Zeitschrift für Phytotherapie 2018; 39(02): 53
DOI: 10.1055/a-0540-4854
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser

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Publication Date:
28 May 2018 (online)

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Rainer Stange

wenn Sie dieses Heft in Händen halten, findet in Wien gerade der erste sog. tetranationale Kongress zur Phytotherapie statt. Ebenfalls seit Wien 2012 kannten wir sog. trinationale Kongresse mit Beteiligung von Schweiz, Österreich und Deutschland. Die Erweiterung der Aktivitäten der deutschsprachigen Fachgesellschaften um die niederländischen Kollegen weist auf ein verstärktes Bedürfnis zur Zusammenarbeit hin. Die Gründe sind vielfältig:

– Unsere Patienten informieren sich insbesondere über Naturheilverfahren, Komplementärmedizin und angrenzende Gebiete zunehmend über das Internet. Dies soll an dieser Stelle nicht kommentiert werden. Daraus entsteht zweifellos ein neues Verhältnis zwischen uns als Professionellen und unseren Patienten, besonders dann, wenn sie Therapien erwägen, die gewähnt oder bereits wissend nicht vom jeweiligen Kostenträger erstattet werden. Die Maus landet dann sehr schnell auf dem Bestellformular einschlägiger Versandapotheken oder dem wesentlich undurchschaubareren Markt der Supplemente o.ä. So gibt es auch für den Bezug von rezeptfreien Phytopharmaka schon lange keine Ländergrenzen mehr, für viele Bürger aber noch Sprachgrenzen, die der Auswahl ihrer Lieferanten eine gewisse Grenze setzen. Es macht also Sinn, eine Kultur der Phytotherapie zumindest in einem Sprachraum zu pflegen.

– Darüber hinaus werden regulatorische Prozesse jeder Art in zunehmendem Maße von EU-Einrichtungen, hier natürlich in erster Linie der European Medicines Agency EMA und ihrem vielzitierten Herbal Medicinal Products Committee (HMPC) wahrgenommen. Diese muss demnächst nicht nur physisch umziehen, sondern wird dabei einerseits mit den jetzt noch dort beschäftigten Briten sowie denjenigen, die diesen Umzug warum auch immer nicht mitmachen möchten, ein Gutteil ihres hochqualifizierten Personals mit einem Schlag verlieren, was für alle, die von Entscheidungen dieser Behörde abhängig sind, qualvolle Jahre der Ineffizienz bedeuten kann. Aber grundsätzlich wird sich daran nichts mehr ändern. Es macht also auch aus diesem Grunde sehr viel Sinn, wenn Fachgesellschaften aus EU-Ländern enger kooperieren.

Dieses Heft hat keinen thematischen Schwerpunkt, der einer bestimmten Pflanze oder Indikation gewidmet wäre. Sie werden mit Teil 1 einer dreiteiligen Serie auf die Möglichkeiten der hierzulande bislang wenig bekannten und genutzten Variante des Schwarzen Knoblauch eingestimmt (Beitrag Vlachojannis und Chrubasik-Hausmann S. 63). Detox ist in aller Munde – kaum jemand weiß, was es bedeuten soll, geschweige denn, ob das jemals seriös geprüft wäre. Die gute alte Süßholzwurzel hat nicht nur vielen Kindern und Erwachsenen als Lakritze Freude bereitet, sie ist auch ein Kandidat, um toxische Leberschäden zu verhindern bzw. zu therapieren (Beitrag Bielenberg S. 66). Damit die Phantasien nicht zu hoch fliegen, versuchen wir Sie mit dem Journal-Club immer wieder durch Vorstellung und Diskussion beinharter klinischer Prüfungen auf den Boden der Realität zurückzuholen (Beiträge Stange S. 71, bzw. Uehleke S. 73).

Unkomplizierte Harnwegsinfekte dürften das Indikationsgebiet werden, in dem Phytotherapeutika bald in großem Umfang Antibiotika herkömmlichen Typs verdrängen werden, ohne die akute Symptombelastung der Patienten oder das Ausmaß resultierender Organschäden zu vergrößern. Sie werden so mithelfen, die allseits anerkannt zu häufigen Antibiotika-Therapien in der westlichen Welt zu reduzieren. Es ist dringend erforderlich, dass antimikrobielle Eigenschaften der vielen infrage kommenden Pflanzen, die hier weniger klassisch bakteriostatisch oder bakterizid sondern eher anti-adhäsiv wirken, gründlich erforscht werden. Erste randomisiert kontrollierte Studien zur Vergleichbarkeit von Phytos, in denen u.a. Meerrettich eine Rolle spielte, mit konventionellen Antibiotika wurden bereits publiziert. Dass auch der gute alte Sellerie, bislang zwar auch aus der Küche gut bekannt, aber kaum als Heilpflanze genutzt, ein Kandidat ist, dürfte wenig bekannt sein (Beitrag Sarshar et al., S. 57). Wir halten Sie über dieses äußerst wichtige Gebiet auf dem laufenden.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

Ihr

Rainer Stange