Zusammenfassung
Hintergrund: Anlässlich seines 170. Geburtstages soll Carl Wernicke als Hauptvertreter einer neurobiologischen
Psychiatrie im ausgehenden 19. Jahrhundert gewürdigt werden. Anliegen der vorliegenden
Arbeit ist es, mögliche Beziehungen Wernickes und der „Wernicke-Kleist-Leonhard (WKL)
Schule“ zur „Erlanger Schule“ der Psychiatrie näher zu beleuchten.
Methoden: Primär- und Sekundärliteratur wurden unter dem Aspekt der Hypothesenprüfung ausgewertet.
Quellenarbeit erfolgte.
Ergebnisse: Wernickes Bemühen um die klinische Umsetzung seines nosologischen Systems wurde von
seinem jüngsten Hallenser Schüler Karl Kleist (1879–1960) fortgesetzt. Nach Wernickes
frühem Unfalltod wurde Kleist zum Schüler Gustav Spechts (1860–1940) in Erlangen.
Geprägt von der „Erlanger Schule“ Spechts entwickelte der spätere Kleist-Schüler Karl
Leonhard (1904–1988) auf der Grundlage der Forschungen Wernickes und Kleists eine
sehr differenzierte Aufteilung endogener Psychosen.
Diskussion: Die von Specht begründete klassische „Erlanger Schule“ der Psychiatrie stellt möglicherweise
ein Bindeglied in der Entwicklung der „Wernicke-Kleist-Leonhard Schule“ dar. Wernickes
Beschreibung der „Angstpsychose“ veranlasste Specht zu einer Abhandlung über den Angstaffekt
im „manisch-depressiven Irresein“. Diese wiederum regte Karl Leonhard zu seiner späteren
Konzeption der „Angst-Glücks-Psychose“ an. Generell hatte Leonhard unter Spechts Leitung
ein Gespür für Bipolaritäten als entscheidenden Aspekt seines späteren Konzeptes der
zykloiden Psychosen entwickelt. Spechts Darstellung zum „pathologischen Affekt“ in
der Paranoia beeinflusste das Leonhardsche Konzept der „affektvollen Paraphrenie“.
Schluss: Moderne Verfahren der funktionellen Bildgebung eröffnen dem Lokalisationsgedanken
Wernickes neue Perspektiven. Die naturwissenschaftlich-philosophische „Doppelausrichtung“
der WKL-Schule kann zu einer erneut vermehrten Integration von philosophischen Elementen
(Ethik, Religiosität, Spiritualität) im psychiatrisch-psychosomatischen und psychotherapeutischen
Berufsfeld anregen.
Abstract
Background: To celebrate Carl Wernicke’s 170th anniversary, the paper aims at analysing possible
connections of Wernicke and his “Wernicke-Kleist-Leonhard (WKL) school” to the “Erlangen
school” of psychiatry.
Methods: Relevant primary and secondary literature as well as archival material were examined
to test the hypothesis.
Results: Wernicke’s efforts to realise his nosological system in clinical practice were continued
by his pupil Karl Kleist (1879–1960). After Wernicke’s tragic early death Kleist worked
under Gustav Specht’s “Erlangen school of psychiatry”. Karl Leonhard (1904–1988),
who worked under Specht as well as under Kleist, continued Wernicke’s and Kleist’s
research and ended up with a very differentiated classification of endogenous psychoses.
Discussion: Specht’s “Erlangen school” of psychiatry can be regarded as a link in the development
of the “Wernicke-Kleist-Leonhard school”. Wernicke’s description of “anxiety psychosis“
motivated Specht to study the emotion of anxiety in “manic-depressive disorder”. Specht’s
study again stimulated Leonhard’s concept of “anxiety-happiness psychosis”. Generally,
Specht’s intensive focus on bipolarity has influenced Leonhard’s concept of cycloid
psychoses. Specht’s description of “pathologic affect” had an impact on Leonhard’s
concept of “affect-laden paraphrenia”.
Conclusion Modern methods of neuro-imaging open a new perspective to Wernicke’s localisation
theory. The natural-scientific-philosophical “double orientation” of the WKL school
motivates an increased integration of philosophical elements (ethics, religiosity,
spirituality) in the field of psychiatry, psychosomatic medicine and psychotherapy.
Schlüsselwörter
Carl Wernicke - Wernickes psychiatrische Auffassung - „Wernicke-Kleist-Leonhard (WKL)
Schule“ - „Erlanger Schule“ der Psychiatrie
Key Words
Carl Wernicke - Wernicke’s approach to psychiatry - “Wernicke-Kleist-Leonhard (WKL)
school” - “Erlangen school” of psychiatry