Zusammenfassung
Anliegen: Durchführung und Evaluation von Angehörigengruppen von Patienten mit einer affektiven
Störung sind bisher nur selten beschrieben worden (im Unterschied zu Angehörigengruppen
bei schizophrenen Patienten). Inzwischen bieten etwa drei Viertel der momentan 53
spezialisierten Depressionsstationen Angehörigengruppen an, und wir beschreiben Ergebnisse
und Erfahrungen mit einer fortlaufend zweiwöchig durchgeführten Gruppenform, in der
direkt auf die Fragen der Angehörigen eingegangen wird. Methode: Die Gruppenprotokolle über 18 Monate werden ausgewertet hinsichtlich Gruppenzusammensetzung,
Thematik und emotionaler Gestimmtheit der Teilnehmer. Ergebnisse: In den 40 Gruppen mit insgesamt 400 Teilnehmern stellten die Ehepartner mit 50 %
die größte Gruppe. Bei den übrigen Teilnehmern fiel auf, dass bei weiblichen Patienten
auch vermehrt weibliche Angehörige kamen. Die am meisten interessierende Thematik
bezog sich auf den Umgang mit dem Patienten während und nach der stationären Behandlung.
In der emotionalen Gestimmtheit waren 23 % der Angehörigen selbst sehr belastet, 7
% nahmen eine negative oder skeptische Haltung ein und 23 % konnten als eher entlastet
eingestuft werden. Schlussfolgerungen: Mit der Angehörigengruppe wird eine große Zahl von Angehörigen erreicht, die sich
auch überwiegend sehr positiv dazu äußern. Das Behandlungsteam profitiert ebenfalls
von der erweiterten Sichtweise, so dass sich der Aufwand für die Vorbereitung und
Durchführung von Angehörigengruppen lohnt. Als wichtig für eine gute Teilnehmerzahl
hat sich erwiesen, dass die Angehörigen persönlich eingeladen werden und jedes Treffen
nach ihren vorherrschenden Themen ausgerichtet wird.
Abstract
Objective: Experiences with psychoeducational groups have been extensively reported for schizophrenic
patients and their families. For patients with affective disorders, however, only
a few publications exist. We describe results and conclusions for clinical practice
with a type of psychoeducational group that addresses family members of in-patients
treated at a specialized depression ward. The group sessions are every other week
and we try to take up the questions asked by the attenders in order to concentrate
on their personal needs. Methods: Protocols of 40 group sessions over 18 months were analysed concerning attendance
figures, degree of relatedness to the patient, main topics and questions, and emotional
condition of the participants. Results: The 40 group sessions were attended by 400 participants (mean = 10; median = 9).
About 50 % of them were spouses. For the other family members, there was a clear association
between female patients and female attenders. Main question was how to deal with the
patient, at present and after discharge. With regard to the emotional state, 23 %
were under strain themselves, 7 % were skeptical and 23 % could be described as relieved.
Conclusions: This kind of group reaches a considerable number of family members, who in general
highly appreciate these sessions. The therapeutic team also benefits from enlarging
their knowledge by including the relatives' perspective. Therefore, the effort for
preparing and holding the group session seems to be justified and rewarding. To our
opinion, good attendance figures can be reached by personal invitation of the relatives
and by being flexible and oriented towards their needs.
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1 Der Begriff „Angehörigenarbeit” wird in diesen Evaluationsstudien freilich vielfältig
verwendet und umfasst ein weites Spektrum sowohl in der Auswahl der Angehörigen (nur
Ehepartner, ganze Familie, nur Kinder) als auch in der Form der Vermittlung von Inhalten
(Familiensitzungen mit psychotherapeutischem Anspruch bis hin zur reinen Informationsveranstaltung
im Vortragsstil). Psychoedukative Gruppen können weiterhin für Patienten oder für
Angehörige separat oder aber für beide gemeinsam angeboten werden.
PD Dr. Ferdinand KellerDipl.-Psych.
AG Verlaufsforschung · Zentrum für Psychiatrie Weissenau (Abt. Psychiatrie I der Univ.
Ulm)
Postfach 2044
88190 Ravensburg