Zusammenfassung
Die Einschulungsuntersuchungen der Jahre 1999 bis 2004 in Münster wurden vergleichend
analysiert, um zur Klärung der Frage beizutragen, ob sich die sprachliche Leistungsfähigkeit
der Kinder am Schulbeginn in den letzten Jahren deutlich vermindert hat, wie dies
seit längerem öffentlich diskutiert wird. Darüber hinaus sollten mögliche Einflussfaktoren,
insbesondere das Sozialmilieu, in ihrer Wirkung auf die sprachlichen Leistungen untersucht
werden. Die Ergebnisse zeigen, dass sich das Leistungsniveau der Kinder in dem Beobachtungszeitraum
von sechs Jahren nicht vermindert hat, sondern man allenfalls eine Leistungserhöhung
über diese Zeit feststellen kann. Eine Erklärung dafür, dass immer mehr und deutlichere
Sprachdefizite wahrgenommen werden, liegt möglicherweise in den Einschätzungen der
Therapie- und Förderbedürftigkeit der Kinder: Das Leistungsniveau der Kinder, bei
denen 2004 eine Förderung oder eine Therapie empfohlen wurde, ist deutlich höher als
das Leistungsniveau der Kinder, bei denen im Jahre 1999 oder 2000 eine solche Empfehlung
gegeben wurde. Man könnte hier eine Sensibilisierung für solche Leistungsbereiche,
bei denen Minderleistungen postuliert werden, und nachfolgend eine differenziertere
Bewertung der diagnostischen Befunde vermuten. Die Ergebnisse der Untersuchungen bestätigen
einmal mehr den enormen Einfluss sozialer Faktoren auf die sprachlichen Leistungen.
Kinder, die in einem sozial schwächeren Milieu aufwachsen, erbringen bei den sprachlichen
Aufgaben deutlich schwächere Leistungen als Kinder mit höherem Sozialstatus. Als relevant
für die sprachliche Leistungsfähigkeit erweist sich auch die Dauer des Kindergartenbesuchs:
Kinder, die Einrichtungen des Elementarbereichs drei und mehr Jahre besuchen, zeigen
bessere Leistungen als Kinder, die keine oder nur kürzere Zeit in einer solchen Einrichtung
verbringen. Vor dem Hintergrund, dass etwa ein Viertel der Kinder mit Migrationshintergrund
(etwa 8 % einer Jahrgangspopulation in Münster) unzureichende Deutschkenntnisse bei
Schulbeginn aufweist, scheint hier eine gute Präventionsmaßnahme gegeben zu sein.
Abstract
The physical examinations at school enrolment of the years 1999 to 2004 were subjected
to comparative analysis to help clarify whether children’s language performance at
enrolment has significantly decreased in recent years or not. This question has indeed
been a matter of public debate for some time. Furthermore, potential influencing factors,
in particular social environment, were to be examined as regards their effects on
language performance. The results indicate that the children’s performance level has
not significantly decreased over the six-year period of observation. Instead, rather
an increase can be observed over this period of time. If, nevertheless, more and more
and, in particular, more significant language deficits continue to be observed, one
explanation for this may be seen in a changing assessment of children’s needs for
therapy or remedial education. The performance level of children who were recommended
therapy or means of remedial education in 2004 is significantly higher than that of
children for whom such recommendations were given in 1999 or 2000. Perhaps an increased
sensitivity for those performance areas where performance levels are found to be deficient
should be postulated, and, consequently, a more differentiated assessment of diagnostic
findings should be assumed. The results of the examinations once again demonstrate
the enormous influence that social factors have on language performance. Children
growing up in a less advantaged social environment tend to achieve significantly lower
performance marks in language tests than children from more privileged social environments.
Also the duration of kindergarten education appears to be relevant to children’s language
performance: children who have visited institutions of preschool-education for three
or more years achieve higher performance marks than children who have spent no ore
only little time in these institutions. When seen against the background of circa
one in four children with a migration background (around 8 % of persons of the same
age in Münster’s population) having unsatisfactory knowledge of German at school enrolment,
there appear to be efficient prevention measures available here.
Schlüsselwörter
Sprachentwicklung - Migranten - öffentlicher Gesundheitsdienst - Sprachstandserhebung
Key words
Language development - migrants - public health service - language performance test
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Prof. Dr. Hermann Schöler
Abt. Psychologie in sonderpädagogischen Handlungsfeldern, Institut für Sonderpädagogik
Keplerstr. 87
69120 Heidelberg
eMail: K40@IX.urz.uni-heidelberg.de