Zeitschrift für Phytotherapie 2018; 39(05): 201
DOI: 10.1055/a-0666-7742
Editorial
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Phytopharmaka sind sichere und nebenwirkungsarme Arzneimittel

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Publication Date:
26 October 2018 (online)

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Prof. Dr. Matthias F. Melzig

Diese Überschrift ist sicher schon mehrere tausendmal zitiert worden und stellt keine neue Erkenntnis dar. Aber lesen Sie bitte weiter, denn diese Aussage bekommt von unerwarteter Seite Schützenhilfe.

In einem Artikel des angesehenen Journals NATURE (2018, Vol. 555, 623–628) wird unter dem Titel „Extensive impact of non-antibiotic drugs on human gut bacteria“ vorgestellt, dass von mehr als 1000 auf dem Markt befindlichen Arzneimitteln 24 % in üblicher Dosierung das menschliche Mikrobiom beeinflussen. Antibiotika, Antiseptika sowie Arzneimittel gegen Pilze, Viren oder Parasiten wurden gesondert betrachtet. Die Autoren bringen dies mit Nebenwirkungen in Verbindung, vor allem bei den Arzneistoffklassen der Protonenpumpenhemmer, Antidiabetika, NSAIDs und atypischen Antipsychotika, – Naturstoffe sind nicht darunter. Sie schlussfolgern aus ihren Untersuchungen, dass sich Verschiebungen innerhalb des Darmmikrobioms durch Arzneistoffe auf Haupt- und Nebenwirkungen auswirken können. Einige Arten von Darmbakterien werden stärker in ihrer Entwicklung beeinflusst als andere, wobei kommensale Keime teilweise empfindlicher auf die Arzneistoffe reagierten als eher pathogene Keime, wie Clostridium difficile. Diese „antikommensale“ Aktivität mancher Wirkstoffe wird auch als Antreiber für Antibiotika-Resistenz diskutiert, da häufig solche Mechanismen beeinflusst werden, die ursächlich mit der Resistenzentwicklung verbunden sind, wie z. B. Transporter, Transkriptionsfaktoren, Efflux-Pumpen. Wenngleich die Autoren fordern, dass nun in weiteren Studien diese Effekte untersucht werden sollten, bevor daraus therapeutische Schlussfolgerungen abgeleitet werden, so ist doch belegt, dass viele Arzneistoffe das Mikrobiom des Darmes beeinflussen.

Und was bedeutet das für den Einsatz von Phytopharmaka? Betrachtet man die Interaktion von Naturstoffen aus typischen Phytopharmaka mit dem Darmmikrobiom von Mensch und Tier, so kann man davon ausgehen, dass sich Bakterien und sekundäre Pflanzenstoffe im Laufe der Evolution aneinander „gewöhnt“ haben. Viele dieser Stoffe werden von Darmbakterien metabolisiert, gehören zu ihrem normalen Substratspektrum und erhalten nach der kommensalen Biotransformation Wirkstoffcharakter, wie dies für einige Polyphenole bereits nachgewiesen ist. Diese evolutionäre Prüfung haben die meisten synthetischen Arzneistoffe (noch) nicht durchlaufen und entsprechend reagieren bestimmte Darmbakterien darauf mit Wachstumshemmung oder Stoffwechselveränderungen. Das ist eigentlich eine vorhersehbare Entwicklung – interessant, dass dieser Effekt erst jetzt berichtet wurde! In einigen Millionen Jahren, die Evolution passiert in solchen Zeiträumen, kann das natürlich ganz anders aussehen. Die geringe Nebenwirkungsrate von pflanzlichen Wirkstoffen in Phytopharmaka könnte man als evolutionären Vorteil ansehen und daher bei entsprechender Indikation auch eher ein pflanzliches Arzneimittel empfehlen – also quasi per Evolution seit Urzeiten geprüft und als sicher qualifiziert. Oder wie es der amerikanische Genetiker Theodosius Dobzhansky formulierte: „Nichts in der Biologie ergibt einen Sinn, außer im Licht der Evolution“ – natürliche Wirkstoffe in Phytotherapeutika haben ihre Prüfung auf Sinnhaftigkeit bestanden – nutzen wir das aus!

Matthias F. Melzig