Zusammenfassung.
Die vorliegende Arbeit reflektiert Überlegungen, Erfahrungen und insbesondere diagnostische
und therapeutische Strategien im Hinblick auf „geschickte”, also fremdmotivierte Patienten
aus der Sicht einer Fachklinik für Psychosomatik und Psychotherapie. Ziel ist die
Entwicklung eines Behandlungskonzepts und die Erarbeitung von Leitlinien für die sozialmedizinischen
Aspekte bei der genannten Patientengruppe. Die Problemanalyse ist zunächst an der
Ausgangslage anzusetzen: Der „geschickte” Patient zeigt in aller Regel nicht nur keine
aktive Mitarbeit, sondern arbeitet auch häufig genug gegen alle rehabilitativen Maßnahmen, insofern diese seinen eigenen Wünschen und Zielen
(z. B. Rente, Umschulung, Krankenarbeitslosengeld) nicht entsprechen. Zusätzlich wird
der Zugang zur psychosomatischen Problematik durch ein überwiegend körperliches Krankheitsverständnis
erschwert. Die motivationalen und behandlungsrelevanten Besonderheiten der Patienten
werden an Fallbeispielen verdeutlicht. Ein standardisierter Ablauf der sozialmedizinischen
Leistungsbeurteilung wird vorgestellt, der den Spezifika dieser Patientengruppe Rechnung
trägt und sich klinisch bewährt hat. Hervorzuheben sind: prästationäre Diagnostik,
stationäre Psychodiagnostik, multiprofessionelle systematische Verhaltensbeobachtung
des zu Begutachtenden im Rahmen einer Gruppenbehandlung, besondere Sensibilität bei
der Übermittlung der gewonnenen Ergebnisse. Die Doppelrolle von Psychotherapeut und
Gutachter verlangt höchste Fachkompetenz. Außerdem sind die Erwartungen von Träger
und Auftraggeber, die von großer Tragweite sind, zu berücksichtigen. Ausgangspunkt
aller Bemühungen ist die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung und die Identifizierung
des Patienten im Hinblick auf das Ausmaß seiner Fremdmotiviertheit. Hierfür steht
neben der Analyse der „Aktenlage” auch eine prästationäre Diagnostik zur Erfassung
der Therapiemotivation zur Verfügung.
Patients “Sent” for Psychosomatic Rehabilitation - Guidelines for Sociomedical Assessment
and Management of Extrinsically Motivated Patients.
This paper reflects the thinking, experience as well as diagnostic and therapeutic
strategies of the Gelderland specialized clinic for psychotherapy and psychosomatic
medicine with regard to extrinsically motivated patients, i. e., patients “sent” for
treatment. The objective is to develop a therapeutic concept and to establish guidelines
concerning the sociomedical aspects to be taken into account in this patient group.
The problem analysis should start out at the situation at hand initially: Not only
do these patients as a rule refuse to take an active part in therapy; they all to
often attempt to sabotage any rehabilitation offers perceived as running counter to
their own desires and goals (e. g. pension, retraining, collection of benefits during
illness-related unemployment, etc.). Attempts to elucidate the psychosomatic problem
complex of these patients are in addition hampered by their predominantly body-centred
concept of disease. The particular motivational and therapy-related features of these
patients are illustrated by case studies. A standardized procedure for sociomedical
performance appraisals is presented which takes the specific features of this patient
group into account and has stood the test in the clinical setting. Special mention
should be made of: pre-admission diagnostics, inpatient psychodiagnostics, multidisciplinary
systematic behavioural observation of the patient in the framework of group therapy,
and a sensitive approach to conveying diagnostic results to the patient. The double
role of psychotherapist and appointed expert is one demanding the highest degree of
professional expertise. Besides, the expectations of the social security and financially
responsible agencies which “sent” the client have to be taken into account as well.
The sociomedical evaluation serves as the starting point for all therapeutic efforts
and identification of the extent of a patient's extrinsic motivation. Along with a
thorough review of the patient's medical records, pre-admission diagnostic efforts
are in place in this respect for assessing a patient's motivation for therapy.
Schlüsselwörter:
Sozialmedizinische Beurteilung - Psychosomatische Rehabilitation - Fremdmotivierte
Patienten - Integratives Behandlungskonzept
Key words:
Socialmedical evaluation - Extrinsically motivated patient - Psychosomatic rehabilitation
- Integrated treatment concept
Literatur
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Beltz-Test 1978
1 Die Ausführungen dieses Beitrags berücksichtigen die Besonderheiten der Gelderland-Klinik,
Fachklinik für Psychosomatik und Psychotherapie. Sie ist eine Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtung
i. S. des § 107 (2) SGB V. Behandlungsverträge (gemäß § 15 [2] SGB VI) sind mit der
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), Berlin, und anderen Rentenversicherungsträgern
abgeschlossen. Außerdem besteht ein Versorgungsvertrag mit den Landesverbänden der
Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen (vgl. § 111 SGB V), so dass die Gelderland-Klinik
auch von allen Krankenkassen belegt wird. Für privatversicherte Patienten gelten die
Musterbedingungen des Verbandes der Privaten Krankenversicherung, nach denen die Gelderland-Klinik
eine „Krankenanstalt” ist, die alle Voraussetzungen des § 4 (4) MB/KK erfüllt.
2 Die folgenden Ausführungen gelten auch für ungekündigte Arbeitnehmer. In diesen Fällen
verzichtet der Arbeitgeber nach der Aussteuerung auf sein Direktionsrecht, wodurch
der Arbeitnehmer von seiner Arbeitspflicht entbunden wird. Über diesen Verzicht wird
der ungekündigte Arbeitnehmer einem Arbeitslosen gleichgestellt, der damit unter bestimmten
Voraussetzungen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat.
3 Die „Checkliste zur sozialmedizinischen Beurteilung” (Bückers u. Kriebel 1997, Kriebel
et al. 1997, Kriebel et al., im Druck) enthält Beurteilungskriterien, die die Besonderheiten
eines psychosomatischen/psychoneurotischen Konflikt- und Krankheitsgeschehens berücksichtigen.
Korrespondenzanschrift:
Dr. Reinholde KriebelPsychologische Direktorin
Gelderland-Klinik
Clemensstraße 1
47608 Geldern