Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2019; 54(07/08): 485-494
DOI: 10.1055/a-0821-6759
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Juristische Stellvertreter in der Medizin: Bevollmächtigte und Betreuer

Legal Proxies in Medicine: Representatives and Legal Guardians
Gerald Neitzke
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Publication Date:
25 July 2019 (online)

Zusammenfassung

Jeder Patient hat Rechte. Ein zentrales Recht ist die Zustimmung oder Ablehnung einer medizinisch indizierten Behandlung nach Aufklärung [1]. Für einen Patienten, der seine Rechte zum Beispiel wegen einer Bewusstlosigkeit, Demenz oder anderen psychiatrischen Erkrankung nicht selbst wahrnehmen kann, muss ein juristischer Stellvertreter diese Aufgaben übernehmen. Dieser Beitrag stellt dar, wie Bevollmächtigte oder Betreuer in die Entscheidungsfindung eingebunden werden müssen.

Abstract

Patientsʼ rights need to be protected, particularly if the patient is unconscious or otherwise unable to consent. According to German law, a legal proxy is mandatory. Spouses and adult children do not automatically function as legal proxies. There are two alternative ways to become a legal proxy: a patient representative (Bevollmächtigter) is authorized by a written power of attorney (Vorsorgevollmacht), signed by the patient. If there is no power of attorney, a legal guardian (Betreuer) has to be appointed by a guardianship court. Both representatives and guardians are obliged to support the patient and are only allowed to make medical decisions, if the patient is currently unable to give his/her consent. The legal proxy is obligated to take into account advance directives, other patient preferences and presumed wishes. Recommendations and examples are given on how to apply these documents in medical practice and how to deal with legal representatives and guardians.

Kernaussagen
  • Ein Patient kann seine Rechte nur wahrnehmen, solange er einwilligungsfähig ist. Jeder Volljährige gilt zunächst als einwilligungsfähig. Der Arzt muss die Einwilligungsfähigkeit überprüfen.

  • Wenn der Patient nicht einwilligungsfähig ist, benötigt er einen Stellvertreter, der für ihn seine Rechte wahrnimmt. Die in einer Vorsorgevollmacht für Gesundheitsangelegenheiten genannte Person ist automatisch und unmittelbar berechtigt, Behandlungsentscheidungen im Namen des Patienten zu treffen.

  • Liegt keine Vollmacht vor, muss der Arzt beim Betreuungsgericht die Einrichtung einer Betreuung beantragen. Bis dies erfolgt ist – und im Rahmen der Notfallversorgung – muss der Arzt den Patientenwillen so gut wie möglich ermitteln und berücksichtigen. Dies ist oft nur begrenzt möglich, z. B. bei eiligen Notfallentscheidungen.

  • Der juristische Stellvertreter – Bevollmächtigter oder Betreuer – muss seine Entscheidungen immer auf den geäußerten oder mutmaßlichen Patientenwillen stützen. Der Stellvertreter darf im Namen des Patienten grundsätzlich auch in gefährliche Heileingriffe einwilligen und das Begrenzen oder Beenden von lebenserhaltenden Maßnahmen verfügen – bei einer Bevollmächtigung aber nur, wenn dieses Recht ausdrücklich in der Vollmacht erteilt wurde.

  • Liegt ein Dissens zwischen Behandlungsteam und Stellvertreter über den Patientenwillen vor, sollte zunächst ein klärendes Gespräch geführt werden. Falls dies zu keiner Einigung führt, ist das Betreuungsgericht einzuschalten.

  • Entscheidungen über freiheitsbeschränkende Maßnahmen und Zwangsbehandlung bedürfen zusätzlich zur Zustimmung durch den Stellvertreter einer gerichtlichen Genehmigung.

 
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