Fortschr Neurol Psychiatr 2018; 86(12): 770-777
DOI: 10.1055/a-0695-9104
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Beurteilung der Geschäftsfähigkeit und Testierfähigkeit bei Schlaganfallpatienten mit Aphasie

Legal Capacity in patients with post-stroke-aphasia
Andrea Dreßing
1   Klinik für Neurologie und Neurophysiologie, Universitätsklinik Freiburg
,
Cornelius Weiller
1   Klinik für Neurologie und Neurophysiologie, Universitätsklinik Freiburg
,
Klaus Foerster
2   Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Tübingen
,
Harald Dreßing
3   Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Medizinische Fakultät Mannheim, Universität Heidelberg
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

eingereicht 04 July 2018

akzeptiert 14 August 2018

Publication Date:
07 January 2019 (online)

Preview

Zusammenfassung

Obwohl Aphasien nach ischämischen Schlaganfällen oder Hirnblutungen häufig auftreten, hat sich weder die medizinische Wissenschaft noch die obergerichtliche Rechtsprechung intensiver mit der praktisch bedeutsamen Frage beschäftigt, welche Auswirkungen diese Störung auf die Geschäftsfähigkeit hat.

Mit Hilfe moderner Bildgebungsstudien ist eine differenzierte Betrachtung der unterliegenden Pathologien der erworbenen Sprachstörungen, der daraus resultierenden unterschiedlichen klinischen Bilder der Aphasie sowie dem Erholungsverlauf möglich. Auf der Basis dieser Befunde sowie dem Konzept der „Inneren Sprache“ wird untersucht, inwieweit Aphasien die Geschäftsfähigkeit beeinträchtigen könnten und ein Phasenmodell zur Beurteilung der Geschäftsfähigkeit bei Aphasie vorgeschlagen, welches die grundsätzlichen Möglichkeiten der Erholung im Rahmen neuronaler Reorganisation berücksichtigt.

Die gutachtliche Beurteilung der Voraussetzungen zur Annahme einer Geschäftsfähigkeit oder -unfähigkeit bei Aphasie erfordert eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Neurologen, Psychiatern und Sprachtherapeuten. Da Gutachten zur Geschäftsunfähigkeit häufig ex-post erstellt werden müssen, ist der Gutachter auf eine detaillierte Befunddokumentation von Fähigkeiten und Defiziten bei Vorliegen einer Aphasie angewiesen. Um die bisherigen Limitationen in der Begutachtung der Geschäftsfähigkeit von Patienten mit Aphasien zu verbessern, wäre eine standardisierte Beschreibung der Aphasie und assoziierter neuropsychologischer Symptome als obligater Bestandteil eines Arztbriefes nach einer neurologischen Akut- und Rehabilitationsbehandlung wünschenswert.

Abstract

Aphasia is a frequent cognitive disorder after stroke. Despite a high prevalence, there is comparatively little medical literature or high court jurisdiction concerning the question if aphasia impairs patients in their legal capacity.

Imaging studies allow a detailed understanding of the underlying pathology of aphasia, the resulting clinical pictures and potential mechanisms of recovery. Based on functional-anatomical models of language and associated concepts of inner speech, the impact of language disorders on legal capacity is evaluated. A phase model for the assessment of patients with aphasia is proposed, accounting for different stages of potential recovery after stroke.

In practice, evaluation of the prerequisites for legal capacity or incapacity in patients with aphasia requires an interdisciplinary cooperation between neurologists, psychiatrists and speech language therapists. In cases of ex-post assessment, the evaluation of legal incapacity at a specific date, however, relies on a detailed documentation of the patient’s language impairment and its recovery. To overcome the current limitations standardized and test-based assessment of neuropsychiatric and language capacities after acute hospital treatment and rehabilitation treatment is desirable.