intensiv 2018; 26(03): 114-115
DOI: 10.1055/a-0573-3921
Kolumne
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ich bin eben nicht Helene Fischer

Heidi Günther
Further Information

Publication History

Publication Date:
04 May 2018 (online)

Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt

(Volksmund)

Eigentlich wollte ich mich in dieser neuen Kolumne über die ominösen 8.000 Pflegestellen, die Anfang des Jahres in den Koalitionsgesprächen zwischen SPD und der Union besprochen, offensichtlich beschlossen und als Topergebnis verkündet wurden, auslassen. Denn diese Zahl – 8.000 – hat mich schon einigermaßen verwundert, und nur zu gern würde ich wissen wollen, wie Frau Merkel, Herr Gröhe (Noch-Gesundheitsminister) & Co. auf genau diese Zahl gekommen sind. Ich habe recherchiert und recherchiert, gelesen und gerechnet und mich mit Freunden und Kollegen darüber unterhalten und – bin zu keinem schlüssigen Ergebnis gekommen. Gut, nun sind wir alle nicht gerade überkluge, hoch bezahlte Politiker, sondern nur einfache Krankenschwestern. Aber es hätte uns doch mit ein bisschen gesundem Menschenverstand eigentlich gelingen müssen, den Politikern auf die Schliche zu kommen. Wir sind natürlich davon ausgegangen, dass wir auf den Stationen der Krankenhäuser bei diesen Überlegungen nicht gemeint waren und dass es mit dieser großzügigen Aufstockung des Personals hauptsächlich um die Kollegen in der Altenpflege geht. Was wiederum fast noch trauriger ist, denn in Deutschland gibt es zurzeit etwa 11.390 Altenheime. Das würde dann also heißen, dass jede Einrichtung einen Personalzuwachs von etwa 0,7 Planstellen erwarten darf. Das kann doch gar nicht gemeint gewesen sein! Vielleicht haben sie doch uns auf den Stationen gemeint. Das wären dann für die etwa 2.100 Krankenhäuser im Land immerhin 3,8 neue Planstellen. Klingt aber auch ein bisschen dürftig. Eine schlüssige Äußerung zu diesem Thema ist mir dann doch noch untergekommen. Die Verbandspräsidentin des Berufsverbands für Pflegeberufe Christel Bienstein hat in der „Welt am Sonntag“ gemutmaßt, dass die Politiker ganz sicher eine Null vergessen haben. Genauso wird es wohl sein. Alles andere wäre ja auch nicht nachzuvollziehen, und meine Welt wäre damit auch wieder in Ordnung. Übrigens sind wir ja nicht die einzige Berufsgruppe, die von nicht enden wollenden Personalproblemen ein Lied singen kann. Mein Sohn ist Polizist. Ihm brauche ich mit Personalmangel gar nicht kommen. Oder Lehrer und offensichtlich auch die Bundeswehr. Da habe ich gerade heute folgende „Twitterperle“ zu lesen bekommen: „Bundeswehr: Uns fehlt Ausrüstung und wir sind personell unterbesetzt. Pflegebereich: Hold my beer.“ Na bitte!

Aber darüber wollte ich ja auch nur eigentlich schreiben, denn manchmal kommt doch etwas Unerwartetes dazwischen. Und so auch bei mir.

Ich bin krank, und da ich ja, wie oben schon erwähnt, nicht Helene Fischer bin, verläuft diese Krankheit eher im Stillen. Keine Notiz in keiner Zeitung und keine Erwähnung in „Brisant“, „Exclusiv“ & Co.

Was hätten sie auch sagen sollen? „Krankenschwester nach 40-jähriger Berufstätigkeit hat dritten Bandscheibenvorfall! Operation nötig und gut verlaufen. Krankenschwester bittet Patienten um Entschuldigung, dass sie in den nächsten Wochen ihren Dienst nicht antreten kann.“ Das will doch niemand wissen, und singen konnte ich vorher schon nicht. Dennoch war ich fast schon erleichtert, dass sogar auf N24 in den Nachrichten verkündet wurde, dass Helene Fischer von ihrem Infekt der oberen Luftwege wieder genesen ist und ihre Arbeit wieder aufnehmen kann. Ich selbst, nur falls es irgendjemanden interessiert, werde nach sechs Wochen wieder auf Station erscheinen.

Ein bisschen Sorgen mache ich mir allerdings. Immerhin muss ich noch ein paar Jahre arbeiten, bis ich meine ohnehin etwas karge Rente beziehen kann. Da muss ich wohl durchhalten und mich auch nicht irgendwelchen Illusionen hingeben, denn wie ich schon oft erwähnt habe, arbeite ich auf einer Station, die als Schwerpunkt Patienten mit diabetischem Fußsyndrom behandelt. Da wiegt der durchschnittliche Patient schnell mal das Doppelte von mir und dessen Mobilität und auch Motivation hält sich so manches Mal sehr in Grenzen.

Apropos Sorge oder eher schlechtes Gewissen: Da geht es mir ähnlich wie der Frau Fischer. Ich weiß nicht, woran es liegt – oder eigentlich weiß ich es schon. Immer, wenn ich nicht arbeitsfähig bin – und das ist eher selten –, habe ich ein schlechtes Gewissen gegenüber meinen Kollegen. Das ist auch eine Folge des Personalengpasses auf Station. Sonst bin ich ja immer diejenige, die die Krankmeldungen entgegennimmt, und daher weiß ich sehr genau, wie schnell der Dienstplan den Bach hinuntergehen kann. Ich weiß, dass Kollegen, die vielleicht freihätten, meine Dienste übernehmen müssen. Und ich weiß auch, dass das nicht immer Glücksgefühle bei jedem auslöst. Denn egal, wie viele oder eben wenige Kollegen zur Arbeit kommen, die Anforderungen werden nicht weniger. Daher gebe ich mir Mühe, dass ich recht bald wieder auf Station tatkräftig in Erscheinung treten werde. Ich will ja nicht jammern. Immerhin habe ich noch 20 Bandscheiben und Frau Fischer nur die eine Stimme.

In diesem Sinne, Ihre

Heidi Günther
hguenther@schoen-kliniken.de