Notfallmedizin up2date 2012; 7(1): 57-72
DOI: 10.1055/s-0031-1298272
Spezielle Notfallmedizin
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Das akute Abdomen

André Gries
,
Arne Dietrich
,
Sven Jonas
,
Joachim Mössner
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
02. April 2012 (online)

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Einleitung

Definition. Das akute Abdomen ist kein eigenständiges Krankheitsbild, sondern eine Zustandsbeschreibung [1]. Es beschreibt einen Zustand unklarer akuter oder akut rezidivierender Schmerzen mit meist peritonealer Beteiligung.

Leitsymptome. Die Leitsymptome sind heftige Bauchschmerzen und eine peritoneale Symptomatik, einhergehend mit Kreislaufstörungen bis zum Schock und Reduktion des Allgemeinzustands. Starke bis stärkste Bauchschmerzen bestehen seit weniger als 24 h. Meist liegt auch eine Bauchdeckenspannung und eine Störung der Peristaltik vor [2]. Die Ursache liegt meist im Abdomen selbst und zahlreiche Krankheitsbilder können zum akuten Abdomen führen. Die Inzidenz des akuten Abdomens in der präklinischen Notfallmedizin 2010/2011 wird in der größten landesweiten Analyse bodengebundener Einsätze in Baden-Württemberg und in der DRF-Luftrettung bundesweit mit 1 – 6 % angegeben [74], [76].

Differenzialdiagnostik. Im Rettungs- und Notarztdienst steht hauptsächlich die symptomatische Therapie und die Identifizierung unmittelbar lebensbedrohlicher und zeitkritischer Krankheitsbilder im Vordergrund. In der Notaufnahme folgt die Differenzialdiagnostik und in einigen Fällen eine unmittelbar notwendige Intervention [3], [4]. Die traditionelle „Vorselektion“ und Unterscheidung zwischen einem primär „chirurgischen“ oder „internistischen“ Krankheitsbild ist häufig nicht möglich und aus Sicht der Autoren auch nicht notwendig. Ohne Zeitverlust werden die Patienten insbesondere bei vermuteter unmittelbar notwendiger Intervention mit Voranmeldung durch die Rettungsleitstelle einer zentralen Notaufnahme zugeführt. Dort muss interdisziplinär geklärt werden, ob die Indikation zur Sofortoperation bzw. -intervention besteht (Infobox [1]).

Infobox 1

Wichtige abdominale Ursachen akuter Schmerzen mit Indikation zur Sofortoperation

  • akute Appendizitis

  • akute Mesenterialischämie

  • freie Perforation eines Hohlorgans in die Bauchhöhle (z. B. Gallenblase, Kolondivertikel)

  • mechanisch bedingter Dünndarmileus (z. B. Bridenileus, inkarzerierte Hernie)

  • perforiertes Magen- oder Duodenalulkus

  • rupturiertes Aortenaneurysma

  • abdominales Kompartment-Syndrom

  • rupturierte ektope Schwangerschaft

In der zentralen Notaufnahme setzt dies insbesondere für die nicht rettungsdienstlich vorbehandelten Patienten ein funktionierendes Konzept zur Ersteinschätzung [3], aber auch den zielführenden, „intelligenten“ Einsatz weniger diagnostischer Maßnahmen voraus. In den meisten Fällen eines akuten Abdomens besteht die Indikation zur sofortigen Operation (Infobox [1]).

Neben gastroenterologischen können auch akute pulmonale, kardiale, metabolische und renale Erkrankungen ein akutes Abdomen vortäuschen (Infobox [2]).

Ein Hinterwandinfarkt als nicht seltene extraabdominale Ursache eines akuten Abdomens wird mit einem bereits präklinisch durchgeführten 12-Kanal-EKG gesichert. In diesem Fall leitet man in der zentralen Notaufnahme eine sofortige Katheterintervention ein. Dazu lagert der Rettungsdienst den Patienten direkt auf den Kathetertisch um [5].

Der vorliegende interdisziplinäre Beitrag erhebt nicht den Anspruch, alle möglichen Ursachen eines akuten Abdomens beschreiben zu wollen, schlägt aber eine pragmatische und zielführende Vorgehensweise für die wesentlichen Erkrankungen vor.

Infobox 2

Extraabdominale Ursachen akuter abdominaler Schmerzen, Beispiele (nach [2])

kardiale Ursachen:

  • Myokardischämie, -infarkt

  • Herzinsuffizienz

  • Endokarditis

  • Myokarditis

weitere thorakale Ursachen:

  • Pneumonitis

  • Pleurodynie (Morbus Bornholm)

  • Lungeninfarkt, Lungenembolie

  • Pneumothorax

  • Empyem

  • Ösophagitis

  • Ösophagusspasmen

  • Ösophagusruptur (Boerhaave-Syndrom)

neurologische Ursachen:

  • Radikulitis; u. a. Tumoren peripherer Nerven und des Rückenmarks, degenerative Arthritis der Wirbelsäule

  • abdominale Epilepsie

metabolische Ursachen:

  • Urämie

  • Diabetes mellitus

  • Porphyrie

  • akute Nebenniereninsuffizienz (Addison-Krise)

  • Hyperlipidämie

  • Hyperparathyreoidismus

hämatologische Ursachen:

  • akute Leukämie

  • Purpura Schönlein-Henoch

  • hämolytische Anämie, u. a. Sichelzellenanämie

Toxine:

  • Bleivergiftung

  • Hypersensitivitätsreaktionen; u. a. Insektenstiche, Reptiliengift

Infektionen:

  • Herpes Zoster

  • Osteomyelitis

  • Typhus

  • familiäres Mittelmeerfieber

psychiatrische Erkrankungen:

  • u. a. Münchhausen-Syndrom

weitere Erkrankungen:

  • Muskelkontusion, Muskelhämatom

  • Drogen- oder Narkotikaentzug

  • Hitzschlag