Zusammenfassung
Fragestellung
Ein Problem der reproduktionsmedizinischen Behandlung stellt die erhöhte Mehrlingsrate
dar. Dem IVF-Register (DIR) ist zu entnehmen, dass es 1999 nach Sterilitätstherapie
in 74 % der Fälle zu Einlings-, in 22 % zu Zwillings- und in 4 % zu Drillingsgeburten
kam. Die Inzidenz liegt deutlich über der Häufigkeit von Mehrlingen nach Spontankonzeption.
Entsprechend der HELLIN-Hypothese ist von einer Häufigkeit von n: 1 : 85 für Zwillinge
(1,18 %) und für Drillinge von einer Häufigkeit von n2: 1 : 852 (1 : 7225 entspricht = 0,013 %) auszugehen. Aufgrund der erhöhten Mehrlingsgeburtsrate
ergeben sich Risiken im Hinblick auf die körperliche und psychosoziale Entwicklung
der Kinder. Der Übergang zur Elternschaft und Familie stellt hohe Anforderungen an
die Adaptationsleistungen. Ziel der vorliegenden Studie ist, die Familienstruktur
nach Geburt eines Einlings im Vergleich zu einer Mehrlingsgeburt darzustellen.
Material und Methode
N = 55 Mütter und 51 Väter wurden ein Jahr nach der Geburt ihres Kindes/ihrer Kinder
gebeten, die Familienbogen auszufüllen. Die Familienbogen sind ein Inventar zur Einschätzung
der Familienfunktionen. Ausgehend von einer theoretischen Konzeption des Familienmodells
beschreiben Familienbogen das aktionale Verhalten in sieben Skalen: Aufgabenerfüllung,
Rollenverhalten, Kommunikation, Emotionalität, Affektive Beziehungsaufnahme, Kontrolle,
Werte und Normen. Profile der Eltern werden vergleichend dargestellt und Diskrepanzen
der Einlings-und Mehrlingseltern aufgezeigt.
Ergebnisse
Der Anteil der Einlinge betrug 80 % (n = 44), der Anteil der Zwillinge 14,5 % (n =
8) und der Anteil der Drillinge 5,5 % (n = 3). Im Allgemeinen Familienbogen liegen
sowohl die Skalenwerte der Einlings- als auch die der Mehrlingsmütter im mittleren
Bereich. Bei den Vätern der Mehrlinge deuten sich Probleme in den Skalen Emotionalität,
Affektive Beziehung und Kontrolle an. Hier treffen wir unzulänglichen oder unangemessenen
Ausdruck von Gefühlen an, ebenso die Unterdrückung von Gefühlen. Bei Problemen im
Bereich des Kontrollverhaltens kann es innerhalb der Familienstruktur zu verdeckten
und offenen Machtkämpfen kommen. Signifikante Diskrepanzen in den Bereichen Kommunikation,
Emotionalität, affektive Beziehungsaufnahme, Kontrolle, Werte und Normen zwischen
Mehrlingsmüttern und Mehrlingsvätern lassen sich aufzeigen.
Schlussfolgerung
Die Ergebnisse der vorliegenden explorativen Studie deuten innerfamiliäre Probleme
in Mehrlingsfamilien nach ICSI an. Der deutlich erhöhten Häufigkeit von Mehrlingsgeburten
nach ICSI mit ihren psychosozialen Auswirkungen sollte Rechnung getragen werden und
den Familien mit Mehrlingen spezielle Aufmerksamkeit entgegengebracht werden.
Abstract
Objective
Assisted reproduction is associated with an increased rate of multiple gestation.
In an in-vitro fertilization registry, 74 % of births were singletons, 22 % were twins,
and 4 % were triplets. Twins and triplets have certain risks regarding physical and
psychosocial development compared with singletons, and are a challenge to parents.
We studied family structures after delivery of singletons and multiple infants after
intracytoplasmatic sperm injection (ICSI).
Methods
One year after delivery 55 mothers and 51 fathers were asked to complete family questionnaires
assessing family functions. The questionnaires had scales assessing task fulfillment,
role behavior, communication, emotionality, affective establishment of relations,
control, values, and norms.
Results
In our study there were 44 singleton (80 %), 8 twin (14.5 %), and 3 triplet births
(5.5 %). In the general family questionnaire mothers of singletons and twins or triplets
scored in the mean range. Fathers of twins or triplets indicated problems in emotionality,
affective relationship, and control with insufficient or inappropriate expression
or suppression of emotion. Problems of control behavior suggest hidden or open power
struggles in the family. There were significant differences between mothers and fathers
of multiple babies in communication, emotionality, affective establishment of relations,
control, values and norms.
Conclusion
Families with multiple babies after ICSI are at risk of problems. Appropriate counseling
should be considered for parents of multiple infants after assisted reproduction.
Schlüsselwörter
Mehrlingsschwangerschaften - Mehrlingsgeburten - Familienstruktur - Psychosoziale
Belastung - Reproduktionsmedizin
Key words
Multiple birth - Multiple pregnancy - Family structure - Reproductive treatment -
Psychosocial risk