Klinische Neurophysiologie 2019; 50(03): 173-176
DOI: 10.1055/a-0876-0123
Der besondere Fall
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Thoracic-outlet-Syndrom als Ursache chronischer Armbeschwerden

Josef Böhm
1   Neurologische Privatpraxis, Berlin
,
Peter Dollinger
2   DRK Krankenhaus Berlin-Mitte
› Author Affiliations
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Publication Date:
20 August 2019 (online)

Einleitung

Das Thoracic-outlet-Syndrom (TOS) bezeichnet eine Kompression des Plexus brachialis und/oder der Arteria und Vena subclavia in der Thoracic Outlet Region. Diese besteht anatomisch aus dem Scalenus-Dreieck, dem kostoklavikulären Raum und dem infraklavikulären Ansatzbereich des M. pectoralis minor [1]. Obwohl ca. 95% der Patienten mit TOS neurologische Reizerscheinungen haben [2], ist der Anteil der „echten“ NTOS –Fälle mit persistierenden neurologischen Ausfällen, typischerweise mit Beteiligung der unteren Plexusanteile und damit assoziierten elektrophysiologischen Befunden deutlich geringer. Beim NTOS mit persistierenden Ausfällen liegt meist eine untere Plexusschädigung mit dem klinischen Bild der sog. Gilliatt-Sumner Hand (GSH) vor. Kennzeichen hierfür sind:

  • eine deutliche Atrophie,

  • eine Schwäche des Daumenballens und

  • eine Schwäche der Musculi interossei im Vergleich zum Hypothenar mit begleitender Hypästhesie im Versorgungsgebiet des Nervus ulnaris und des Nervus cutaneus antebrachii medialis [3].

Die GSH ist häufig assoziiert mit kongenitalen Anomalien im Bereich des Scalenus-Dreiecks, z. B. hypertrophischer Processus transversus C7, Halsrippe, fibromuskuläre Bänder oder Verdickung der medialen Kante des Musculus scalenus medius. Bei dieser Untergruppe der NTOS ist eine operative Dekompression in der Regel über einen supraklavikulären Zugang indiziert und erfolgreich [4]. Beim supraklavikulären NTOS wurde bereits ein typisches sonografisches Zeichen, das sog. Keil-Sichel-Zeichen (wedge-sickle sign) durch die verdickte mediale Kante des M. scalenus medius als Kompressionsursache beschrieben [5].

Venöses und arterielles TOS

Das venöse TOS (VTOS) ist mit ca. 4% aller TOS-Fälle deutlich seltener als das NTOS. Die Ursache für VTOS ist entweder eine persistierende oder intermittierende lageabhängige Venenokklusion im kostoklavikulären Bereich. In der Regel ist die VTOS mit einer abnormen lateralen Insertion des kostoklavikulären Ligaments und/oder der Subclaviussehne assoziiert [6].

Unter arteriellem TOS (ATOS) werden nach der aktuellen Klassifikation nur Patienten mit arteriellen Embolien oder arteriellen Verschlüssen bei Stenose mit oder ohne Aneurysma der Arteria subclavia verstanden. Daher liegt die Inzidenz nur bei etwa 1% aller TOS-Fälle. Als Ursache des ATOS finden sich meist ossäre Anomalien, in erster Linie Halsrippen oder Anomalien der 1.Rippe und seltener fibromuskuläre Anomalien [2]. Patienten mit isolierter lageabhängiger arterieller Kompression oder mit gleichzeitigen neurologischen Reizerscheinungen des Plexus brachialis (NTOS) werden nicht als ATOS-Fälle gewertet [7].

Die folgende Kasuistik zeigt, dass bei kombinierten neurogenen und arteriellen Symptomen die gleichzeitige Anwendung der Nervensonografie und der Farbduplexsonografie einen Beitrag zur Lokalisation und ätiologischen Diagnostik leisten kann. Gleichzeitig wirft sie Fragen zur bisherigen ätiologischen Zuordnung und Klassifikation des TOS auf.


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  • Literatur

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