Zeitschrift für Klassische Homöopathie 2018; 62(03): 119-120
DOI: 10.1055/a-0665-1185
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Der Klang der Stille

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Publication Date:
18 September 2018 (online)

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Eine repräsentative Umfrage des Marktforschungsinstituts GFS Zürich zeigte im vergangenen Jahr, dass 46 % der schweizerischen Bevölkerung die Lärmbelastung als hoch bis sehr hoch einschätzt. Viele sind denn auch bereit, für Ruhe zu bezahlen. Sie lösen Fitnessabos, nicht nur, um sich an Maschinen zu trimmen, sondern auch um sich im Ruheraum entspannen zu können. Sie buchen für hunderte von Franken Schweigeseminare oder kaufen Kopfhörer, welche die Umgebungsgeräusche aktiv herausfiltern.

Nun ist es auch wissenschaftlich erwiesen: Studien stellen fest, dass bereits ein paar Minuten Stille wichtig für unsere Gesundheit und wirksam für unser Gehirn sind.

Forscher um Martin Röösli vom Schweizerischen Tropen- und Public-Healthinstitut in Basel zeigten im vergangenen Jahr, dass bereits Lärmbelastungen ab 40 Dezibel schädlich sind (maximal 45 Db darf die Lärmbelastung in Großraumbüros betragen). Und dabei geht es nicht nur um subjektives Wohlfühlen: Lärm erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes. Die Gefahr, an einem Herzinfarkt zu sterben steigt pro 10 Db um 4 %.

Stille hingegen befreit uns von Stress und Anspannung: Laute Geräusche lassen unseren Blutdruck ansteigen, erhöhen das Risiko für Herzinfarkt und beeinträchtigen unsere gesamte Gesundheit. Sie aktivieren die Amygdala im Gehirn, welche daraufhin eine Ausschüttung von Cortisol veranlassen. Stille bewirkt das Gegenteil: Schon 2 Minuten Stille kann deutlich entspannen, den Blutdruck senken und den Blutfluss im Gehirn stimulieren – und das gilt sogar auch für Pausen in Entspannungsmusik [1].

Stille füllt die mentalen Ressourcen auf: Ununterbrochen Reize verarbeiten zu müssen belastet den präfrontalen Cortex sehr, die Aufmerksamkeit leidet darunter, die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen und Probleme zu lösen ebenso. Kinder, deren Wohnräume oder Klassenzimmer in der Nähe von Autobahnen, Flughäfen oder Zugstrecken liegen, können schlechter lesen, ihre kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten entwickeln sich langsamer. Der Attention-Restoration-Theorie nach erholen sich die kognitiven Ressourcen allerdings dann, wenn wir in eine Umgebung mit weniger Reizen als üblich eintreten [2].

In der Stille kann man besser und kreativer denken: Im Gehirn gibt es ein sogenanntes Default Modus Netzwerk, eine Gruppe von Hirnregionen, die im Ruhezustand aktiver sind, als bei Konzentration auf eine bestimmte Aufgabe oder bei Reizen durch Geräusche. Etwa dann, wenn wir meditieren, tagträumen oder einfach die Gedanken schweifen lassen. In diesem Modus kann das Gehirn viel besser auf Emotionen und Erinnerungen zugreifen, Reflektieren fällt leichter und wir können uns besser in andere Menschen einfühlen [3].

In der Stille wächst das Gehirn: 2013 gab es eine Studie mit Mäusen, in der der Einfluss verschiedener Geräusche auf die Gehirne der Nager untersucht wurde: Umgebungsgeräusche, besonders hohe Geräusche, Hundejaulen sowie Stille. Eigentlich sollte die Stille nur als Unterscheidungsmerkmal der Kontrollgruppe dienen. Tatsächlich fanden die Forscher, dass 2 Stunden täglicher Stille neue Zellen im Hippocampus der Mäuse wachsen ließ, jener Hirnregion, die mit dem Lernen, dem Gedächtnis und Emotionen verknüpft ist. Die neuen Hirnzellen fanden zudem schnell Anschluss im Restgehirn und konnten Funktionen im System übernehmen [4].

Nicht still wollen die Beiträge dieser Ausgabe sein:

Christoph Thomas schildert eindrücklich einen „Fall von Aplasie des Knochenmarks bei einem 8 ½-jährigen weibliche Säugling“, welche durch unsachgemäße Verabreichung von Silica D6 und Mercurius cyanatus D6 ausgelöst wurde und – erst nach Sistierung aller anderen Therapieeinflüsse – durch Phosphorus geheilt werden konnte. Unterstützt wurde der Autor bei diesem Unterfangen durch die erfahrenen Kollegen Dario Spinedi und Jost Künzli.

Auch Stephan Gerke kann in seinen „Kleinen homöopathischen Randbemerkungen“ mit Hilfe des Symptomenlexikons bei einer Patientin Symptome vermuten, welche durch unsachgemäßen langfristigen Gebrauch von Sulfur entstanden sein könnten – und sie mit einer Hochpotenz von Sulfur heilen.

Christian Lucae zeigt in einem Interview mit Ulrike Fröhlich, der Bearbeiterin von Julius Mezgers „Gesichteter homöopathischen Arzneimittellehre“, die Hintergründe dieser Mammutarbeit der Neubearbeitung des über 500 Arzneien umfassenden Standardwerkes.

Michael Hadulla weist in seinem Beitrag „Tabacum und Vertigo stärkster Ausprägung“ darauf hin, dass auch zur Chronifizierung neigende Beschwerden, bei vorhandener Ähnlichkeit mit den aktuellen Symptomen, mit „kleinen“ Mitteln erfolgreich behandelt werden können.

Ulrich Koch widerlegt in „Homöopathie aus nanomedizinischer Perspektive“ die gegen die Homöopathie häufig vorgebrachten Annahme, dass in Hochpotenzen jenseits der Avogadroʼschen Konstante keine Ausgangssubstanz mehr nachweisbar wäre und infolgedessen mit „Nichts“ behandelt werde. Er zeigt einen für die Wirkungsweise homöopathischer Arzneien möglichen Ansatz aus nanomedizinischer Sicht auf.

Ich wünsche allen Lesern Stille und gute Lektüre – das Gehirn und die Gesundheit werden es danken!

Peter Minder

 
  • Literatur

  • 1 Bernardi L, Porta C, Sleight P. Cardiovascular, cerebrovascular, and respiratory changes induced by different types of music in musicians and non-musicians: the importance of silence. Heart 2006; 92: 445-452
  • 2 Novotny A. Silence, please. Psychologists are increasing awareness of the harmful effects noise has on cognition and health. Monitor on Psychology 2011; 42: 46 Im Internet: www.apa.org/monitor/2011/07-08/silence.aspx
  • 3 Raichle ME, MacLeod AM, Snyder AZ. et al. A default mode of brain function. PNAS 2001; 98: 676-682 Im Internet: www.pnas.org/content/98/2/676
  • 4 Kirste I, Nicola Z, Kronenberg G. et al. Is silence golden? Effects of auditory stimuli and their absence on adult hippocampal neurogenesis. Brain Structure & Function 2015; 220: 1221-1228