Laryngorhinootologie 2020; 99(05): 282-284
DOI: 10.1055/a-1151-7932
Leitlinien und Empfehlungen

Chirurgische Aspekte zur Tracheostomie bei COVID-19-positiven Patienten - Stellungnahme im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie (DGHNO-KHC) und der AG Laryngologie & Trachealerkrankungen

 

Unter Beteiligung von
J. Lindemann, F. Böhm, T. Hoffmann, Ulm
A. Müller für AG Laryngologie und Trachealerkrankungen, Gera
M. Jäckel, Schwerin
H. Löwenheim, Tübingen
O. Guntinas-Lichius, Jena
T. Deitmer, A. Dietz für die DGHNO-KHC

Hintergrund

COVID-19 bezeichnet die durch das erstmals 12/2019 beschriebene Coronavirus SARS-Cov-2 hervorgerufene Infektionskrankheit. Bei etwa einem Fünftel der infizierten Patienten kommt es zu einem schweren Krankheitsverlauf mit Entwicklung einer Pneumonie incl. Gasaustauschstörung, Tachy- und Dyspnoe [1]. Etwa 5 % aller Infizierten müssen im Rahmen einer intensivmedizinischen Behandlung nach Entwicklung eines Acute-Respiratory-Distress-Syndroms (ARDS) oder im Rahmen eines septischen Schocks bei bakterieller Ko-Infektion für einen längeren Zeitraum mechanisch beatmet werden [2]. Vor dem Hintergrund dieser Beatmungstherapie werden vermehrt Anforderungen zur operativen Anlage eines plastischen Tracheostomas bei COVID-19-Patienten erwartet. Nachfolgende Stellungnahme der DGHNO-KHC und ihrer Arbeitsgemeinschaft Laryngologie & Trachealerkrankungen soll eine Hilfestellung bei der Planung und Durchführung einer Tracheostomie unter Berücksichtigung einer bestmöglichen Infektionsprophylaxe des medizinischen Personals bieten.


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Diskussionspunkte zur Indikationsstellung

Hauptübertragungsweg der COVID-19-erkrankung ist die Tröpfcheninfektion über Virus-tragende Aerosole zur Schleimhaut eines Gesunden [1]. Die Durchführung einer plastischen Tracheostomie zählt zu den Aerosol-generierenden Prozeduren, weshalb entsprechende Schutzmaßnahmen für das durchführende Personal obligat sind [1] [3] [4]. Es besteht ein erhöhtes Ansteckungsrisiko bei Durchführung einer Tracheostomie für das Personal. Die operative Anlage eines plastischen Tracheostomas ist nach aktuellem Kenntnisstand einer perkutan-dilatativen Tracheotomie zu bevorzugen, da diese zumeist unter bronchoskopischer Kontrolle durchgeführt wird und hierbei nach aktuellem Kenntnisstand (ohne belastbare Evidenz) eine höhere Menge an Virus-tragenden Aerosolen freigesetzt werden kann [5] [6].

Aktuell liegen noch keine validen wissenschaftlichen Daten vor, welche systematisch das Outcome der Patienten nach Durchführung einer Tracheostomie im Vergleich mit denjenigen Patienten ohne Tracheostomie im Hinblick auf die Mortalität an COVID-19 untersuchen. Es gibt jedoch aus intensivmedizinischer Sicht einige beachtenswerte Punkte, welche für die Durchführung einer Tracheostomie bei COVID-19-Patienten sprechen.

Durch die Tracheostomie kann eine Reduktion des Totraums und des Atemwiderstandes mit einer konsekutiven Reduktion der Atemarbeit und der Beatmungsdrücke erreicht werden, was zur Lungenprotektion beiträgt. Weiterhin ist eine Reduktion der Sedierungs-Medikation bei Beatmung mittels Trachealkanüle möglich. Dies ist auf den geringeren Reiz und die bessere Toleranz der Trachealkanüle im Vergleich zum Endotracheal-Tubus zurückzuführen. Es sind deshalb niedrigere Raten an Sedierungs-bedingtem Delir und ein schnelleres Weaning mit leichter durchzuführenden Spontanatmungsversuchen bei tracheostomierten Patienten zu erwarten [7]. Die Verkürzung des Weanings ist vor allem für den Fall eines hohen Patientenaufkommens mit knappen intensivmedizinischen Kapazitäten relevant. Im Hinblick auf zu erwartende laryngotracheale Stenosen in Zusammenhang mit Langzeit-Beatmung und COVID-19-Patienten liegen bisher noch keine Daten vor [5]. Dennoch ist ein vermehrtes Auftreten dieser Komplikation nach aktuellen klinischen Erfahrungswerten zu befürchten. Weiterhin zu beachten ist, dass eine Trachealkanüle im Rahmen der empfohlenen Beatmung in Bauchlage besser als ein Endotrachealtubus zu fixieren ist. Somit besteht bei Verwendung einer Trachealkanüle ein geringeres Dislokations- und Diskonnektionsrisiko und konsekutiv eine geringere Infektionsgefahr des medizinischen Personals.

Die Indikationsstellung zur Tracheostomie sollte unter Berücksichtigung der o. g. Punkte immer als Einzelfallentscheidung bezogen auf den jeweiligen Patienten durch das betreuende intensivmedizinische Team und die beteiligten HNO-Chirurgen erfolgen. Hierbei sind die Prognose des Patienten nebst Vorerkrankungen, aktueller Viruslast, mögliche Vorteile der Tracheostomie und das Infektionsrisiko des beteiligten medizinischen Personals miteinzubeziehen. Auch der sinnvollste Zeitpunkt zur Durchführung des Eingriffs muss von den entsprechenden Behandlungs-Teams individuell auf die Situation des Patienten und die örtlichen Begebenheiten angepasst werden. Wenngleich in der nur spärlich vorhandenen Literatur, i. d. R. mit Hinweis auf die hohe Viruslast, die möglichst späte Durchführung einer Tracheostomie favorisiert wird, sprechen praktische (Aufnahmedruck), aber auch die o. g. medizinischen Aspekte für einen früheren Zeitpunkt. Eine generelle Festlegung auf den idealen Zeitraum der Indikation ist zum gegenwärtigen Stand nicht möglich.


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Persönliche Schutzausrüstung (PSA) und präoperative Vorbereitung

Die effektivste Maßnahme zur Infektionsprophylaxe stellt das Tragen der PSA mit Beachtung des korrekten Ein- und Auskleidens dar. Die speziell zur Tracheostomie verwendeten Materialien müssen je nach Verfügbarkeit unter Einbeziehung der Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts und der Hygiene-Abteilungen der Kliniken individuell ausgewählt werden [8] [9].

Nach aktueller Empfehlung des RKI (Stand: 01.04.2020) sollen bei allen Tätigkeiten, die mit Aerosolproduktion einhergehen (z. B. Intubation oder Bronchoskopie), Atemschutzmasken (FFP2 oder darüberhinausgehender Atemschutz) getragen werden [8]. Die spezifische Situation von operativen Eingriffen im oberen Respirationstrakt einschließlich der Tracheostomie ist in den Empfehlungen des RKI nicht genannt. Nach aktueller Empfehlung des Bundesamts für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin vom 27.03.2020 zur beruflichen Tätigkeit im Gesundheitswesen bei SARS-CoV-2 werden FFP3-Masken „z. B. für Tätigkeiten an Patienten, die stark husten oder zum Husten provoziert werden“, empfohlen [10]. Dies ist im HNO-Kontext prinzipiell auf die Anlage eines plastischen Tracheostomas übertragbar. Somit scheint die Forderung nach FFP3-Masken im Kontext der Tracheostomie im völligen Einklang mit internationalen [11] und nationalen [10] Regularien, auch wenn dies in der aktuellen RKI-Empfehlung primär nicht erkennbar ist.

Als Standard für eine Tracheostomie sind somit FFP3-Maske, ein steriler, flüssigkeitsdichter OP-Kittel, Schutzbrille und sterile Handschuhe (ggf. doppelt getragen) einzufordern [12]. Ein Schutzhelm mit Visier, sofern verfügbar, ist einer Schutzbrille vorzuziehen. Ergänzend können Schuh-Überzieher oder entsprechend zu reinigende dichte Stiefel diskutiert werden. Ebenso erhöht ein Ganzkörperschutzanzug mit darüber getragenem sterilem Kittel den Infektionsschutz. Eine noch höhere Sicherheit scheinen sog. PAPR („Powered Air Purifying Respirator“ = Respirator-Anzug mit aktiver Belüftung; Vorteil durch geringeren Atemwiderstand, kein Beschlagen einer Refraktions-Brille sowie suffiziente Abdichtung auch bei Bartträgern) zu bieten, wobei die Verfügbarkeit dieser teuren, prinzipiell wiederverwendbaren Spezialausrüstung aktuell begrenzt ist [13].

Die Durchführung der Tracheostomie sollte auf der Intensivstation oder in einem ausgewiesenen COVID-Operationssaal erfolgen [6] [14]. Es ist auf ausreichende Platzverhältnisse zur Durchführung der Operation und entsprechende Schleusen-Möglichkeiten zu achten. Es sollten Transporte des infizierten Patienten und Wartezeiten vor Funktionsräumen vermieden werden. Technische Grundvoraussetzung für den OP-Saal bzw. das Intensiv-Zimmer sind die Verwendung von geschlossenen Absaugsystemen mit Virenfilter und das Vorhandensein einer Belüftung (idealerweise Laminar-Flow) im Unterdruck-Modus [4] [6] [15].

Das Operationsteam sollte sich aus erfahrenen sowie eingespielten Operateuren, Anästhesisten und Pflegekräften mit minimaler Personalstärke zusammensetzen unter der Prämisse, einen zügigen, sicheren und komplikationsarmen Verlauf der Operation zu gewährleisten und das weitere Personal zu schonen. Mitarbeiter, welche zu Risikogruppen in Bezug auf eine COVID-19-Infektion mit schwerem Verlauf zählen (> 60 Jahre, relevante Vorerkrankungen, Immunsuppression), sollten möglichst nicht eingesetzt werden. Gegebenenfalls sollte auf bereits immunisiertes Personal zurückgegriffen werden, sofern entsprechend sichere serologische Testungsverfahren diesbezüglich in Zukunft zur Verfügung stehen [4].


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Key-Points der Tracheostomie

  • Kontinuierliche Bereitstellung eines Anästhesisten und Anästhesie-Pflegekraft

  • Vorbereitung des Patienten durch die Anästhesie

    • tiefe Sedierung / Relaxierung (Reduktion der Beatmungsdrücke, Vermeidung von Pressen und Husten)

    • korrekte Lagerung (analog zur Thyreoidektomie in HWS-Lordosierung) und danach Kontrolle der tiefen Intubation zum intraoperativen Schutz des suffizient geblockten Cuffs

  • Vorbereitung des OP-Teams im Vorraum mit Anlegen der PSA nach COVID-Standard, abgestimmt mit lokaler Klinikhygiene

  • Adäquater Abstand zum OP-Feld

  • Ausreichend großer Hautschnitt für optimale Exposition des OP-Gebietes

  • Sorgfältige Blutstillung/Ligatur von Gefäßen und Umstechung des Schilddrüsenisthmus zur Vermeidung von Nachblutungen

  • Präoxygenierung und Pausieren der Beatmung vor Eröffnung der Trachea

  • Vorsichtige Inzision der Trachea zur Vermeidung einer Cuff-Ruptur und Anlage eines Trachealfenster sicher oberhalb des Cuffs

  • Wiederaufnahme der Beatmung

  • Zirkuläres Einnähen des Stomas mit resorbierbarer Naht (mukokutane Anastomose)

  • Vor Umintubation: Präoxygenierung, Stopp der Beatmung und ggf. nochmalige Relaxation des Patienten

  • Stoma mit feuchter Kompresse für evtl. notwendige Zwischenbeatmung abdecken, Entblocken des Tubus und dann Umintubation auf eine Trachealkanüle

  • Fortsetzung der Beatmung erst nach suffizienter Cuff-Blockung und Etablierung eines geschlossenen Systems mit HME-Filter [16]

  • Sichere Fixierung der Trachealkanüle (ggf. Nahtfixation)

  • Ablegen der PSA nach COVID-Standard

Vorgehen bei Cuff-Ruptur:

  • zügige Fertigstellung der mukokutanen Anastomose in Apnoe, soweit es die pulmonale Situation ermöglicht

  • wenn unmöglich: Fertigstellung der Anastomose in Apnoe mit intermittierenden Beatmungsphasen nach Rücksprache mit der Anästhesie/Intensivmedizin, dazwischen Abdecken der eröffneten Trachea mit feuchter Kompresse

  • alternativ: sofortige Umintubation und Fertigstellung der Anastomose bei liegender Kanüle (ggf. auch kleiner Tubus)


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Umgang mit tracheostomierten Patienten

  • Regelmäßige Kontrolle der Cuff-Dichtigkeit

  • Seltener und später Kanülenwechsel

  • Kein Einsatz ungeblockter und/oder gefensterter Kanülen

  • Durchführung des Kanülenwechsels mit Assistenz und Tragen geeigneter PSA

  • Verwendung von geschlossenen Absaug-Systemen

  • Konsequenter Einsatz von (virenfilternden) HME-Kassetten [17]

  • Patientenschulung bzgl. „Hustenhygiene“


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Publication History

Article published online:
09 April 2020

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York