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DOI: 10.1055/a-0650-1269
Forschung – Am Anfang steht die Frage, dann braucht man Methoden zur Beantwortung!
Frau Prof. Moll im Gespräch mit Herrn Prof. RingPublication History
Publication Date:
12 February 2019 (online)



Prof. Dr. med. Dr. phil. Johannes Ring war von 1990 – 1995 Direktor der Hautklinik und Allergieabteilung in Hamburg Eppendorf. Von 1995 – 2014 war er Direktor der Haut- und Allergieklinik am Biederstein an der Technischen Universität München. Prof. Ring war und ist im Vorstand wichtiger Fachgesellschaften, als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI), der European Academy Dermatology and Venerology (EADV) und des Collegium Internationale Allergologicum (CIA) sowie Vizepräsident der World Allergy Organisation (WAO).
Warum haben Sie die Dermatologie als Fachgebiet gewählt?
Ich habe während meines Medizinstudiums eine ziemlich anspruchsvolle Doktorarbeit
in der chirurgischen Forschung der LMU, genauer in der Transplantationsimmunologie
bei Prof. Walter Brendel und PD Rudolf Pichlmayr, durchgeführt. Wir waren damals im
Keller der Klinik und haben bei den Tierexperimenten zur Herz- und Lungentransplantation
die Hunde zur Operation vorbereitet, anästhesiert und nachbehandelt. Meine Aufgabe
war es, das Antilymphozytenserum – als damals ganz neues Immunsuppressivum – mit herzustellen
und zu reinigen, und zwar für Tier und Mensch. Das war eine aufregende Zeit, unser
Serum wurde nach Kapstadt geschickt zu Prof. Barnard, um einen Patienten wegen einer
Abstoßung auf eine erneute Herztransplantation vorzubereiten. Unter der Infusion unseres
Antilymphozytenserums kam die Abstoßung zur vollen Rückbildung und der Patient überlebte
noch 1,5 Jahre! Allerdings gab es – es handelte sich um Pferdeserum – nicht selten
Nebenwirkungen, die bis zum Vollbild der Anaphylaxie reichten. Chirurgen sind an Nebenwirkungen
wenig interessiert; so blieb dieses Thema für mich übrig, und es hat mich auch echt
interessiert. Vor Abschluss meiner Doktorarbeit wechselte Rudolf Pichlmayr von München
nach Hannover, mit ihm die meisten Doktoranden, sodass ich irgendwie heimatlos wurde.
Zu der Zeit erkannte ich auch die ungesunde Seite des Ehrgeizes bei vielen Forschern
– besonders auf dem Glatteis einer ambitionierten Universitätsklinik – und ich beschloss,
in die Entwicklungshilfe zu gehen. Ich bewarb mich bei verschiedenen staatlichen,
privaten und kirchlichen Organisationen, erhielt aber nur relativ arrogante Absagen,
„was ich denn mitbrächte“. Immerhin war ich approbierter Arzt und hätte in Deutschland
eine Praxis eröffnen können.
Nachdem das mit der Entwicklungshilfe nichts wurde, beschloss ich, praktischer Arzt
im bayerischen Oberpfälzer Wald zu werden, wo meine Ahnen herkommen. Dabei kam ich
bei ehrlichem Nachdenken zum Ergebnis, dass von der ganzen Medizin, die im Staatsexamen
kein Problem dargestellt hatte, zwei Fächer mir doch im Letzten rätselhaft geblieben
waren, zwei Fächer, die aber für einen praktischen Arzt von großer Bedeutung sein
würden: Das waren die Seele und die Haut. Also ging ich als Medizinalassistent ein
halbes Jahr in die Psychiatrie und ein halbes Jahr in die Dermatologie. Vor der Psychiatrie
habe ich nach wie vor großen Respekt, aber das war nicht mein Ding. In der Dermatologie
hatte ich das Glück, auf die Privatstation zu Prof. Otto Braun-Falco abgeordnet zu
werden und so ein halbes Jahr lang täglich mit ihm Visite gehen zu dürfen. Das prägt.
Trotzdem wollte ich noch erst etwas anderes machen und kehrte in die immunologische
Forschung zu meinem Doktorvater Prof. Brendel zurück, wo ich mich über anaphylaktoide
Reaktionen habilitierte. Dann ging ich mit einem DFG-Stipendium in die USA in die
Allergologie an der Scripps Clinic in La Jolla, California (Prof. E. Tan), um von
dort in die Dermatologie zu Prof. Braun-Falco zurückzukehren. Damals dachte ich, Dermatologie
ist ein Fach, wo vielleicht 10 % der Fälle auch etwas mit Immunologie zu tun haben
– wie man die Dinge unterschätzen kann!
Wichtiger als die fachliche Verbundenheit von Immunologie und Dermatologie war aber
die Person meines klinischen Lehrers Otto Braun-Falco, der eben der „Papst“ der Dermatologie,
nicht nur in Deutschland, war.
Man kann Otto Braun-Falco ruhigen Gewissens als Genie der klinischen Dermatologie
bezeichnen; es war ein Erlebnis, an seinem Denken vor schwierigen Patienten teilnehmen
zu dürfen, wie er sämtliche Kriterien der Morphologie, der sonstigen Befunde und der
Anamnese miteinander in Windeseile assoziierte, um zur Diagnose zu kommen. Prof. Braun-Falco
war ein strenger Chef, aber immer gerecht, nie nachtragend und interessiert an dem,
was wir in der Forschung taten, auch wenn es nicht sein Gebiet war. So straff er die
Klinik führte, so viel Freiraum hat er uns in der Forschung gelassen; das halte ich
für extrem wichtig, gerade heute in einer Zeit, wo immer utilitaristischere Forschung
betrieben wird.
Ich habe die Entscheidung für die Dermatologie nie bereut, auch wenn mein Vetter,
begeisterter praktischer Arzt in Kelheim, mir das noch ausreden wollte: „Johannes,
bitte nicht Dermatologie, die können nichts und die verdienen nichts!“ Ich glaube,
beides hat sich in den letzten Jahrzehnten doch etwas geändert.
Welcher Fall ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben? Was war Ihr außergewöhnlichster Fall?
In der Dermatologie – und insbesondere in der Allergologie – wird es einem nie langweilig.
Oder wem es langweilig wird, der ist selbst daran schuld!
Natürlich gibt es Routinefälle, aber eigentlich ist jeder Fall ein kleines Detektivspiel
und der Arzt wird zum „Sherlock Holmes“. Ein berühmter Fall war der der Anaphylaxie
nach Weißwurstgenuss, den wir in mühevoller Detektivarbeit auf eine Allergie gegen
Putenfleisch, welches der Weißwurst unerlaubterweise zugesetzt worden war, zurückführen
konnten. Dabei hat uns der In-vitro-RAST-Inhibitionstest von spezifischem IgE gegen
Pute durch einen Weißwurstextrakt sozusagen „forensisch“ geholfen; rein chemisch wäre
das Putenfleischantigen wahrscheinlich nicht so leicht nachzuweisen gewesen.
Ein weiterer außergewöhnlicher Fall war die anaphylaktische Reaktion einer Skifahrerin,
immer am Nachmittag am Ende der Abfahrt. Die Patientin hatte mittags Germknödel gegessen
und war hochgradig sensibilisiert auf Mohnsamen. Allerdings vertrug sie sonst die
gleichen Speisen und auch Mohn ohne Probleme. Lediglich in der Kombination mit der
sportlichen Anstrengung und zwar
– mittags Germknödel = Allergenzufuhr
– danach Abfahrt = körperliche Anstrengung
kam es zur Anaphylaxie. Wir haben das damals „Summations-Anaphylaxie“ genannt und
für eine Ausnahme gehalten. Heute weiß ich, dass dies die Regel ist und dass immer
mehrere auch unspezifische Faktoren zusammenkommen müssen, um die spezifische allergische
Reaktion in ihrer Intensität so zu steigern, bis das „Fass überläuft“.
Von wem haben Sie besonders viel gelernt?
Von meinem klinischen Lehrer Prof. Otto Braun-Falco habe ich bereits gesprochen, s. o.
Ich muss hier aber auch meine experimentellen Lehrer erwähnen, nämlich Prof. Walter
Brendel, den Leiter des Instituts für chirurgische Forschung an der Ludwig-Maximilians-Universität
München. Ohne ihn gäbe es wahrscheinlich keine so gut funktionierende Transplantation
in Deutschland, er war hier ein echter Pionier sowohl was die chirurgischen Fertigkeiten,
die Organkonservierung, aber auch die Immunologie der Gewebe-Kompatibilität und der
Abstoßungsreaktion betrifft. Daneben hat er später den Lithotripter zur Nierensteinzertrümmerung
wesentlich mitentwickelt, zusammen mit Christian Chaussy. Walter Brendel war ein extrem
origineller Mensch, der offen für alles war und für seine Mitarbeiter eigentlich immer
Zeit hatte. Auch als Doktorand hatte man die Gelegenheit, dreimal am Tag mit ihm zusammenzusitzen
bei einer Runde von Tee oder Kaffee in der Küche des relativ kleinen Instituts, wo
alles offen diskutiert wurde. Er war ein begeisterter Sportler und Skifahrer. In seiner
Jugend hat er echte Himalaya-Expeditionen gemacht und dabei auch Forschung betrieben
zur Höhenkrankheit und zu den Folgen von Hypothermie. Walter Brendel konnte begeistern;
seine Leute sind für ihn durchs Feuer gegangen. Das wurde von seinem Nachfolger, dem
Schock-Forscher Konrad Meßmer, exzellent weitergeführt. Niemand hat auf die Uhr geschaut:
Man ging, wenn die Arbeit getan war. Von ihm habe ich gelernt, dass es am wichtigsten
ist, die richtigen Fragen zu stellen, bevor man mit irgendwelchen Methoden Ergebnisse
produziert, die keinen interessieren.
Dann ist noch mein experimentell-allergologischer Lehrer Eng Tan in La Jolla zu erwähnen,
ein echter Gentleman der Immunologie, der zusammen mit Kunkel die ersten antinukleären
Antikörper bei Lupus erythematodes beschrieben hat. Er hat dazu beigetragen, dass
ich in die Dermatologie ging, weil er, bevor ich anfing zu forschen, mich zwei Wochen
in die Bibliothek geschickt hat um nachzudenken, um mit einer kleinen Projektskizze
zurückzukommen; die hat sich dann „zufällig“ (?) mit atopischem Ekzem befasst, eine
Krankheit, die mich bis heute nicht losgelassen hat.
An dieser Stelle möchte ich aber auch meinen Vorgänger im Amt, Herrn Prof. Dr. med.
Dr. phil. Siegfried Borelli, nennen, von dem ich unendlich viel über die Geheimnisse
der Standespolitik, die Kunst des Überlebens auf dem universitären Glatteis und Menschenführung
gelernt habe. Mit seinem wachen Verstand, seinem Humor und seiner totalen Disziplin
hat er mir bei meiner Tätigkeit sehr geholfen!
Was war der beste Rat, den Sie während Ihrer Karriere erhalten haben?
Ich weiß nicht, ob mir das tatsächlich jemand geraten hat oder ob ich das einfach so gespürt habe; zwischenzeitlich habe ich es jedenfalls vielen jungen Menschen geraten: „Schau Dir Deine(n) zukünftige(n) Chef/Chefin genau an, ob Du diese Person wirklich respektierst. Nimm nicht irgendeine Stelle, bloß weil sie in München ist. Du sollst keiner ‚Pflaume‛ dienen, denn das führt zu Magenbeschwerden oder Kreuzschmerzen.“
Was ist momentan die wichtigste Entwicklung in der Dermatologie?
Die molekulare Genetik hilft uns ganz erheblich, schwerste Krankheiten besser zu verstehen. Die Einführung und Verfügbarkeit von Biologika, jetzt erfreulicherweise auch bei atopischem Ekzem, hat uns über die zielgerichtete Therapie sehr viel über die Rolle der unterschiedlichen Botenstoffe und Mechanismen gelehrt. Der Durchbruch in der Melanom-Therapie mit monoklonalen Antikörpern und Kinase-Inhibitoren ist phantastisch und hat unser Weltbild und die Prognose so vieler Patienten ganz erheblich beeinflusst.
Wo sehen Sie die Zukunft der Dermatologie?
– Telemedizin und Teledermatologie werden unser Fach verändern und bereichern. Wir
sollten keine Angst haben, sondern uns an die Spitze des Zuges setzen.
– Die enge Verbindung mit anderen Disziplinen wird unser Image in der Medizin weiter
verbessern.
– Dermatologie wird zur Paradedisziplin erfolgreicher Präventionsstrategien werden,
z. B. bei Allergie, Krebs, Alterung, Infektionen.
Was raten Sie jungen Kollegen?
Siehe oben!
Was ist die wichtigste Erkenntnis der vergangenen Jahre zum Thema Allergie und Umwelt?
Diese Frage sollten Sie meiner Frau, Prof. Heidrun Behrendt, stellen, die als Gründerin
und Leiterin des Zentrums Allergie und Umwelt (ZAUM) an der Technischen Universität
München hier wegweisend geforscht hat.
Vielleicht die Befunde, dass neben der Allergie-hemmenden Wirkung von frühkindlicher
Immunstimulation („Hygienehypothese“) eine Allergie-fördernde Wirksamkeit von Umweltschadstoffen
zu beobachten ist („Schadstoffhypothese“), insbesondere durch fein-partikuläre Stoffe
– im Innenraum Zigarettenrauch, in der Außenluft Partikel aus Verkehrsbelastung.
Diese Effekte beginnen nicht an der menschlichen Haut und Schleimhaut, sondern wirken
sich bereits in der Atmosphäre aus durch Interaktion von Luftschadstoffen und Allergenträgern,
wie z. B. Pollen. Sie hat hierfür den Begriff der „Allergotoxikologie“ geprägt und
eine ganz neue Forschungsrichtung ins Leben gerufen, die sich mit Einflüssen von Umweltschadstoffen
auf Entstehung, Auslösung und Unterhaltung von Allergien befasst.
Was und welchen Ort zeigen Sie in München ausländischen Gästen?
Es kommt darauf an, wieviel Zeit wir haben. Das Minimalprogramm umfasst das Haus,
in dem ich aufgewachsen bin, gebaut 1882 von Gabriel von Seidl in der Liebigstraße.
Die Annakirchen, nämlich die neuromanische – ebenfalls Gabriel von Seidl 1892 – und
die schönste Rokokokirche Münchens von Johann Michael Fischer, die kleine Annakirche.
Dann gehen wir durch den Hofgarten zum Odeonsplatz, blicken auf die herrliche Ludwigstraße,
die König Ludwig I. vor über 150 Jahren ins flache Land in Richtung des damaligen
Dorfes Schwabing einfach so bauen ließ, in der Überzeugung, dass München wachsen wird.
An der Feldherrnhalle zeige ich den Ort, wo die bayerische Bereitschaftspolizei im
November 1923 auf die anmarschierenden Nazis beim Hitlerputsch geschossen und Hitler
zur Flucht getrieben hat. Er kam auch in Landsberg ins Gefängnis und wurde des Landes
verwiesen. Und er kam eben nicht in München an die Macht, obwohl er leider unserer
Stadt den Namen „Hauptstadt der Bewegung“ verpasst hat. Auch in der letzten freien
Wahl 1932 hatte die NSDAP in Bayern keine Mehrheit.
Und dann natürlich – je nach Wetter – in den Biergarten.
Was war Ihre größte Enttäuschung?
Dass mein eigenes Projekt als Vize-Sprecher des SFB Immunregulation bei der Begutachtung abgelehnt wurde, das war bitter. Aber jeder Forscher erlebt solches und weiß, dass man aus Niederlagen mehr lernt als aus Erfolgen.
Was war Ihr größter Erfolg?
Dass es entgegen allen Fusionstendenzen der Münchner Hochschulmedizin weiterhin eine
funktionierende Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie an der TU
München gibt, die von meinem Nachfolger Prof. Biedermann sehr erfolgreich weitergeführt
wird.
Dass es mir als Studiendekan gelang, mit einem moderat reformierten Studiengang die
Lehre an der medizinischen Fakultät der TUM gegenüber der übermächtigen LMU zu behaupten.
Ich organisiere gerne Tagungen und Kongresse und möchte, dass die Leute sich an etwas
Einmaliges erinnern. Die Aufführung meines Allergie-Musicals „Dante’s allergica comedia“
im Löwenbräukeller vor 1500 Teilnehmern anlässlich des World Allergy Congress WAC
2005 war ein Höhepunkt.
Was ist Ihre größte Freude?
Es hat mir immer am meisten gefallen, mit jungen Menschen zu arbeiten, sie zu begeistern
und eine Weile zu begleiten. Jetzt freue ich mich mit an ihrem Erfolg, in der Praxis,
im Gesundheitsamt, in der Industrie oder in einer Universitätsposition.
Ich halte gerne Vorträge, und da mache ich es wie mein Kon-Gymnasiast Konstantin Wecker:
„Ich singe, weil ich ein Lied hab – nicht weil es Euch gefällt“.
Korrespondenzadresse
Prof Dr. med. Dr. phil. Johannes Ring
Klinik und Poliklinik für Dermatologie
und Allergologie am Biederstein
der TU München
Biedersteinerstr. 29
80802 München
johannes.ring@tum.de