Allgemeine Homöopathische Zeitung 2018; 263(05): 3
DOI: 10.1055/a-0638-8605
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mit Stolz und Selbstbewusstsein

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Publication Date:
13 September 2018 (online)

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Dr. med. Anne Sparenborg-Nolte

Wenn ich auf internationalen Homöopathiekongressen mit indischen Kollegen zusammentreffe, bin ich immer beeindruckt von ihrem Selbstwertgefühl. Sie sprechen selbstbewusst und stolz von der Homöopathie, und ihre Bewunderung für Hahnemann ist offenkundig. Dass sie als homöopathische Ärzte den Kollegen der „Modern Medicine“ und des Ayurveda gleichwertig sind, wenn auch auf ganz andere Weise, ist für sie selbstverständlich.

Nicht so im Land Hahnemanns. „Nichts schadet der Reputation mehr, als mit der Homöopathie in Zusammenhang gebracht zu werden“, schreibt Georg Ivanovas. Traurig, aber wahr. Ärzte durchlaufen europaweit ein Studium, in dem es neben der Hochschulmedizin keine andere wissenschaftliche Medizin gibt. Aber warum ist die Homöopathie besonders im Kreuzfeuer, warum sollte sie sogar aus der Weiterbildungsordnung entfernt werden? Für mich gibt es darauf nur eine logische Antwort: Die Grundannahmen der Homöopathie treffen auf besonders wunde Punkte bei den Grundannahmen der Hochschulmedizin.

„Die Differenz zwischen den Paradigmen der Schulmedizin und der Homöopathie ist unüberbrückbar“, wie Wolfgang Würger feststellt. Deswegen sind sie dennoch gleichwertig, und ich gehe so weit, zu fordern, dass eine Person, z. B. ein Arzt, beide Systeme zum Wohle des Patienten anwenden kann, nebeneinander, hintereinander oder auch ausschließlich nur jeweils eines, je nachdem, was der Fall erfordert. Unsere Patienten finden das selbstverständlich. Das heißt für mich jedoch nicht, dass die Denksysteme miteinander verbunden oder einander angepasst werden müssten. Homöopathie und Hochschulmedizin würden sich dulden, wenn sie sich gegenseitig klar eingestehen, dass sie primär auf unterschiedlichen Ebenen wirken, die Homöopathie auf der Ebene der Lebenskraft (indirekt darüber auf Körper, Emotionen und Geist), die Schulmedizin auf der Ebene der Materie (indirekt darüber auf Lebenskraft, Emotionen und Geist).

Jedoch: Eine Lebenskraft existiert gar nicht, behauptet die Hochschulmedizin. Wo denn? Wir leben doch, sagen wir, ohne Lebenskraft wären wir tot. So wie uns die Schwerkraft auf dem Boden hält, hält uns die Lebenskraft lebendig. Wir befinden uns hier auf der Ebene der Grundeinsichten, auch Axiome, Paradigmen genannt. Und mit den 3 Grundbausteinen Ähnlichkeitsprinzip, Lebenskraft und lebendiger Organismus ist die Homöopathie der Hochschulmedizin mit ihrem unbelebten Maschinenmodell nicht hinterher, sondern voraus, behaupte ich. Wir können diese Begriffe mit Stolz und Selbstverständlichkeit führen.

Auch hierzulande gibt es selbstbewusste Homöopathen, einige darunter sind Ärzte, andere Heilpraktiker. Das Medizinstudium ist für das Selbstbewusstsein des Arztes jedoch nur solange gut, wie er sich in dessen Denksystem zu Hause fühlt. Bewegt er sich in ein anderes Denksystem, merkt er bald, dass er zum Außenseiter wird, und das mindert das Selbstwertgefühl. Deswegen schwören manche der Homöopathie ganz ab, sie halten das ewige Mobbing nicht aus. Eine andere Möglichkeit ist, die Grundannahmen der Homöopathie umzukrempeln, sie dem Paradigma der Hochschulmedizin unterzuordnen, wie Wolfgang Würger sagen würde. Georg Ivanovas nennt es anders: Anpassung an den heutigen wissenschaftlichen Standard.

Nur werden wir dadurch leider kein bisschen mehr anerkannt. Viele Homöopathen arbeiten still vor sich hin in ihrer Praxis, freuen sich an ihren Erfolgen und sagen sich: Wir sind zufrieden, solange man uns wenigstens in Ruhe lässt. Ich selbst gehöre wohl zu dieser letzten Gruppe. Aber diese Gruppe, nennen wir sie die schweigende Mehrheit, und vor allem ihr Nachwuchs ist durchaus bedroht und bedarf eines starken Berufsverbands, der ihre Interessen vertritt, bedarf Menschen, die sich für die Homöopathie in der Öffentlichkeit engagieren. Ich danke an dieser Stelle allen Kollegen, die sich im DZVhÄ oder in ärztlichen Standesgremien für unsere Medizin stark machen.

Wolfgang Würger analysiert die Selbstzweifel der Homöopathenschaft und geht mit ihnen hart ins Gericht. Besinnen wir uns auf die Grundlagen der Homöopathie, darauf bauen wir unser Selbstverständnis. Georg Ivanovas vertritt die Gegenposition. Unser Selbstverständnis sollte sich nicht länger auf die veralteten hahnemannschen Begriffe stützen. Robert Jüttes Artikel liefert einen lehrreichen historischen Einblick in Hahnemanns Selbstbewusstsein am Beispiel der Honorarerhebung. Ernst Trebin legt sein ureigenes Selbstbekenntnis als praktizierender homöopathischer Arzt ab. Und last but not least zeugt das Leitbild des homöopathischen Arztes des DZVhÄ von Selbstbewusstsein und ist ein wichtiges Dokument unserer Zeit und unserer Gemeinsamkeit.

Dank an alle Autoren. Eine interessante Lektüre wünscht

Anne Sparenborg-Nolte