PPH 2019; 25(03): 154
DOI: 10.1055/a-0864-7663
Rund um die Psychiatrie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Für Sie gelesen: Aktuelle Studien: Monroe AE, Malle BF. People Systematically Update Moral Judgments of Blame. Journal of Personality and Social Psychology: Attitudes and Social Cognition 2019; 116 (2): 215–236

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Publication History

Publication Date:
23 May 2019 (online)

Hintergrund: Moralische Fragen begleiteten den Menschen und das gesellschaftliche Leben bereits in der Vergangenheit und sind Richtungsweiser im Heute und Morgen. Die Moral und die damit verbundenen Normen, Werte und Tabus sind deshalb ein wichtiger Begleiter in der Selbstwahrnehmung für das Individuum und soziale Gemeinschaften. Im Lebensverlauf kann das Gefühl der Schuld auftreten. Die Schuldzuweisung eines Menschen basiert auf der moralischen Situationsbeurteilung. Schuld erfahren und zuweisen nimmt dabei eine besondere Bedeutung im Leben ein, weil beide Interaktionen gleichermaßen im kontinuierlichen Abgleich mit dem persönlichen moralischen Wertekompass eines Menschen stehen. Abhängig von der Entwicklung der moralischen Wertevorstellungen kann sich ein Schuldgefühl verstärken oder schwächen. Die Forscher dieser Studie untersuchten die Wahrnehmung und Prognose dieser Veränderung der moralischen Situationsbeurteilung.

Methode: In sechs unterschiedlichen Experimenten mit insgesamt 580 Probanden wurde die prognostizierte Veränderung von Schuldbeurteilung von Menschen im sozialen Umfeld untersucht. Basierend auf einem neuen experimentellen Paradigma-Ansatz wurden Schuldzuweisungen und deren Auswirkungen aus unterschiedlichen Perspektiven beurteilt.

Ergebnis: In den ersten vier Studien wurde nachgewiesen, dass neue kausale Informationen im moralischen Wertekompass eines Menschen berücksichtigt und damit Schuldzuweisungen neu bewertet werden können. Dieser kognitive Vorgang kann zu einer Intensivierung oder Milderung der Schuldzuweisung führen. Die Erstellung einer belastbaren Prognose basierend auf der Werteentwicklung sei jedoch schwer möglich. Die Ergebnisse der fünften Studie zeigen auf, dass Schuldzuweisungen ohne eine wesentliche Veränderung der Wertevorstellung unverändert bleiben. Die letzte Untersuchung verdeutlicht ebenfalls, dass Entwicklungen in der Bewertung der Schuldzuweisung dann eintreten können, sobald die sozialen und bisher akzeptierten Normen und Werte eines Individuums oder einer Gruppe sich verändern.

Fazit: Die Schuldzuweisung basiert auf den manifestierten Werteüberzeugungen eines Menschen oder einer sozialen Gruppe. Die Beurteilung, ob die zugewiesene Schuld angemessen ist, kann sich im Zeitverlauf intensivieren oder abschwächen – entsprechend der Veränderung der sozialen Normen, Werte und Tabus.

Jörg Kußmaul