CC BY-NC-ND 4.0 · Dtsch Med Wochenschr 2024; 149(07): 400-406
DOI: 10.1055/a-2246-9536
Positionspapier

Interprofessionelle Handlungsfelder in der Intensivmedizin – Empfehlungen der DIVI

Christian Waydhas
1   Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Essen
,
Matthias Deininger
2   Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care, Universitätsklinikum der RWTH Aachen
,
Rolf Dubb
3   Fachbereichsleitung Weiterbildung, Kreiskliniken Reutlingen GmbH
,
Florian Hoffmann
4   Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital, Ludwig-Maximilians-Universität, Campus Innenstadt, München
,
Thomas van den Hooven
5   Pflegedirektion, Universitätsklinikum Münster
,
Uwe Janssens
6   Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin, St.-Antonius-Hospital gGmbH, Akademisches Lehrkrankenhaus der RWTH Aachen, Eschweiler
,
Arnold Kaltwasser
7   Fachbereichsleitung Weiterbildung für Intensivpflege und Anästhesie, Kreiskliniken Reutlingen GmbH
,
Andreas Markewitz
8   Bendorf
,
Sabrina Pelz
9   Advanced Practice Nurse, Fachgesundheits- und Krankenpflegerin für Intensivpflege und Anästhesie, Intensivstation, Universitätsklinikum Tübingen, Deutschland
,
und das Präsidium der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Beschluss vom 7.11.2023) › Author Affiliations
 

Anmerkung

In den Ausführungen fokussieren viele Formulierungen und Beispiele auf die ärztlichen und pflegerischen Professionen. Dies ist der Komplexität der Thematik und dem innovativen Charakter der Empfehlungen geschuldet. Hier sollen für die 2 größten Berufsgruppen Empfehlungen ausgesprochen werden. Ungeachtet dessen sind die Beiträge der therapeutischen Fachberufe und anderer Berufsgruppen, die in die Versorgung von Intensivpatienten eingebunden sind, ebenfalls für eine optimale Patientenversorgung unverzichtbar. Die folgenden Ausführungen lassen sich in Analogie auf andere Berufe und Berufsgruppen übertragen und zukünftig diskutieren. Die Thematik befindet sich in einem dynamischen gesellschaftlichen, politischen und berufspolitischen Diskurs und darf die anderen Professionen nicht vergessen.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Beitrag auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.


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Einführung in die Thematik

Die aktuellen Entwicklungen, insbesondere auch im Krankenhaussektor, reflektieren einen ausgeprägten Mangel an Pflegefachpersonen, eine zunehmende Akademisierung der Pflege und einen absehbaren Ärztemangel. In diesem gesellschaftlichen Umfeld nimmt die Diskussion über eine Ausweitung der Kompetenzen in den Pflegefachberufen Fahrt auf. Im Gesetz über die Pflegeberufe (Pflegeberufegesetz – PflBG) von 2017, welches zuletzt 2021 aktualisiert wurde, sind Modellvorhaben zum Erwerb erweiterter Kompetenzen zur Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten vorgesehen. Diese sind laut Regelung des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) auf bestimmte Tätigkeiten bei den Diagnosen Diabetes Typ I und II, chronische Wunden, Demenz und Verdacht auf Hypertonus (außer Schwangerschaft) fokussiert. Die Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung hat jüngst geäußert, dass „die Strukturen veraltet und durch den Arztvorbehalt geprägt“ seien und die Frage gestellt, „warum Pflegefachpersonen nicht selbstständig impfen, Wunden versorgen oder Verbandsmaterialien und bestimmte Medikamente verordnen können“. Diese Diskussion fokussiert sich (noch) relativ stark auf den ambulanten Sektor.

In der Intensivmedizin war und ist eine gute Patientenversorgung ohne eine interprofessionelle und multidisziplinäre Zusammenarbeit schon immer undenkbar. Wie in kaum einem anderen Bereich der Medizin besteht hier eine äußerst enge Verzahnung zwischen ärztlicher und pflegerischer Zusammenarbeit, mit einer gleichzeitigen Tätigkeit auf der Intensivstation und am Patienten. Beide Berufsgruppen professionalisieren sich permanent (siehe DIVI-Empfehlungen zur Struktur und Ausstattung von Intensivstationen) und entwickeln spezialisierte Kompetenzen – weit über die grundständigen Ausbildungen hinaus. Die Intensivpflege hat dabei schon immer intensivmedizinische Tätigkeiten durchgeführt. Um welche Tätigkeiten es sich dabei genau handelte, blieb jedoch bislang ungeregelt und unterlag weitgehend lokalen und persönlichen Regelungen der beteiligten Partner.

So erscheint die Intensivmedizin nicht nur prädestiniert, Handlungsfelder verlässlich zu definieren, sondern es erscheint sogar essenziell, um im Team ein optimales Ergebnis für die Patienten zu erreichen.

In diesem Sinne hat die DIVI (Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin) bei ihrer letzten Klausurtagung, welche auf Initiative des Präsidenten das Thema Intensivpflege in den Fokus nahm, im Sommer 2023 beschlossen, einen Vorschlag über interprofessionelle Handlungsfelder in der Intensivmedizin zu entwickeln. Wie kaum eine andere Fachgesellschaft ist die DIVI dazu berufen, da in ihr sowohl die intensivmedizinische Fachpflege als auch die intensivmedizinisch spezialisierten Ärzte und nicht zuletzt auch viele andere auf der Intensivstation tätigen Gesundheitsfachberufe vertreten sind und zusammenwirken.

Eine paritätisch zusammengesetzte Arbeitsgruppe (Autoren der vorliegenden Empfehlung) entwickelte 8 Kernaussagen und eine Matrix mit konkreten Empfehlungen. Deren Grundlage waren, neben der Expertise der beteiligten Personen, zentrale Publikationen aus dem deutschsprachigen und europäischen Raum. Nachdem der Entwurf im Vorfeld jeweils bereits kommentiert und modifiziert werden konnte, wurde das Manuskript in 3 Videokonferenzen innerhalb der Arbeitsgruppe diskutiert, weiterentwickelt und konsentiert. Der Text wurde dem Präsidium der DIVI mit 2 Wochen Vorlauf vorgelegt und am 7. November 2023 von diesem einstimmig beschlossen.


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Kernanforderungen

Eine bestmögliche Versorgung intensivmedizinischer Patienten ist bei der inzwischen erreichten Komplexität sowohl der Erkrankungszustände als auch der immer weiterwachsenden Behandlungs- und Versorgungsmöglichkeiten nur in interdisziplinären und interprofessionellen Teams möglich. Die Kompetenz und der Beitrag jedes Teammitglieds und jeder Berufsgruppe ist dabei unverzichtbar.

Für eine optimale Patientenversorgung ist eine bestmögliche Teamleistung essenzielle Grundlage. Eine solche bedarf einer gemeinsamen Abstimmung der Ziele und Abläufe sowie der Handlungskompetenzen. Daraus ergibt sich eine Reihe von Kernanforderungen, die über allen Detailregelungen stehen:

Kernaussage 1

Die Zusammenarbeit muss im gegenseitigen Vertrauen auf die Kompetenz und Zuverlässigkeit der beteiligten Personen und Berufsgruppen sowie der gegenseitigen Wertschätzung gründen.

Kernaussage 2

Grundlage der Handlungsfähigkeit ist die Definition der notwendigen Kompetenz. Diese wird in den jeweiligen Ausbildungen, Studiengängen und Weiterbildungen erworben. Ein Abschluss im Rahmen des erlernten Kompetenzniveaus weist die jeweilige Befähigung nach. Die erforderlichen Handlungskompetenzen müssen in den jeweiligen Curricula einheitlich abgebildet und erlernbar sein.

Eine Kultur des Vertrauens, der Wertschätzung und kooperativen Zusammenarbeit lässt sich weder verordnen noch messen. Dennoch ist ohne ein angemessenes Vertrauensverhältnis und eine wertschätzende Zusammenarbeit eine gute Leistung des Teams in der ganzheitlichen Patientenversorgung nicht möglich. Nicht nur die Führungskräfte, sondern jedes einzelne Mitglied des Teams sollte sich verpflichtet fühlen, das gegenseitige Vertrauen zu erwerben, zu rechtfertigen und zu erhalten. Ohne diese wird auch die Einhaltung der im Folgenden ausgeführten Empfehlungen nicht zur bestmöglichen Leistung in der Patientenversorgung führen. Defizite in der Team-Performance lassen sich auch durch eine strikte Umsetzung der nachfolgenden Ausführungen nicht kompensieren.

Kernaussage 3

Grundlage der konkreten Zusammenarbeit sind die

  • Interprofessionelle Erarbeitung von (stationsadaptierten) Handlungskonzepten[1]

  • Strukturierte Einarbeitung neuer Mitarbeitender gemäß den klinikinternen Standards

  • Gemeinsame Besprechungen und Festlegung der (täglichen) Behandlungsziele und der Maßnahmen zu deren Erreichung im Sinne des Qualitätsindikators I (eins) der DIVI.

Für praktisch alle Bereiche der intensivmedizinischen Behandlung sind die ärztliche und die pflegerische Kompetenz für eine gute Gesamtbehandlung bedeutsam. Deshalb ist es unerlässlich, dass für möglichst viele dieser Bereiche gemeinsam (Be)Handlungskonzepte, Abläufe und Leitpfade erstellt, schriftlich fixiert, kontinuierlich weiterentwickelt sowie an die stations- und krankenhausspezifischen Gegebenheiten adaptiert werden. Solche gemeinsam erarbeiteten Konzepte haben dann für alle Mitarbeitenden einen verbindlichen Charakter, sofern im Einzelfall nicht patientenindividuell klar begründete Abweichungen erforderlich sind. Für alle beteiligten Berufsgruppen besteht gleichermaßen die Pflicht und das Recht, sich an der Erarbeitung solcher Konzepte zu beteiligen.

Für die konkrete Behandlungsplanung am Patientenbett ist die interprofessionelle Visite zur Festlegung der täglichen Ziele unerlässlich. Der Qualitätsindikator I [1] (siehe auch: https://www.egms.de/static/pdf/journals/gms/2023-21/000324.pdf) beschreibt den Kern der interprofessionellen Zusammenarbeit, die nicht zuletzt auch für die beteiligten Berufsgruppen eine verbindliche Vorgabe der Ziele, Aufgabenverteilungen und Handlungen für den weiteren Tag macht. Hierbei können nicht nur die Ziele selbst, sondern auch Aufgabenverteilungen (im Rahmen der o. g. Konzepte und Kompetenzen) abgestimmt sowie Leitplanken, Grenzwerte und mögliche relevante Entwicklungen gemeinsam vorgegeben werden, bei deren Erreichung oder Überschreitung eine Rücksprache sowie Reevaluierung vorgenommen werden soll.

Die gemeinsame interprofessionelle Visite stellt somit ein essenzielles Kernelement der intensivmedizinischen Behandlung dar, deren Bedeutung nicht genug betont werden kann.

In aller Regel werden in einem funktionierenden Team sowohl die Handlungskonzepte als auch die konkreten Handlungen im Konsens entschieden. In den Entscheid sind die an der Behandlung der Grunderkrankung beteiligten Disziplinen einzubeziehen. Im Falle eines zunächst nicht auflösbaren Dissens sollten externe Berater (z. B. durch ein Ethikkonsil, durch ein palliativmedizinisches Konsil, o. a.) einbezogen werden. Sofern nicht bereits der Fall, sollten die Leitungspersonen der beteiligten Professionen eingebunden werden. Sollte sich auch dann kein Konsens herstellen lassen, obliegt die Entscheidung dem Verantwortungsträger, entsprechend den bestehenden Vereinbarungen zwischen den Fachgesellschaften und Berufsverbänden der beteiligten Disziplinen [2] [3]. In einem solchen Fall sollte allerdings immer eine Aufarbeitung des Konflikts, z. B. mittels externer Beratung/Moderation erfolgen.

Kernaussage 4

Kompetenzstufen der Pflegefachpersonen werden in 3 Kategorien eingeteilt:

  • Pflegefachmann/frau ohne oder mit dem akademischen Grad eines Bachelor of Science oder Bachelor of Arts (B.Sc./B.A.)

  • Zusätzlich mit Fachweiterbildung Intensiv- und Anästhesiepflege

  • Advanced Practice Nurse (APN) mit Fachweiterbildung Intensiv- und Anästhesiepflege

Definitionen

Pflegefachmann/frau: Die Qualifikation als Pflegefachmann/frau ist im Gesetz über die Pflegeberufe (Pflegeberufegesetz – PflBG) in § 1 festgelegt. Vorbehaltene Tätigkeiten, Ausbildungsziele sowie Dauer und Struktur der Ausbildung sind im Abschnitt 2 (§§ 4–6) beschrieben. Die Dauer der Ausbildung beträgt in Vollzeitform 3 Jahre [4].

Pflegefachmann/frau mit dem akademischen Grad des Bachelor of Science, Bachelor of Arts, B.Sc./B.A.: Die Qualifikation der hochschulischen Pflegeausbildung ist im Gesetz über die Pflegeberufe (Pflegeberufegesetz – PflBG) in § 37 ff\. festgelegt. Vorbehaltene Tätigkeiten, Ausbildungsziele sowie Dauer und Struktur der Ausbildung sind dort beschrieben. Die Dauer der Ausbildung beträgt in Vollzeitform mindestens 3 Jahre [4].

Fachweiterbildung Intensiv- und Anästhesiepflege: Fachweiterbildung für Intensiv- und Anästhesiepflege entsprechend dem Mustercurriculum der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) [5]. Im föderalen System in Deutschland werden die Weiterbildungen Intensiv- und Anästhesiepflege sowohl staatlich oder nach DKG absolviert und es existieren teilweise unterschiedliche Begrifflichkeiten. Alle Abschlüsse sind deutschlandweit anerkannt. Maßgeblich ist eine Erfüllung der Kompetenzvermittlung des Mustercurriculums mit einer mindestens 2-jährigen Weiterbildung bei Vollzeitkräften; bei Teilzeitkräften verlängert sich die Weiterbildungszeit entsprechend. Dies ist deshalb von essenzieller Bedeutung, da bei den Tätigkeiten am Patienten für fachweitergebildete Pflegefachpersonen eine einheitliche Kompetenz angenommen werden muss, da aus Praktikabilitätsgründen keine in Nuancen unterschiedliche Übernahme von Tätigkeiten für jede einzelne Pflegefachperson realisiert werden kann. Äquivalenzbescheinigungen durch Gesetze, regulatorische Behörden oder Pflegekammern müssen deshalb diese Vergleichbarkeit gewährleisten.

Unter einer Advanced Practice Nurse (APN) wird eine Pflegefachperson mit einem Abschluss als Master of Science (M.Sc.) in Advanced Practice Nursing [6] [7] verstanden, die zusätzlich über eine 2-jährige Fachweiterbildung für Intensiv- und Anästhesiepflege verfügt. Dieser Hinweis ist notwendig, da das Masterstudium als APN bisher keine spezialisierte Weiterbildung in der Intensivmedizin beinhaltet. Studiengänge in Pflegemanagement oder anderen patientenfernen Studiengängen sind damit nicht gemeint, sondern die Höherqualifikation und wissenschaftliche Weiterentwicklung einer Pflegefachperson mit Fachweiterbildung Intensiv- und Anästhesiepflege.

Arzt: Unter einem Arzt wird ein Arzt mit mindestens Facharztstandard für die Weiterbildungsinhalte der Intensivmedizin verstanden oder ein Arzt, der unter der unmittelbaren Aufsicht eines solchen handelt.

Pflegeassistenz: Die Ausbildung zur Pflegeassistenz beträgt je nach Bundesland mindestens ein Jahr. Solche Personen dürfen ausschließlich Tätigkeiten ausüben, die in ihrem Ausbildungscurriculum vermittelt wurden, und das nur unter der unmittelbaren Aufsicht mindestens einer Pflegefachperson.

Kernaussage 5

Die Kompetenz der Pflegefachperson am Ende der Ausbildung/Weiterbildung bzw. des Studiums soll in den 3 Kompetenzstufen jeweils bundesweit einheitlich sein. Dies sollte von den Fachgesellschaften, Berufsvertretern und dem Gesetzgeber im Bund und den Ländern gewährleistet werden.

Auch wenn die Fachweiterbildung Intensiv- und Anästhesiepflege föderal in Nuancen unterschiedlich geregelt ist und unterschiedliche Bezeichnungen verwendet werden, so besteht eine deutschlandweite gegenseitige Anerkennung, aufgrund derer ein gleiches Kompetenzniveau aller Absolventen angenommen werden kann. Weniger einheitlich ist das Masterstudium zur APN geregelt. Hier besteht dringender Regelungsbedarf, da uneinheitliche Kompetenzen der verschiedenen Personen bei vermeintlich vergleichbaren Studieninhalten weder den betroffenen Pflegefachpersonen noch den Personalverantwortlichen im Krankenhaus und auf der Intensivstation – und erst recht nicht den Patienten – zu vermitteln sind. Es verhindert zudem die Umsetzung der Kernaussage 6, wenn für jede einzelne Pflegefachperson geprüft werden muss, was genau in dem jeweiligen Weiterbildungsgang vermittelt bzw. erlernt wurde.

Kernaussage 6

Mit erfolgreichem Abschluss der jeweiligen Kompetenzstufen werden die darin vermittelten Kompetenzen als erlernt vorausgesetzt. Im Rahmen der Einarbeitung auf der Intensivstation werden die theoretischen und praktischen Kenntnisse durch einen Abgleich mit einem Lernzielkatalog der Einarbeitung zusammengeführt und die eigenständige, praktische Anwendungsfähigkeit bescheinigt.

Eine Höherqualifikation macht keinen Sinn, wenn die erlernten Kenntnisse und Fertigkeiten in der Praxis nicht umgesetzt werden können und/oder dürfen. Umgekehrt muss sich der oder die für die Ablauforganisation Verantwortliche darauf verlassen können, dass die mit der Höherqualifikation bescheinigten Kenntnisse und Fertigkeiten tatsächlich auch vorhanden sind.

Kernaussage 7

Die Handlungskompetenzen werden entsprechend den 2 Kategorien von Kompetenzstufen in einer Matrix detailliert dargestellt, ergänzt um die Handlungskompetenzen von APNs.

Die hier dargestellten Kernaussagen bedürfen der Konkretisierung und detaillierten Darstellung für die intensivmedizinischen Handlungsfelder, um aus den Kernaussagen eine praxistaugliche Empfehlung für die tägliche Arbeit auf der Intensivstation zu generieren. Dies soll im Folgenden geschehen.

Für die Beschreibung der Handlungskompetenzen werden folgende Definitionen vorgenommen:

  • Vorbereitung umfasst die Material- und Patientenvorbereitung.

  • Assistenz umfasst die Unterstützung bei Maßnahmen, die nicht eigenständig durchgeführt werden dürfen.

  • Durchführung umfasst die praktische, eigenverantwortliche Ausführung der beschriebenen Maßnahme.

  • Evaluierung umfasst die Identifikation und Bewertung des Erfolgs, der Auswirkungen und potenziellen Komplikationen der durchgeführten Maßnahme.

  • Anpassung umfasst die Ableitung von Folgemaßnahmen, welche sich aus der Evaluierung ergeben und die anschließende Durchführung dieser.

  • Indikation umfasst die eigenverantwortliche Feststellung der Notwendigkeit einer Maßnahme.

Indikation, Durchführung, Evaluierung und Anpassung umfassen eigenverantwortliches Handeln im Rahmen der stationsspezifischen Handlungskonzepte und der Ziele, die im Rahmen der interprofessionellen Visite oder durch im Verlauf vorgenommene Änderungen der Ziele vereinbart worden sind. Bei Auffälligkeiten, neu aufgetretenen Problemen, offensichtlicher Nichterreichbarkeit der Ziele oder Über- bzw. Unterschreiten gegebener Leitplanken oder Grenzwerte ist der zuständige Arzt oder die zuständige Ärztin hinzuzuziehen und die Situation gemeinsam neu zu bewerten.

Der Zusatz „unter Aufsicht“ bedeutet, dass die Durchführung, Evaluierung, Kontrolle und Anpassung nur unter Aufsicht einer Pflegefachperson oder APN mit Fachweiterbildung Intensiv- und Anästhesiepflege oder eines Arztes erfolgen dürfen. Die aufsichtführenden Personen sollen sich in der Nähe aufhalten, um sofort an das Patientenbett kommen zu können, brauchen aber nicht ständig die beaufsichtigten Personen im Blick haben. Die Maßnahmen erfolgen entsprechend den interprofessionellen Absprachen.


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Empfohlene Matrix für 8 Kategorien

Für 8 Kategorien wird die in den [Tab. 1], [2], [3], [4], [5], [6], [7], [8] aufgezeigte Matrix empfohlen.

Tab. 1

Kategorie Atmung und Beatmung.

Handlungsfelder

Pflegefachpersonen/B.Sc., B.A.

Spez. FWB Intensiv- und Anästhesiepflege

Nicht invasiv-apparativ, inkl. High-Flow-Sauerstoff (HFO)

Durchführung, Evaluierung und Anpassung unter Aufsicht

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Invasiv-apparativ

Durchführung, Evaluierung und Anpassung unter Aufsicht

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Weaning

Durchführung, Evaluierung und Anpassung unter Aufsicht

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Atemgas-Klimatisierung

Durchführung, Evaluierung und Anpassung unter Aufsicht

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Sekretmanagement

Durchführung, Evaluierung und Anpassung unter Aufsicht

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Intubation

Vorbereitung der Maßnahme unter Aufsicht

Vorbereitung und Unterstützung der Maßnahme

Tracheotomie, perkutan

Vorbereitung der Maßnahme unter Aufsicht

Vorbereitung und Unterstützung der Maßnahme

Wechsel der Trachealkanüle

Durchführung, Evaluierung unter Aufsicht[1]

Durchführung, Evaluierung[1]

Dekanülierung

Durchführung, Evaluierung unter Aufsicht[1]

Durchführung, Evaluierung[1]

Extubation

Vorbereitung der Maßnahme unter Aufsicht

Vorbereitung der Maßnahme. Durchführung im interprofessionellen Team bei unmittelbarer Verfügbarkeit eines Arztes.

1 nach Abklärung der Indikation und spezifischer Kontraindikationen im Rahmen der Visite oder mit dem zuständigen Arzt/der zuständigen Ärztin.


Tab. 2

Kategorie Herz- und Kreislauf.

Handlungsfelder

Pflegefachpersonen/B.Sc., B.A.

Spez. FWB Intensiv- und Anästhesiepflege

Hämodynamisches Monitoring (nicht invasiv, invasiv)

Durchführung, Evaluierung unter Aufsicht

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Rhythmus- und Ischämiediagnostik

Durchführung, Erkennung lebensbedrohlicher Herzrhythmus-Störungen

Durchführung, Erkennung und Interpretation bedrohlicher Herzrhythmusstörungen, Ischämie

Flüssigkeitsmanagement

Durchführung, Evaluierung unter Aufsicht

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Katecholamin-Therapie, Vasopressoren, Vasodilatatoren

Durchführung, Evaluierung unter Aufsicht

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Arterielle Punktion

Assistenz

Durchführung[1]

Anlage einer arteriellen Verweilkanüle

Assistenz

Durchführung[1]

Anlage eines ZVK

Assistenz

Assistenz

Punktion eines Portkatheters

Durchführung unter Aufsicht

Durchführung

Betreuung einer ECMO/ECLA

Assistenz

Durchführung, Evaluierung

Blutgasanalyse, Säurebasen-Haushalt

Durchführung, Evaluierung unter Aufsicht

Durchführung, Evaluierung

1 In Absprache mit dem zuständigen Arzt/der zuständigen Ärztin, da diese/r solche Fertigkeiten für seine/ihre Weiterbildung benötigt.


Tab. 3

Kategorie Reanimation.

Handlungsfelder

Pflegefachpersonen/B.Sc., B.A.

Spez. FWB Intensiv- und Anästhesiepflege

BLS

Indikation, Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Indikation, Durchführung, Evaluierung und Anpassung

ALS, Defibrillation

Indikation, Durchführung, Evaluierung

Indikation, Durchführung, Evaluierung und Anpassung

ALS, allgemein

Assistenz

Durchführung, Evaluierung und Anpassung zusammen mit d. Arzt

Tab. 4

Kategorie Bewusstsein, Wahrnehmung und Schmerz.

Handlungsfelder

Pflegefachpersonen/B.Sc., B.A.

Spez. FWB Intensiv- und Anästhesiepflege

Screening von Sedierung, Schmerz, Delir, Angst, Schlaf, Stress

Durchführung, Evaluierung unter Aufsicht

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Schmerztherapie

Durchführung, Evaluierung und Anpassung unter Aufsicht

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Sedierung

Durchführung, Evaluierung und Anpassung unter Aufsicht

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Nicht medikamentöse Delir-Prophylaxe und -therapie

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Medikamentöse Delir-Prophylaxe und -therapie

Durchführung, Evaluierung unter Aufsicht

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Management des erhöhten Hirndrucks

Evaluierung unter Aufsicht[1]

Evaluierung und Anpassung[1]

Neurologische Überwachung (Pupillen, Motorik …)

Durchführung, Evaluierung

Durchführung, Evaluierung

1 Nach Abklärung der Indikation und spezifischer Kontraindikationen im Rahmen der Visite oder mit dem zuständigen Arzt/der zuständigen Ärztin.


Tab. 5

Kategorie Mobilisation, Positionierung und Lagerung.

Handlungsfelder

Pflegefachpersonen/B.Sc., B.A.

Spez. FWB Intensiv- und Anästhesiepflege

Lagerung, Dekubitus-Prophylaxe

Indikation[2], Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Indikation[2], Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Lagerung, Atemunterstützung/Sekretolyse (inkl. Bauchlagerung)

Assistenz

Indikation[1], Durchführung, Evaluierung und Anpassung (Bauchlagerung gemeinsam mit einem Arzt/einer Ärztin)

Lagerung, bei speziellen Krankheitsbildern (Schädel-Hirn-Trauma, erhöhter Hirndruck …)

Assistenz

Indikation1, Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Mobilisierung in- und außerhalb des Bettes

Durchführung, Evaluierung und Anpassung[1] , [3]

Indikation[2] , [3], Durchführung, Evaluierung und Anpassung

1 Nach Abklärung der Indikation und spezifischer Kontraindikationen im Rahmen der Visite oder mit dem zuständigen Arzt/der zuständigen Ärztin.


2 Nach Abklärung spezifischer Kontraindikationen im Rahmen der Visite oder mit dem zuständigen Arzt/der zuständigen Ärztin.


3 In Absprache und ggf. Zusammenarbeit mit dem zuständigen Therapeuten/der zuständigen Therapeutin.


Tab. 6

Kategorie Ernährung und Ausscheidung.

Handlungsfelder

Pflegefachpersonen/B.Sc., B.A.

Spez. FWB Intensiv- und Anästhesiepflege

Stuhlkontrolle (Obstipation, Diarrhoe), einschl. stuhlableitender Systeme

Durchführung, Evaluierung und Anpassung (exkl. stuhlableitender Systeme)

Indikation[3], Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Legen einer Magensonde

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Indikation[2], Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Orale Ernährung

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Indikation[2], Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Enterale Ernährung

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Indikation[2], Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Parenterale Ernährung

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Indikation[2], Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Entfernen eines ZVK

Durchführung

Durchführung

Transurethrale Harnableitung

Durchführung[1], Evaluierung und Anpassung

Indikation[2], Durchführung[1], Evaluierung und Anpassung

Glukosekontrolle

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Indikation[3], Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Elektrolytkontrolle

Durchführung, Evaluierung und Anpassung unter Aufsicht

Indikation[2], Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Intraabdomineller Druck, Messung

Durchführung und Evaluation

Durchführung und Evaluation

1 In Absprache mit dem zuständigen Arzt/der zuständigen Ärztin, da diese/r solche Fertigkeiten für seine/ihre Weiterbildung benötigt.


2 Nach Abklärung der Indikation und spezifischer Kontraindikationen im Rahmen der Visite oder mit dem zuständigen Arzt/der zuständigen Ärztin.


3 Nach Abklärung spezifischer Kontraindikationen im Rahmen der Visite oder mit dem zuständigen Arzt/der zuständigen Ärztin.


Tab. 7

Kategorie Patienten im sozialen Umfeld.

Handlungsfelder

Pflegefachpersonen/B.Sc., B.A.

Spez. FWB Intensiv- und Anästhesiepflege

Betreuung von Angehörigen, deren Einbindung in patientennahe Tätigkeiten, Regelung von Besuchen

Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Indikation[1], Durchführung, Evaluierung und Anpassung

Anamneseerhebung bei Angehörigen

Durchführung

Durchführung

Vermittlung von Betreuungsangeboten für Angehörige

Durchführung

Durchführung

Therapieziel-Festlegung und andere ethische Entscheidungsfindungen

Mitwirkung im interprofessionellen Team

Mitwirkung im interprofessionellen Team

1 Nach Abklärung der Indikation und spezifischer Kontraindikationen im Rahmen der Visite oder mit dem zuständigen Arzt/der zuständigen Ärztin.


Tab. 8

Kategorie Weitere Aufgaben im Team.

Handlungsfelder

Pflegefachpersonen/B.Sc., B.A.

Spez. FWB Intensiv- und Anästhesiepflege

Patiententransporte, innerklinisch

Vorbereitung und Durchführung, zusammen mit Arzt

Vorbereitung und Durchführung, zusammen mit Arzt

Advanced Practice Nurse (APN)

  1. Ein APN mit der 2-jährigen Fachweiterbildung Intensiv- und Anästhesiepflege verfügt über die gleichen Handlungskompetenzen wie eine Pflegefachperson mit der Fachweiterbildung Intensiv- und Anästhesiepflege.

  2. Darüber hinaus bestehen die folgenden Kompetenzen:

    • Entwicklung, Weiterentwicklung und Steuerung intensivmedizinischer Pflegekonzepte entsprechend dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand

    • Entwicklung, Weiterentwicklung und Steuerung intensivmedizinischer Handlungskonzepte im Team entsprechend dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand

    • Initiierung, Steuerung, Durchführung oder Mitarbeit bei wissenschaftlichen Projekten

Bei Tätigkeiten unter Punkt (2) sollen Pflegefachpersonen (mit oder ohne Fachweiterbildung Intensiv- und Anästhesiepflege) ohne APN keinesfalls ausgeschlossen sein. Vielmehr sollen sie zu diesen Aufgaben beitragen, wenn keine entsprechende APN zur Verfügung steht oder diese mit ihrem Fachwissen unterstützen.


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Schlussbemerkung

Im Zentrum steht die Entwicklung von Kompetenzen und beruflicher Handlungsfähigkeit. Dies benötigt ein kompetenzorientiertes didaktisches Verständnis und entsprechende methodische Herangehensweisen. Ziele sind der Erwerb und die Weiterentwicklung von Kenntnissen, Fertigkeiten und Erfahrungen zur eigenverantwortlichen Durchführung im Rahmen der beschriebenen Themenfelder und teamorientierten Mitwirkung, insbesondere bei der intensiv- und notfallmedizinischen Versorgung kritisch erkrankter oder verletzter Patienten. Handlungskompetenz ist in erster Linie Problemlösungskompetenz. Zu einer umfassenden Handlungskompetenz gehören daher neben dem Fachwissen auch soziale Fähigkeiten wie Empathie und Wertschätzung.

Hinweis

Dieser Artikel wurde gemäß des Erratums vom 07.03.2024 geändert.

Erratum

Im oben genannten Artikel wurde die Affiliation von Sabrina Pelz korrigiert. Korrekt ist: Advanced Practice Nurse, Fachgesundheits- und Krankenpflegerin für Intensivpflege und Anästhesie, Intensivstation, Universitätsklinikum Tübingen, Deutschland. Die Korrektur wurde in der Onlineversion des Artikels ausgeführt am: 07.03.2024.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

1 Unter einem Handlungskonzept soll eine vorgegebene Handlungsweise verstanden werden, die Ziele, Indikationen, Inhalte, Verfahren, Methoden sowie Techniken umfasst. Handlungskonzepte können Algorithmen, Flussdiagramme, Standardvorgehensweisen (SOPs) umfassen, sind aber nicht darauf beschränkt und sollen nicht als einschränkende Bezeichnung angesehen werden.



Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Christian Waydhas
Unfallchirurgische Intensivstation
Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie
Universitätsklinikum Essen
Hufelandstr. 55
45147 Essen
Deutschland   

Publication History

Article published online:
27 February 2024

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