Zusammenfassung
Ziele: Es sollen sowohl Erkrankungen und Beschwerden wie das Behandlungskonzept des Patienten
(Überzeugung von der Wirksamkeit und Arzneimittelerwartungen) als auch die Arzneimittelverordnungen
von Ärzten in Abhängigkeit von der Zugehörigkeit der Patienten zu den ethnischen Gruppen
türkische Immigranten bzw. deutschsprachige Bürger verglichen werden. Methode: Fragebogeninterview der Patienten in Hausarztpraxen vor und nach Arztkonsultation.
Die Befragung wurde getrennt für deutschsprachige und türkische Patienten in jeweils
neun Arztpraxen durchgeführt. Erfasst wurden 253 türkische (T) und 637 deutschsprachige
(D) Patienten. Kollektiv: In die Auswertung wurden nur die Probanden einbezogen, die
jünger waren als 60 Jahre (T: 216; D: 357). Begründung: Entsprechend ihrem Anteil
an der türkischen Bevölkerung in Deutschland ist die Gruppe der 60-Jährigen und Älteren
unter den türkischen Befragten zu klein für einen Vergleich. Es zeigen sich deutliche
Unterschiede in Bezug auf die Bildungsabschlüsse. Die Gruppe der türkischen Patienten
hat einen weit niedrigeren Bildungsgrad.
Ergebnisse: Unter den Anlässen für den Arztbesuch von türkischen Immigranten stehen auf den ersten
Rängen Schmerzen unterschiedlicher Genese und Atemwegserkrankungen. Türkische und
deutschsprachige Patienten unterscheiden sich signifikant in der Häufigkeit der Nennung
von Schmerzen (T: 44 % / D: 21 %; p < 0,001) und Erkältungskrankheiten (T: 41 % /
D: 25 %; p < 0,001). Das Behandlungskonzept: Die Überzeugung von der Wirksamkeit der
Arzneimittel (T: 49 % / D: 34 %; p = 0,0025) und die Arzneimittelerwartung (T: 33
% / D: 17 %; p = 0,0014) sind von der ethnischen Gruppe geprägt. Bei den türkischen
Patienten ist die Behandlung stärker auf Arzneimittel ausgerichtet als bei deutschen
und deutlich weniger auf Beratung oder Gespräch. Die Verordnungshäufigkeiten der Ärzte
richten sich in erster Linie nach den Erkrankungsgruppen der Patienten und nicht nach
der ethnischen Zugehörigkeit. Dies sind die Anteile der Arzneimittelempfänger bei
folgenden Erkrankungen: der Atmungsorgane T: 79 % / D: 84 %, des Verdauungssystems
T: 58 % / D: 60 %, des Bewegungsapparates T: 49 % / D: 39 %. In zweiter Linie beeinflussen
die Arzneimittelerwartungen der Patienten die Verordnungshäufigkeit: Patienten mit
Arzneimittelerwartung - Anteil mit Verordnung T: 79 % / D: 77 %, ohne Arzneimittelerwartung
- Anteil mit Verordnung T: 55 % / D: 51 %. Die Nationalität der Patienten hat auf
die Verordnungshäufigkeit insgesamt betrachtet keine Auswirkung. Türkische Patienten
erhalten jedoch deutlich häufiger als deutschsprachige Schmerzmittelverordnungen (T: 23
% / D: 9 %; p < 0,001), insbesondere bei Atemwegserkrankungen und Magen-Darm-Erkrankungen,
weniger deutlich bei Erkrankungen des Bewegungsapparates, weil sie insbesondere bei
diesen Erkrankungen deutlich häufiger über Schmerzen klagen als deutsche Patienten
und Ärzte ihren Patienten mit Schmerzen unabhängig von der Nationalität häufiger Schmerzmittel
verordnen.
Schlussfolgerungen: Das Behandlungskonzept türkischer Patienten ist stärker auf Arzneimittel ausgerichtet.
Sie haben größere Arzneimittelerwartungen und eine größere Überzeugung von der Wirksamkeit
der Medikamente als die deutsche Vergleichsgruppe. Dennoch verordnen Ärzte insgesamt
gesehen jedem zweiten Patienten ein Rezept unbesehen seiner ethnischen Zugehörigkeit.
Der Erwartungsdruck auf den Arzt, ein Arzneimittel zu verordnen, ist jedoch bei türkischen
Patienten deutlich höher als bei deutschen und kann zu einem Problem werden.
Abstract
Aim of the study: to assess the diseases and complaints and the concepts for treatment of patients
and drug prescriptions relative to their ethnic origin: Turkish immigrants (T) or
German citizens (D). Methods: Questionnaire survey of patients of general practitioners
before and after consultation. The survey was conducted separately for Turkish and
German patients, involving nine GP's practices for each group. Sample sizes were 253
Turkish and 637 German patients, respectively. Only responses of patients younger
than 60 years of age were evaluated (T: 216/G: 357). Reason: Relative to the entire
Turkish population in Germany the number of ethnic Turks older than 60 is too small
for comparative purposes.
Results: The two most frequent reasons for a visit to the doctor by Turkish migrants were
pain of varied origin (T: 44 % / G: 21 %; p > 0.001) and colds or diseases of the
respiratory tract (T: 41 % / G: 25 %; p > 0.001). Turkish and German patients differ
significantly with respect to their mentioning of pain and colds.
The concept of treatment of the Turkish patients is compared to German patients more
adjusted to medicaments and less to counselling and discussion with the doctor.
The physicians‘ prescribing frequency on the other hand conforms primarily to the
disease of the patients and not to their ethnic group. To confirm this, compare the
share of drug recipients per disease group: Respiratory tract: T: 79 % / D: 84 %,
alimentary system: T: 58 % / D: 60 % and locomotor system: T: 49 % / D: 39 %. Secondly
the physicians’ prescribing frequency conforms to the patients’ expectations of medicaments:
Of the patients who expected a prescription T: 79 % and D: 77 % respectively were
given a prescription and of those who did not expect a prescription T: 55 % / D: 51
% did receive it. Again the patients’ ethnic group had no influence on the prescribing
frequency.
Significantly more Turkish than German patients (T: 23 % / D: 9 %; p < 0.001) received
pain-relieving drugs. This is especially true for Turkish patients with illnesses
of the respiratory, alimentary and locomotor system. This is the explanation: More
Turkish than German patients name pain as their consulting reason. Again the prescribing
frequency does not depend on the ethnic group. It depends on the patient’ s pain.
Consequences: The treatment concept of Turkish patients is more directed to drugs. They request
a drug more intensively and are more convinced of the medicaments’ effectiveness than
German patients are.
In spite of this, physicians give a prescription according to the indication of the
patient independent of his ethnic origin. The insistence on a prescription is significantly
higher in Turkish than in German patients.
Schlüsselwörter
Hausarzt - türkische Patienten - Krankheiten - Schmerzen - Arzneimittelerwartungen
- Verordnungen - Behandlungskonzept - Erkältungskrankheiten
Key words
General practitioner - turkish patients - diseases - pain - colds - drug expectations
- prescriptions - concept of treatment