stunde braucht, bis die Wanne voll ist und ich durchgegart bin. Da es über Tag so viele anstrengende und herausfordernde Themen gibt, bevorzuge ich hier eher seichte Literatur, das heißt irgendeinen spannenden Krimi, oder auch gerne abends auf der Couch mal eine seichte Berieselung aus der Glotze und da darf es gerne auch mal leichte Koste sein, dann ab ins Bett und an die Partnerin gekuschelt.

Gibt es etwas, das Sie gern gefragt worden wären, aber noch gefragt worden sind?

Im beruflichen Kontext wäre es natürlich wunderschön, wenn mich jemand fragen würde: „Wie stellst Du Dir optimale Palliativversorgung für Deine Patienten vor. Mach Dir um die Umsetzung und Finanzierung keine Sorgen, das wird geregelt.“Privat wäre die Frage schön: „Hättest Du nicht mal Lust, ein Jahr lang bezahlt Urlaub zu machen und während der Zeit einen Krimi zu schreiben mit dem Arbeitstitel ‚Der Tod trägt weiß‘ – ein Ärztekrimi.