Zeitschrift für Palliativmedizin 2018; 19(06): 290-295
DOI: 10.1055/a-0750-2301
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Doppelkopf: Susanne Preuss und Ingemar Nordlund

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Publication Date:
25 October 2018 (online)

Susanne Preuss

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Zur Person

1957 in München als drittes Kind in meine Familie geboren, Schulzeit in Gräfelfing, Berlin und Aachen. Medizinstudium in Aachen und Ulm, meine Weiterbildung im Fach Anästhesie begann ich am Krankenhaus Neu-Ulm, Herzzentrum Berlin und Universitätsklinikum Schleswig-Holstein – Campus Lübeck. Hier leitete ich 9 Jahre die Schmerzambulanz und absolvierte berufsbegleitend eine Verhaltenstherapie-Ausbildung.

In diese Zeit fiel auch das wichtigste Ereignis in meinem bisherigen Leben – 1992 die Geburt meiner Tochter Florentine – und 7 Jahre später die Heirat meines Mannes Ben. 2000 – 2015 arbeitete ich als niedergelassene Schmerztherapeutin innerhalb einer fachübergreifenden Praxisgemeinschaft. Ab demselben Jahr unterstützten wir das neu gegründete Hospiz Rickers-Kock-Haus in Lübeck mit palliativmedizinischer Behandlungs- und Rufbereitschaft. Ab 2003 nach entsprechenden train-the-teacher-Kursen Dozentin und Kursleitung für die palliativmedizinischen Fortbildungen sowie Prüferin für Palliativmedizin bei der Ärztekammer, ab 2006 Vorbereitung und Aufbau der ambulanten vernetzten Palliativbetreuung in Lübeck und Umland, Aufnahme der Arbeit 2007, innerhalb von Kassenverträgen ab 2009 unter dem Namen Palliativnetz Travebogen gGmbH.

Mitglied in der AG Bildung seit 2003, in der AG Ethik seit ca 2012. Zugunsten der Palliativarbeit war ich über Jahre viel zu wenig in meiner Praxis, weshalb ich diese Ende 2015 an einen würdigen Nachfolger abgegeben habe. Da blieben ein paar Ressourcen übrig – die wurden von 2013 – 2016 für ein berufsbegleitendes Studium in Hamburg genutzt. Der Masterabschluss steht noch aus – ein Unfall hat mir das 2017 vereitelt. Das „kunstanaloge systemische Coaching“ brachte mir aber u. a. meine Farben als möglichen Rückzugsort zurück.

Aktuelle Projekte sind gemeinsam mit dem gesamten Team des Travebogens sowie unseren Vernetzungspartnern die Planung und Umsetzung eines ambulanten Palliativzentrums mit kurzen Wegen für alle Nutzer und alle Unterstützer. Den wichtigsten Platz bei meinen Planungen hat jedoch ganz selbstverständlich nun meine Enkelin übernommen.

Wie kamen Sie in Ihr jetziges Tätigkeitsfeld?

Ich hatte einen sehr netten Kinderarzt, der mir irgendwie seinen Beruf interessant darstellen konnte. Als ich 4 Jahre alt war, bot er mir an, später mal seine Praxis zu übernehmen. Es gab eine wunderschöne Spieluhr auf seinem Schreibtisch … Grund genug, von klein auf Kinderärztin werden zu wollen.Der tiefere Grund für den Wunsch lag aber wohl darin, dass ich von klein auf mit einer sehr kranken, aber auch sehr lebensfrohen Mutter aufgewachsen bin. Bei ihr konnte ich sehen, wie wichtig ein tragfähiges Arzt-Patienten-Verhältnis ist und auch, wie wichtig es ist, gute Gründe zu wissen, warum sich das Leben lohnt – auch mit schwerer Krankheit. Sie starb leider bevor ich mein Studium beendet hatte. In meiner fachärztlichen Weiterbildung zur Anästhesistin gab es dann zwei Anstöße, die mich bereits Ende der 80er-Jahre meine Liebe zur Palliativmedizin spüren ließen. Meine erste Chefärztin setzte mich im Kreiskrankenhaus Neu-Ulm gezielt zur konsiliarischen Betreuung palliativer Patienten ein, nachdem ich die in diesem Hause möglichen Arbeitsbereiche durchlaufen hatte. Und ich begleitete in dieser Zeit einen befreundeten Oberarzt des Hauses mit Magenkarzinom – ab Diagnosestellung bis kurz vor seinem Tod. Seine Art der Bewältigung, seine Philosophie und auch sein ganz persönlicher Umgang mit dem schnellen Progress seiner Erkrankung, haben viele Gedanken in mir angeregt.Erst 1991 wurde ich dann wieder mit der Palliativmedizin konfrontiert – mittlerweile am Universitätsklinikum Lübeck. Im Rahmen eines Modellprojekts übernahm die Klinik für Anästhesie den Aufbau einer Palliativstation. Ich behandelte die entlassenen Patienten in der Schmerzambulanz weiter.2000 ließ ich mich in einer fachübergreifenden Praxisgemeinschaft als Schmerztherapeutin nieder und betreute ab demselben Jahr – zusammen mit meinem Praxiskollegen Dr. Kissinger-Moritz – das neu gegründete Hospiz Rickers-Kock-Haus in Lübeck. Aus der Praxis heraus, angeregt durch die Hospizleitung Frau Vieth und die damalige Koordinatorin der Lübecker Hospizbewegung Frau Wiese, schrieben wir ein Konzept für eine ambulante Palliativversorgung und ich stellte den Antrag bei der Deutschen Krebshilfe auf Förderung. Kurz danach wurde mir der Wind aus den Segeln genommen, durch den plötzlichen Tod meines befreundeten Praxispartners. Wahrscheinlich hätte ich für lange Zeit keine weiteren Versuche gestartet, wenn unser Antrag nicht 2007 positiv beschieden worden wäre. Mit Hilfen vom Land Schleswig-Holstein, der Possehl-Stiftung und ganz viel Einsatz von Kollegen begannen wir 2007 in die Wohnungen der Menschen zu gehen und es gelang oft, sie dort bis zum Tod zu begleiten.Es eröffnete sich mir noch einmal eine ganz andere Form der Palliativen Begleitung. In die Privatsphäre, den Schutz der eigenen Wohnung zu dürfen, mit allen Hinweisen auf den ganz persönlichen Alltag unserer Patienten, empfand ich als großes Geschenk. Es eröffnete andere Einblicke, andere Gesprächsmöglichkeiten. Und das Team aus Sozialarbeit, Pflege und Ärztinnen rückte enger zusammen und arbeitete dadurch effektiver als ich das in der Klinik je erlebt hatte.Ab 2009 gab es nach zweijährigen Verhandlungen dann Verträge zur SAPV – für alle 8 Teams in Schleswig-Holstein die gleichen. Das ist noch heute so. Aber aus der Berufspolitik hatte ich mich nach 8 Jahren zurückgezogen.Seit 2003 unterrichtete ich, zusammen mit Ingemar Nordlund, Hermann Ewald und vielen lieben Kollegen anderer Professionen Palliativmedizin für unsere Ärztekammer. In den Pflegekursen begann ich damit schon viel früher. 2014 ging die Akademie Travebogen an den Start, die ich inhaltlich auf- und ausbaue. Auch dabei lerne ich wunderbar viel Neues durch Unterricht in und mit anderen Berufsgruppen.Zurzeit ist das mein Schwerpunkt. Daneben coache ich Teams und Einzelpersonen, meistens mit einem Bezug zu palliativen Themen.Aber immer noch bin ich auch fahrende Ärztin und besuche die Menschen in ihrem Zuhause. Das ist das Herzblut meiner Arbeit.

Was wäre für Sie die berufliche Alternative?

Immer wieder fasziniert mich das Zeichnen, das Malen, das Modellieren. Oft habe ich mir vorgestellt, welche Richtung ich wohl eingeschlagen hätte nach einem Kunststudium. Wahrscheinlich wäre ich Illustratorin für Kinderbücher geworden.Meine heutigen Tätigkeiten sind so vielfältig, dass ich mich nach nichts anderem sehne. Alle, besonders aber die ärztlichen Tätigkeiten, umfassen den ganzheitlichen Ansatz, den ich mir als junge Assistenzärztin immer gewünscht hatte.

Wie beginnen Sie Ihren Tag?

Da ich zu den Nachtmenschen gehöre und leicht auch erst um 2 Uhr müde werde, klingelt der Wecker immer zu früh. Den morgendlichen Tiefschlaf koste ich bis zur letzten möglichen Minute aus. Das bedeutet – Frühstück gibt’s nur an freien Tagen und im Urlaub.

Leben bedeutet für mich …

das große Glück noch auf dieser Welt zu sein, meine wundervolle Tochter begleitet zu haben bis ins Erwachsensein und sie jetzt selbst als liebevolle Mutter zu erleben. Kinderhände in meinem Gesicht, ein Spaziergang mit meinem übermütigen Hund in lichtdurchflutetem Laubwald, Zehen im Sand bei Möwengeschrei und Meeresrauschen, Tee und Buch auf dem Sofa, Farben um mich herum, Lachen bis die Tränen kommen …

Sterben bedeutet für mich …

Abschied von gemeinsamem Erleben. Meinen Menschen nicht mehr körperlich begegnen zu können. Ich weiß aber, dass etwas von mir bleibt und dass ein Teil meiner Werte und Gedanken sich fortsetzt, Veränderung erfährt, mit in Neues eingeht … und das gefällt mir.

Welches Ziel möchten Sie unbedingt noch erreichen?

Ich habe die Kraft der Zielsetzung schon erfahren dürfen. Deshalb gehe ich sehr sorgsam damit um und verschwende sie nicht an Alltäglichkeiten.Konkret möchte ich jetzt gerne meine Enkeltochter (mindestens) bis zu ihrer Volljährigkeit begleiten dürfen. Sie ist jetzt 6 Monate alt …

Meine bisher wichtigste Lernerfahrung im Leben ist …

ich kann auf meine Ressourcen vertrauen, die mir auch aus Tälern immer herausgeholfen haben – und es gibt Menschen, die merken, wenn ich sie brauche.

Was würden Sie gern noch lernen?

Fließend italienisch zu sprechen … meine Instrumente wieder spielen zu können und … mich von überflüssigen Dingen zu trennen. Verschenken geht gut – aussortieren ist schwer. Ich bin eine Sammlerin.

Woraus schöpfen Sie Kraft für Ihre Arbeit?

Aus der Offenheit mit der mir Menschen begegnen. Aus dem Vertrauen, das sie mir schenken. Aus Momenten ohne Worte mit großer Nähe. Aus dem Austausch mit meinen Kollegen und dem großartigen Team, in dem ich arbeiten darf. Kraft gibt mir auch, dass ich Visionen haben darf und dass es auch nach 10 Jahren immer wieder Menschen im Vorstand unseres Palliativnetzes gibt, die daran interessiert sind und versuchen, sie mit mir umzusetzen.Die persönlichen Kraftgeber sind die Unterstützung meines Mannes, die Diskussionen mit meiner Tochter und die offenen Ohren meiner besten Freundinnen. Ganz wichtig ist die täglich gelebte Freundschaft zu meiner schlauen Mischlingshündin, die mich mit ihrem Verlangen nach Natur, Lernen und Spiel immer wieder aus den beruflichen Gedanken reißt.

Mit wem aus der Welt- oder Medizingeschichte würden Sie gern einmal einen Abend verbringen?

Loriot hätte ich gerne kennengelernt – es muss ja nicht gleich Weltgeschichte sein … obwohl sein feinsinniger Humor manchen Politikern vielleicht geholfen hätte …

Wenn ich einen Tag unsichtbar wäre, würde ich …

… kranken und traumatisierten Kindern im Schlaf Geschichten einflüstern, die sie stark machen.

Wie können Sie Herrn Nordlund beschreiben?

Ich lernte Ingemar Nordlund über die Ärztekammer Schleswig-Holstein kennen, die ihn, Hermann Ewald und mich 2003 mit der Umsetzung des Curriculums Palliativmedizin beauftragte. Ingemar war zu der Zeit Ärztlicher Leiter des Katharinen Hospiz am Park in Flensburg. Die Kursweiterbildung führten wir schon durch, nun sollten wir die Fallseminare aufbauen. Die Akademie gewährte uns dafür anfangs eine Kursleitung zu dritt. Wir verschanzten uns ein langes Wochenende in einer Ferienwohnung in Eckernförde, konzipierten die Umsetzung und … blieben zu dritt in der Leitung bis 2017.In den ersten Jahren ließen wir die Kurse von Ruth-Marijke Smeding supervidieren. Das brachte uns inhaltlich, konzepionell und pädagogisch weiter. Was uns aber zunehmend verband, waren die gemeinsamen Diskussionen über all die Jahre, in jeder Pause, am Abend jeden Kurstages – das Ringen um Veränderungen oder Festhalten an Bewährtem. Ingemar, der ruhige, nachdenkliche Schwede mit erheblichem Dickkopf und ich, die Temperamentvolle, die oft zu schnell Lösungen suchte und anbot durch meine anerzogene Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen bei Konflikten. Ich habe so viel von ihm gelernt! Abzuwarten … die Ruhe zu bewahren … auch mal was „auszusitzen“ … auf Lösungen zu vertrauen, die mich finden. Wir haben uns aneinander gerieben und wir haben voneinander gelernt. Wir haben besonders gelernt uns zu vertrauen und gegenseitig zu schätzen.Gemeinsam mit Hermann Ewald und Ingemar Nordlund zu unterrichten war immer spannend, hatte aber auch immer eine wohltuende Verlässlichkeit.Jeder brachte seine Ideensplitter ein, die solange beleuchtet, zerlegt und wieder zusammengefügt wurden, bis alle drei zufrieden waren.14 Jahrgänge haben wir gemeinsam unterrichtet – in den letzten Jahren mit zunehmender Einschränkung durch Ingemars Erkrankung – Morbus Parkinson. Krankheit und Medikamente störten Konzentration und Wachheit. Den Kursteilnehmern wurde das erklärt. Ich habe keinen Kurs erlebt, dessen Teilnehmer nicht alles getan hätten, um Ingemar Nordlund als Kursleiter zu behalten. Manchmal beteiligte er sich längere Zeit nicht an den Diskussionen, und plötzlich war er wieder dabei – mit Gedanken, die all seine Erfahrung und Kompetenz zeigten, seine klugen und nachdenklichen Beiträge, die Diskussionen oft auf den Punkt brachten. Im Sommer 2015 wurden Kursteilnehmer und wir von Ingemar und seiner Frau Regina in ihr Haus in Mittelschweden eingeladen. Trotz schon erheblichen Handicaps hatte er wochenlang selbst das alte Haus handwerklich für uns hergerichtet, ein Programm für die unterrichtsfreien Nachmittage vorbereitet und uns durch Trollwälder geführt. Genauso, wie er immer mit ganzer Person seinen Patienten zuhörte, so ließ er sich auch im Gespräch mit Kollegen oder Freunden ganz auf seine Gesprächspartner ein. Unverstellt zeigt er seine Emotionen, was mich manchmal verärgert, aber immer erreicht und oft besonders berührt hat.Unverändert kann Ingemar nach wenigen Worten Gefühle erkennen und auf sie reagieren.Seit Ende letzten Jahres müssen Hermann Ewald und ich alleine in den Kursleitungen klarkommen. Krankheitsbedingt hat er sich selbst im Herbst 2017 aus unserem Dreigespann verabschiedet. Wir sehen ihn privat nur selten, gedanklich ist er für uns in jedem Kurs dabei.

Wie beenden Sie Ihren Tag?

Immer mit einem Hundespaziergang … manchmal gelingt dann im Bett noch das Lesen einiger Seiten eines Buches – bevor es mir auf die Nase fällt.

Gibt es etwas, das Sie gern gefragt worden wären, aber noch nie gefragt worden sind?

Wird nicht verraten …